Wem das bekannt vorkommt, der irrt nicht. Ähnliches hat sich im 8. Bezirk zugetragen: Eine 80-jährige, 20 Meter hohe Platane sollte für den Aufgang zur neuen U2-Station Rathaus Platz machen – was zu heftigem Protest führte. Die Sache ging aber gut aus: Baumchirurg Manfred Saller übersiedelte die Platane mit seiner Firma schließlich auf eigene Kosten – 250.000 Euro – auf einem Tieflader auf den Schmerlingplatz, wo sie jetzt gedeiht.
Zum 100. Todestag
Würde die Linde in Neubau umgeschnitten, wäre das doppelt bitter: Schließlich ist sie nicht irgendeine Linde, sondern eine sogenannte Schubertlinde. Mit der Fällung wäre nicht nur Müllers Bild zerstört. Sondern ein Baum passé, der zu Ehren des Vertoners eben dieser Szenerie gepflanzt wurde. Das Gedicht „Am Brunnen vor dem Thore“ hieß ursprünglich „Der Lindenbaum“ und ist Teil des Gedichtzyklus „Die Winterreise“. Schubert vertonte ihn im Jahr 1827: Seine „Winterreise“ umfasst 24 Lieder für Gesang und Klavier. Den „Lindenbaum“ soll Schubert in Niederösterreich komponiert haben – in der Höldrichsmühle in Hinterbrühl, wo Wienerwald-Ausflügler seinerzeit oft einkehrten. Schubert habe das Lied dort „im Schatten eines alten Lindenbaums“ geschrieben, heißt es auf der Website des Hotel-Restaurants, das heute in der Mühle untergebracht ist.
Ein Jahr nach Fertigstellung der „Winterreise“ starb Schubert – mit nur 31 Jahren. Zu seinem 100. Todestag im Jahr 1928 wurden zum Gedenken an ihn vielerorts Linden – die sogenannten Schubertlinden – gepflanzt. Sieben davon in Wien: im Bruno-Kreisky-Park (5. Bezirk), am Laurentiusplatz (14. Bezirk), bei der Maria-vom-Siege-Kirche (15. Bezirk), am Bischof-Faber-Platz (18. Bezirk), im Schubertpark (18. Bezirk, wobei der genaue Anlass für die Pflanzung hier nicht überliefert ist), bei der Pfarrkirche St. Michael (19. Bezirk) und eben am Augustinplatz. Gestiftet wurden sie von lokalen Männergesangsvereinen. Laut den Wiener Stadtgärten gibt es alle diese Linden heute noch.
Fraglich ist allerdings, wie alt diese Schubertlinden tatsächlich sind. Im Baumkataster Wiens sind teils Pflanzungsdaten eingetragen, die vor oder nach 1928 liegen – im Fall der Linde am Augustinplatz etwa das Jahr 1959. Auf der Gedenktafel, die in den Fliedersträuchern um den Stamm versteckt ist, ist jedoch das Jahr 1928 angeführt. Mögliche Erklärung: Die ursprüngliche Linde könnte nach dem Krieg durch eine neue ersetzt worden sein. Mit 62 Jahren käme sie dennoch auf ein hohes Baumalter für Neubau: Nur 97 von 554 Exemplaren sind älter als 50 Jahre.
Baumchirurg hat Lösung
Die ÖVP Neubau will die Linde retten – und hat nun einen Alternativstandort auserkoren: „Falls ein Erhalt am derzeitigen Standort nicht möglich ist, ist eine Umsiedelung in den Weghuberpark unumgänglich“, sagt Bezirksparteichefin Christina Schlosser. Die Türkisen sammeln derzeit online (und ab 19. Mai verstärkt auf der Straße) Unterschriften für die Linde. Diese werden dem grünen Bezirkschef Markus Reiter übergeben, zudem ist ein Antrag im Bezirksparlament geplant. Auch die Stadtgärten plädieren für die Rettung: „Wir sprechen uns immer für den Erhalt von Bäumen aus, auch in diesem Fall“.
Laut Wiener Linien ist eine Umpflanzung wegen der „Oberleitungen und Querverspannungen über viele Kilometer“ rund um den Baum technisch unmöglich. Baumchirurg Saller ist optimistischer: Anders als die Platane müsse man die Linde eben nicht stehend, sondern halb stehend transportieren. Eine Umpflanzung wäre im Herbst optimal, wenn der Baum in die Ruhephase tritt. Preislich würde er der Stadt entgegenkommen, sagt Saller. Ganz übernehmen könne er die Kosten aber nicht noch einmal.
Es gibt also zumindest Hoffnung, dass auch die letzten Zeilen des Müller-Gedichts real werden: Nun bin ich manche Stunde / Entfernt von jenem Ort / Und immer hör’ ich’s rauschen /Du fändest Ruhe dort!
Kommentare