Neue Details: Wie ein brisanter Agentenkrimi zum Polit-Skandal wurde

Rennweg-Kaserne: Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Wien-Landstraße
Zweifelhafte Vorwürfe gegen Beamte als Folge einer Observation im Waldviertel beschäftigen die Justiz. Innenminister bestreitet politische Umfärbe-Aktion.

Seitdem der KURIER am vergangenen Sonntag die Hintergründe der angeblichen Staatsaffäre um das Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT) aufgedeckt hat, kommt das Innenressort nicht mehr zur Ruhe. Spitzenbeamte wie BVT-Chef Peter Gridling gingen – nicht ganz freiwillig – auf Urlaub. Hinter vorgehaltener Hand sprechen Insider des Innenministeriums von einer brutalen Umfärbe-Aktion. Im Visier stehen aber nicht nur SPÖ-nahe, sondern vor allem ÖVP-nahe Spitzenbeamte.

Sechs Personen

Aktuell sind auf der Beschuldigtenliste der Wirtschafts- und Korruptionssaatanwaltschaft ( WKStA) zu finden: Noch-BVT-Direktor Gridling, sein Ex-Vize Wolfgang Zöhrer, der Abteilungsleiter Nachrichtendienste (ND) und einer seiner Mitarbeiter sowie zwei IT-Experten. Der Verdacht: Amtsmissbrauch.

Einerseits sollen Akten des Wiener Anwalts Gabriel Lansky rund um die Alijew-Causa nicht gelöscht worden sein, andererseits soll das BVT drei nordkoreanische Reisepass-Rohlinge an den südkoreanischen Nachrichtendienst übergeben haben. Ob man Letzeres darf, wird ein Gericht klären.

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Peter Gridling, BVT-Leiter, Terrorismus

Zu Beginn der Affäre stand ein Antrag der Staatsdruckerei beim Wirtschaftsministerium im Jahr 2015. Es ging um die Lieferung von Reisepässen nach Nordkorea. Das Ministerium wandte sich daraufhin an den Verfassungsschutz, sagt Johannes Neumayer, Verteidiger eines BVT-Chefinspektors. Es ging dabei um die strengen Embargo-Vorschriften gegen das kommunistische Nordkorea. "Das BVT hat die Staatsdruckerei in Sachen Nordkorea-Embargo sensibilisiert", erklärt ein Insider.

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Im Herbst 2015 kam es dann zu einer BVT-Observation bei einem Lokal auf der Rosenburg im Waldviertel. Mitarbeiter der Staatsdruckerei trafen sich mit Nordkoreanern und besuchten eine Ritterausstellung.

Angeblich wurden dort die Verhandlungen über den Passauftrag zu Ende geführt. Bei der näheren Überprüfung dieser Nordkoreaner durch das BVT stellte sich heraus, dass diese zum Teil unter falscher Identität eingereist waren.

Später hat das Wirtschaftsministerium die Passlieferung ins Reich von Diktator Kim Jong-un genehmigt. Im Jahr 2016 hat die Staatsdruckerei dann 30 nordkoreanische Pass-Rohlinge dem BVT übergeben.

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Pressekonferenz der Rechtsvertreter des in seiner Zelle tot aufgefundenen kasachischen Ex-Botschafters Rakhat Aliyev, Klaus Ainedter, Manfred Ainedter und Otto Dietrich, im Cafe Landtmann. Wien 02.03.2015

"Aus eigenem Antrieb und ohne Aufforderung durch das BVT", sagt Otto Dietrich, Verteidiger des verdächtigen ND-Abteilungsleiters.

Erfolgreiche Aktion

Drei dieser Rohlinge wurden dem südkoreanischen Nachrichtendienst übergeben – international ein übliches Vorgehen. Die Rohlinge sollten zu Vergleichszwecken dienen, um etwaige Fälschungen erkennen zu können. Stichwort: Terrorgefahr und Olympische Spiele. Dabei handelte es sich um einen roten Diplomatenpass, einen grünen Dienstpass und einen blauen Privatpass. Im Herbst hieß es im Ministerbüro Wolfgang Sobotka noch, dass dies "ein üblicher Vorgang" ist.

