KURIER: Die Zahl der Corona-Infektionen ist besonders in Wien stark angestiegen. Gesundheitsminister Rudolf Anschober hat gesagt, er sei besorgt. Wir nehmen an, Sie sind es auch.
Michael Ludwig: Ich nehme die Situation ernst. Das habe ich vom ersten Tag an. Wir waren die ersten, die einen medizinischen Krisenstab eingerichtet haben und Zugangsbeschränkungen zu Spitälern eingerichtet haben. Es war klar, dass im Herbst in allen großen internationalen Städten die Zahlen steigen werden.
Der grüne Vizekanzler Werner Kogler – sicher kein notorischer Wien-Basher – verwies zuletzt auf einen Erlass, wonach die Länder die 24-Stunden-Regel für Tests und Contact Tracing einhalten sollen. Warum hat das Wien ignoriert?
Ich weiß nicht, aufgrund welcher Kompetenz der Vizekanzler so etwas behauptet. Es meldet sich ja mittlerweile jeden Tag ein anderes Mitglied der Bundesregierung, um etwas Negatives über Wien zu sagen. Zuletzt die Wirtschaftsministerin, die offenbar zu lange nichts mehr gesagt hat und jetzt für Wien, nicht aber für die anderen fünf Bundesländer, die auch nicht um 22 Uhr zusperren, die Vorverlegung der Sperrstunde fordert. Das wäre der Todesstoß für kleine Wirte. Dass ausgerechnet eine Tirolerin wie die Ministerin sagt, dass sie Angst habe, dass sich das Virus von Wien aus in andere Bundesländer verbreite, ist fast originell. Aber was ist eigentlich die Leistung, die die Bundesregierung in diesem Zusammenhang erbringt?
Laut einer Umfrage glaubt schon ein Viertel der Wiener, die Stadt sei bisher schlechter durch die Pandemie gekommen als der Rest des Landes. Wer ist dafür verantwortlich?
Das heißt im Umkehrschluss, dass drei Viertel das nicht so sehen. Gesundheitsstadtrat Peter Hacker bemüht sich sehr, in dieser schwierigen Situation die entsprechenden Maßnahmen zu setzen.
Sind Sie zufrieden mit der Performance von Hacker?
Es ist eine große Herausforderung. Ich weiß, dass er alles daransetzt, die Situation gut im Griff zu haben.
Themenwechsel: Sie haben lange zugewartet, bevor Sie das Fahrverbot in der Innenstadt, das Ihre grüne Vizebürgermeisterin geplant hat, gestoppt haben. Ein derartiges Veto nur zehn Tage vor der Wahl – da fällt es schwer, kein politisches Kalkül dahinter zu sehen.
Nein, gar nicht. Ich habe unzählige Gespräche mit Menschen im 1. Bezirk geführt, mit Anwohnern, Händlern, Schulen, Ärzten. Es sind ja alle für eine Verkehrsberuhigung, aber diese muss so organisiert sein, dass sie funktioniert und rechtskonform ist. Der Verfassungsdienst der Stadt hat, wie üblich bei solchen Verfahren, eine rechtliche Stellungnahme abgegeben. Dieses hat meine Befürchtung bestätigt, dass das Konzept von Birgit Hebein in einigen Punkten nicht einmal verfassungskonform ist.
Das Veto war für Hebein dennoch ein schwerer Schlag. Hätte die Koalition nicht zu einer gemeinsamen Lösung kommen können?
Das ist deshalb schwierig gewesen, weil es eine Pressekonferenz einer Dirndl-Koalition aus grüner Vizebürgermeisterin, türkisem Bezirksvorsteher und Neos gegeben hat, in der ein Konzept präsentiert wurde, das im Magistrat niemand kannte.
Haben Sie Hebein über die rechtliche Stellungnahme informiert, bevor Sie an die Medien gegangen sind?
Ich habe sie in Kenntnis gesetzt, dass ich die Stellungnahme vorstellen werde.
