250 Familien im Bettlerhaus

Schon die Fassade zeigt, wie schlecht die Zustände in dem Haus sind.
Florim C. erzählt von seinem tristen Leben in dem abgewohnten Altbau.

Je länger die Recherche rund um das Bettlerhaus in Wien-Ottakring andauert, desto mehr Abgründe tun sich auf. Skrupellose Bosse, die die Ärmsten in marode Wohnungen stecken und dafür Wuchermieten kassieren. Menschen mit Behinderungen, die von Rumänien nach Wien gekarrt werden und hier nur mit Betteln überleben können. Die Geschichte rund um das Haus in der Neulerchenfelder Straße 88 rief sofort Experten auf den Plan, die von den furchtbaren Zuständen berichteten. Wie es jedoch wirklich in dem Haus aussieht, welche Schicksale hinter den Menschen stecken, kann nur einer erzählen, der dort lebt.

Dem KURIER gelang es, einen Bewohner zu finden, der sich traut, über sein Leben zu sprechen. Obwohl er große Angst hat, dass sein "Vermieter" ihm etwas antun könnte, will Florim C. (Name geändert) nicht länger still sein.

KURIER: Sie wohnen seit drei Monaten in dem heruntergekommenen Haus. Wie kann man sich das Leben dort vorstellen?

Florim C.: Man kann das nicht als "wohnen" bezeichnen. Ich teile mir mit meiner Frau und meinen zwei kleinen Kindern zehn Quadratmeter. Wir schlafen auf Matratzen auf dem Boden.

Warum haben Sie keine andere Unterkunft für Ihre Familie?

Ich komme aus Rumänien und wollte hier ein besseres Leben haben und arbeiten. Aber das ist schwierig. Für eine Wohnung muss man zwei Jahre in Österreich gemeldet sein. Ich habe versucht, eine Wohnung zu bekommen, aber es ist unmöglich.

Wie sind Sie dann in dieses Haus gekommen?

Bekannte haben mir erzählt, dass es Häuser gibt, in denen viele andere Rumänen sind. Ich bin dann in die Mautner-Markhof-Straße gezogen, habe dort eineinhalb Jahre gelebt. Als das Haus geräumt wurde, sind wir alle nach Ottakring gebracht worden. Natürlich möchte ich nicht so leben, aber ich habe keine andere Wahl. Ich muss irgendwo gemeldet sein, sonst bekomme ich keine Wohnung und kann meine Kinder nie in den Kindergarten schicken.

Kennen Sie den Vermieter?

Nein, es kommen Männer und sammeln das Geld in bar von allen Bewohnern ein. Wenn man nicht genug hat, gibt es große Probleme. Man wird sofort rausgeworfen und muss auf der Straße schlafen. Ich zahle für die zehn Quadratmeter 150 Euro jeden Monat.

Wie viele Menschen leben in dem Haus?

Ich schätze, das sind so zirka 250 Familien. Es ist ein Kommen und Gehen. Das Haus ist in Nationalitäten unterteilt. Im Erdgeschoß wohnen die Rumänen, darüber Afrikaner. Das ist auch so gemacht, weil man sich ja mit den unterschiedlichen Sprache nicht unterhalten kann.

Woher kommt das Geld für Ihre Miete?

Ich versuche es mit kleineren Arbeiten zu verdienen. Ich spreche Leute an, ob ich irgendetwas helfen kann. Aber viele in dem Haus betteln. Sie werden abgeholt und zu ihren Plätzen gebracht.

Schlafplätze in Quartieren wie dem in der Neulerchenfelder Straße 88 werden von Bettlern und Asylsuchenden oftmals als Hilfeleistung angesehen, da die andere Option das Leben auf der Straße wäre. Deshalb ist man bereit, trotz katastrophaler Bedingungen hohe Mietpreise zu zahlen – zumindest hat man dann ein Dach über dem Kopf. Hinzu kommt, dass Kaution und Provision wegfallen. Sich für eine Gemeindewohnung anzumelden, geht nicht, da in diesem Fall der Hauptwohnsitz in Wien seit zwei Jahren Grundvoraussetzung ist.

Doch was gibt es für Alternativen? Handelt es sich um Asylwerber, besteht die Möglichkeit einer vorübergehenden Grundversorgung, welche von Bund und Ländern organisiert ist.

„Ungefähr ein Drittel dieser Personen leben in Einrichtungen, welche von NGOs organisiert sind – etwa von Caritas oder Diakonie. Zwei Drittel leben privat, erhalten von der Stadt Wien jedoch einen Mietzuschuss“, sagt Iraides Franz vom Fonds Soziales Wien. Für Einzelpersonen beträgt dieser maximal 120 €. „Im Fall, dass auffallend viele Personen, welche die Grundversorgung in Anspruch nehmen, an einer Adresse gemeldet sind, so sehen wir uns das an, da es für Wucher keinen Mietzuschuss gibt“, erzählt Franz.
Kommt man als EU-Bürger ohne Startbudget und Sprachkenntnisse nach Österreich, rutscht man durch dieses Auffangnetz durch. Überteuerte Massenquartiere bleiben dann die einzige Möglichkeit.

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