Lobautunnel: Gewesslers Nein löst Politbeben aus
Seit Längerem schwebte das Gerücht im Raum, am Mittwoch machte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) Nägel mit Köpfen: Sie sagte den 1,5 Milliarden Euro teuren Lobautunnel, eines der umstrittensten Straßenbauprojekte der vergangenen Jahre, ab.
Um die Realisierung wird seit fast 20 Jahren gestritten, seit 17 Jahren finden Planungen und Probebohrungen statt. Kosten für die Asfinag bisher: 59 Millionen Euro, plus neun Millionen für Grundstücke, die gekauft wurden. Geplante Bauzeit wären zumindest sieben Jahre gewesen.
Der Absage ging eine monatelange Evaluierung voraus, die vom Ministerium, der Asfinag und dem Umweltbundesamt durchgeführt wurde. Damit die Entscheidung auch gut begründet wird, legte Gewessler am Donnerstag ein 154-seitiges Gutachten vor, dazu noch einen 92-seitigen Bericht des Umweltbundesamtes, nach welchen Kriterien evaluiert wurde.
Kernpunkte der Begründung: Mehr Straßen zögen nur mehr Verkehr an, was gleich gegen zwei Ziele der Regierung spreche: Klimaschutz und Bodenschutz. Bis 2030 müssen die Treibhausgas-Emissionen halbiert und bis 2040 auf null gesenkt werden und der Bodenverbrauch soll drastisch gesenkt werden.
"Unberührte Artenvielfalt"
Konkret gehe es um zusätzliche Emissionen in Höhe von bis zu 489.100 Tonnen CO2 pro Jahr (Verkehr gesamt 24 Millionen Tonnen). Der Bau wäre zudem ein „massiver Eingriff in die unberührte Artenvielfalt“, zerstörte Natur würde „unwiederbringlich verloren gehen“.
In der Lobau würden derzeit mehr als „800 Arten höherer Pflanzen, 33 Säugetier- und rund 100 Brutvogelarten, 8 Reptilien- und 13 Amphibienarten sowie 67 Fischarten leben.“ Und nicht zuletzt sei ein Tunnelbau eine extrem CO2-intensive Form des Bauens.
„Unsere Kinder werden uns in 20 Jahren fragen: Was habt ihr gemacht, um das Klima zu retten?“, sagte Gewessler durchaus emotional. Sie wolle dann nicht antworten, dass sie nicht den Mut gehabt hätte, notwendige Entscheidungen zu treffen.
Die Ministerin gab darum nicht nur das Aus für den Teil der Lobau-Autobahn, der in 60 Metern Tiefe unter dem Naturschutzgebiet und der Donau führt, bekannt, sondern auch für den Nordabschnitt der S1. Hier würden nun Alternativen geprüft, die auch abhängig sind von der Bewilligung der S8 (siehe Grafik).
Eben diese Entscheidung bedeutet ein Polit-Erdbeben. In einer ersten Stellungnahme sieht Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) einen „Schlag gegen die Lebensqualität der Stadt“ und spricht von „Pflanzerei“ (siehe Artikel gleich unten).
Die Evaluierung, die Gewessler am Vormittag vorgelegt hatte, soll jetzt gemeinsam mit Juristen geprüft werden. Das Land Niederösterreich will die Stadt Wien gegebenenfalls bei Klagen unterstützen. „Da wird grüne Parteitaktik über das Wohl der Menschen im Osten Österreichs gestellt“, sagt Niederösterreich Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP). Sie sei darum in enger Abstimmung mit Ludwig. Beide fordern vor allem eine Klarstellung, welche Alternativen die Ministerin für die Menschen im Osten anbietet.
"Willkürliche Entscheidung"
In den Reigen der Kritiker reiht sich auch die Wirtschaftskammer Wien ein. Präsident Walter Ruck ortet gar eine „willkürliche Entscheidung“ der Ministerin.
Schließlich seien die Genehmigungsverfahren durch alle Instanzen gegangen – darunter auch die Umweltverträglichkeitsprüfung. „Wir leben in Wien im 21. Jahrhundert und nicht im antiken Rom, wo über Existenzen per Daumenstellung entschieden wurde“, sagt Ruck.
Das Lobautunnel-Aus hat aber nicht nur Kritiker, Gewessler erntete auch viel Jubel. Etwa von den Aktivisten, die vor drei Monaten ein Protestcamp in der Lobau errichtet haben. Diese verfolgten via Public Viewing die Ankündigung der Ministerin, posteten sie auf Twitter. Das Fazit lautete „Gänsehaut“.
"Kluge Entscheidung"
Einhellig zufrieden zeigten sich auch Umweltorganisationen und NGOs. Greenpeace etwa sieht das Ende einer „Betonpolitik“. Der Verkehrsclub Österreich lobte eine „kluge Entscheidung“. Straßenausbau führe zu mehr Verkehr und damit „à la longue wieder zu mehr Staus“.
Global 2000, früherer Arbeitgeber Gewesslers, hielt via Aussendung fest: „Wien bekommt die große Chance einer umweltfreundlichen Neuplanung der Mobilität.“
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