Irrwege im Wiener Untergrund: Die Geschichte der U-Bahn
Endlich wird mit dem aktuellen Ausbau der U-Bahn eine hässliche Lücke geschlossen, die Pedanten und Ordnungsfanatikern die Haare zu Berge stehen lässt: In Wien gibt es zwar eine U4 und eine U6, aber lange fehlte die U5.
Wobei: Pläne hatte es für sie in den vergangenen Jahrzehnten zuhauf gegeben. Fast völlig vergessen ist etwa jener aus dem Jahr 1972, laut dem die U5 auf der Trasse der U-Straßenbahn am südlichen Gürtel den Südbahnhof erschlossen hätte. Ein Konzept, das an die U2 erinnert, die die unterirdische Straßenbahn auf der 2er-Linie ersetzt.
Was aus der U7 wurde
Nicht das einzige damalige Vorhaben, das nicht realisiert wurde. Nichts wurde auch aus der U7 nördlich der Donau oder den zahlreichen Verästelungen der geplanten Linien. „Anfang der 70er-Jahre, nachdem man sich endlich zum U-Bahn-Bau entschlossen hatte, befand man sich am Höhepunkt der Planungseuphorie. Doch dann kam die Ölkrise, die die Finanzierung dieser großspurigen Pläne verhinderte“, erzählt Johann Hödl. Der Experte für die Geschichte der U-Bahn gehört zum Museumsbeirat der Wiener Linien.
Letztlich wurde nur der Kern des Konzepts realisiert – und das in eher kleinen, sehr budgetschonenden Bauabschnitten.
1898
Die Wiener Stadtbahn (damals noch dampfbetrieben) wird eröffnet. Sie bestand aus der Gürtel-, der Wiental-, der Donaukanal- und der Vorortelinie. Bekannt ist sie vor allem durch die von Otto Wagner gestalteten Stationen und Brücken, die noch heute in Verwendung sind
1925
Die Stadtbahn – mittlerweile von der Gemeinde Wien übernommen – wird elektrifiziert. Dabei handelt es sich um eines der wichtigsten Projekte des „Roten Wien“ im Bereich des öffentlichen Verkehrs
1966
Die U-Straßenbahn der 2er-Linie nimmt ihren Betrieb auf. Zwei Jahre später folgt jene am südlichen Gürtel, die heute noch existiert
1968
Der Wiener Gemeinderat beschließt den Bau eines 30 Kilometer langen U-Bahn-Grundnetzes
1969
Im November beginnen die Bauarbeiten am Karlsplatz, wo sich künftig gleich drei Linien (U1, U2, U4) kreuzen sollten
1976
Beginn des „erweiterten Probebetriebs mit Fahrgästen“ der U4 auf der alten Stadtbahn-Trasse zwischen Heiligenstadt und Friedensbrücke. Mit der U1 zwischen Reumannplatz und Karlsplatz geht 1978 die erste echte U-Bahn in Betrieb
Wirtschaftskrisen, Kriege, aber auch politischer Unwille sind schuld daran, dass Wien im Vergleich zu anderen Metropolen erst sehr spät eine U-Bahn bekommen hat. „Im Planen waren wir dafür Weltmeister“, schildert Hödl. Umgesetzt wurden die meisten Vorhaben jedoch nicht.
Das gilt auch für den ersten Plan einer U-Bahn für das vorrevolutionäre Wien des Jahres 1844, dessen Innenstadt damals noch von der Stadtmauer umgeben war. Den Wall samt der vorgelagerten Freifläche (Glacis) wollte der Ingenieur Heinrich Sichrowsky untertunneln, um eine Bahn vom Lobkowitzplatz über den Karlsplatz bis nach Hütteldorf zu führen. „Die Endstation wäre – passend für Wien – bei einem Brauhaus gewesen“, sagt Hödl. Das Besondere an dieser Bahn: Die Züge wären mit einem pneumatischen System bewegt worden, die Fahrgäste wären so von Lärm und Rauch unbehelligt geblieben. Das Projekt scheiterte unter anderem an Konzessions- und Enteignungsfragen.
Tramway im Stadtgraben
Einen ähnlichen Charme hat auch eine Idee, die im Zuge der Schleifung der Stadtmauern (ab 1858) aufkam. Stadtplaner Ludwig Zettl wollte eine Pferdetram im Stadtgraben errichten, die das Zentrum umrundet hätte. Ein früher Vorläufer der U2 und U4 sozusagen, die mehr als ein Jahrhundert später tatsächlich einen ähnlichen Streckenverlauf am Rand der Innenstadt nehmen sollten.
Doch aus der Pferde-U-Straßenbahn wurde nichts, nie realisiert wurde auch die im Vorfeld der Weltausstellung von 1873 entworfene U-Bahn des Star-Architekten Otto Wagner.
Große Diskussionen rief ein privat finanziertes Projekt rund um den englischen Ingenieur Joseph Fogerty in den 1880er-Jahren hervor. Es sah eine Bahn vor, die über weite Strecken über Hochtrassen geführt hätte. Viele Wiener befürchteten damals die Zerstörung des Stadtbildes durch die Viadukte.
Umgesetzt (und das zum Teil auch auf Hochtrassen) wurde dann wenig später die Stadtbahn. „Sie hat allerdings nie richtig funktioniert“, schildert Hödl. „Von der Streckenführung her war sie eher eine militärische Verbindungsbahn, die die Innenstadt nicht erschloss. Deshalb nannten sie die Wiener boshaft ,Um-die-Stadt-Bahn‘.“ Dass zunächst nicht einmal ein Tarifverbund zwischen Stadtbahn und den städtischen Bussen und Straßenbahnen bestand, sollte auch nicht zur Benutzerfreundlichkeit beitragen.
Erst in der NS-Zeit tauchten wieder äußerst großspurige Pläne für eine Wiener U-Bahn auf, mit Ausnahme von Probebohrungen in Hietzing kam davon aber nichts zustande.
Später Bau
Und so sollte es – nach ewigem politischen Gezerre – bis 1968 dauern, bis der Gemeinderat den Bau einer U-Bahn beschloss. Mit einem Grundnetz, das im Wesentlichen bis heute keine großen Änderungen mehr erfahren hat.
Wobei auch hier ein Irrweg eingeschlagen wurde, der in einem äußerst kurzlebigen Projekt mündete: Der Mischbetrieb U2/U4. Ab September 1981 wechselten die Züge der U2 in der Station Schottenring auf die Trasse der U4 und fuhren von dort weiter bis nach Hietzing.
Was in anderen Städten (etwa München) normal ist, kam in Wien nicht an. „Das System hat nur für Verwirrung gesorgt“, sagt Hödl. „Nach einem Monat wurde es aufgeben.“
Ein nur vorübergehendes Comeback feiert der ungeliebte Mischbetrieb zwischen 2026 und 2028, wenn zwischen Rathaus und Karlsplatz Züge der U2 und der U5 unterwegs sein werden. Ist das neue Linienkreuz fertiggestellt, ist es damit aber wieder vorbei.
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