Wie sieht denn Ihr Konzept ganz konkret aus?
Es gab schon gute Vorarbeiten im Bezirk. Man sollte konsequent diesen Weg des Miteinanders weitergehen. Ich erwarte mir eine Lösung, die möglichst viele Interessen abdeckt. Etwa jene der Einkaufsstraßen. Wir dürfen gerade in der Corona-Krise die Kunden nicht noch mehr verschrecken.
Zuletzt wurde bekannt, dass ein SPÖ-Bezirksfunktionär eine Wahl-Veranstaltung vor der türkischen Community abgehalten hat. Anwesend waren auch AKP-nahe Personen. Besteht bei der SPÖ zum Teil eine etwas zu große Sorglosigkeit, mit wem man sich da einlässt?
Man kann nicht immer kontrollieren, wer im Publikum sitzt. Aber eine organisierte Zusammenarbeit mit problematischen Gruppen gibt es nicht. Wenn aber vonseiten der Bundesregierung problematische Gruppen erkannt werden, dann sollte man gegen diese vorgehen.
Die ÖVP wirft Ihnen vor, dass Wien wirtschaftlich immer weiter zurückfällt. Warum ist das so?
VP-Spitzenkandidat Gernot Blümel musste lange suchen, bis er eine Statistik gefunden hat, in der Wien nicht auf dem ersten Platz liegt. Gefunden hat er nur eine über das niedrigere Haushaltseinkommen. Aber das ist leicht erklärt: Wien ist ein junges Bundesland, die vielen Kinder im Haushalt senken in der Statistik das durchschnittliche Einkommen. Es gibt auch viele jungen Menschen, die zu Beginn ihres Berufslebens weniger verdienen. Ich stelle mir die Frage: Ist Blümel der Anti-Wien-Minister? Er hätte die Aufgabe, den Wirtschaftsmotor Wien zu unterstützen. Ohne uns könnte er nicht einmal ein Budget machen. Uns als Bremsklotz darzustellen, ist schädlich für den Wirtschaftsstandort. Wenn die Regierung schon nicht in der Lage ist, PR für uns zu machen, dann erwarte ich mir zumindest keine Negativ-PR. Wir machen uns eh alles selbst.
Laut Gutachten der ÖVP ist es rechtlich möglich, Deutschkenntnisse bei der Vergabe bei Gemeindebauten zu verlangen. Das würde doch gut in Ihr Konzept des Wien-Bonus passen.
Der soziale Wohnbau ist nicht primär aus Gründen der Integration eingerichtet, sondern um eine unmittelbare direkte Wohnungsversorgung zu ermöglichen. Weiters wird übersehen, dass seit 2011 ohnehin alle, die zuwandern, Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 haben müssen. Ausgenommen sind nur Asylberechtigte.
Die Frage ist: Was ist die Konsequenz der ÖVP-Forderung? Sie wird damit begründet, dass Gemeindebauten mit Steuergeldern errichtet wurden. Wir haben in den vergangenen vier Jahrzehnten rund 395.000 private Wohnungen mit Förderungen der Stadt saniert. Müsste man dann nicht auch in den betroffenen Gründerzeit-Häusern Deutschkenntnisse verlangen? Ich glaube nicht, dass die ÖVP ernsthaft daran denkt, so etwas umzusetzen.
Warum schließen Sie eine Koalition mit der ÖVP nicht aus, obwohl Sie ihr vorwerfen, Wien schlechtzureden und FPÖ-Themen zu übernehmen?
Ich trete ja nicht mit einer Koalition an. Sondern dafür, dass ich Wien weiter als Bürgermeister in die Zukunft führen kann.
Aber eine Koalition mit der FPÖ haben Sie ja auch ausgeschlossen.
Richtig. Und auch eine mit Heinz-Christian Strache.
Worin liegt der Unterschied zwischen ÖVP und FPÖ?
Mit Teilen der ÖVP gibt es im sozialpartnerschaftlichen Bereich immer noch sehr gute Kooperationsmöglichkeiten.
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