"Man kann sie gar nicht missbräuchlich verwenden, weil keine Buchstaben oder Zahlen eingestanzt sind und auch fortlaufende Nummern fehlen", sagt ein BVT-Experte zum KURIER. "Vergleichspässe gehören zu unserem normalen Handwerk, wie sollte man sonst gefälschte Pässe erkennen können." Bei westlichen Nachrichtendiensten gilt die Operation "Rosenburg" als Erfolg. 27 Blanko-Pässe lagen bis zur Razzia noch beim BVT.

Mehrere Kronzeugen?

Ein Zeuge der Staatsanwaltschaft, offenbar ein hochrangiger BVT-Mitarbeiter, will die Rohlinge im Tresor des verdächtigen ND-Abteilungsleiters gesehen haben, zwei andere Zeugen, angeblich auch BVT-Mitarbeiter, später im Stahlschrank des verdächtigen Chefinspektors. Ob einer dieser "Kronzeugen" auch die anonymen Anzeigen (40 Seiten) verfasst hat, die die Ermittlungen auslösten, ist unklar.

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APA7155024 - 08032012 - WIEN - ÖSTERREICH: Der Chef der Strafrechtssektion des Justizministeriums Christian Pilnacek, am Donnerstag, 08. März 2011, während einer Pressekonferenz im Parlament in Wien.. APA-FOTO: HERBERT PFARRHOFER

Zwei weitere Dinge fallen auf: Ein leitender Beamter in der gesamten BVT-Befehlskette fehlt auf der Liste der Verdächtigen. Gegen diesen wird offenbar nicht ermittelt. Er dürfte als "verdeckter Zeuge" geführt werden. Und dass bei der BVT-Abteilungsleiterin "Extremismus" Datenträger mit Erkenntnissen über Rechtsextremisten sichergestellt wurde, wie Medien behaupteten, ist laut Christian Pilnacek, Generalsekretär des Justizministeriums, nicht wahr. Die Rechtsextremismus-Expertin geriet ins Visier der Ermittler, weil sie ein Naheverhältnis zu einem der Verdächtigen haben soll.

Steuerfahnder

Die sichergestellte Festplatte war auch nicht in der Hand der Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität (EGS), die bewaffnet und mit Schutzwesten ausgerüstet vergangene Woche Büros im BVT und private Wohnungen im Auftrag der WKStA durchsuchte. Die Datenträger des BVT wurden nämlich von IT-Experten der WKStA und der Steuerfahndung im Beisein des Sachverständigen Andreas W. sichergestellt.

Üblicherweise betraut die Justiz bei Ermittlungen in Sachen Amtsmissbrauch das Bundesamt für Korruptionsbekämpfung (BAK) des Innenministeriums. Doch dem BAK vertraute die Korruptionsstaatsanwaltschaft in dieser Causa nicht – weil in den Anzeigen angebliche Verflechtungen zwischen BAK- und BVT-Beamten angeführt werden.

Die zwei Hauptanschuldigungen stehen damit auf schlichtweg dünnen Beinen. Warum die Staatsanwaltschaft in diesem Fall mit der Kavallerie angerückt ist, und nicht einfach die verdächtigen BVT-Mitarbeiter einvernommen hat, ist unklar.

30 Seiten starke Beschwerde

Anwalt Johannes Neumayer hat für seinen Mandanten eine 30 Seiten starke Beschwerde gegen die Hausdurchsuchung bei Gericht eingebracht, und auch Anwalt Otto Dietrich hält die Hausdurchsuchung für völlig überzogen.

Fakt ist, der Hausdurchsuchungsbefehl wurde von einem Richter des Landesgerichts Wien genehmigt. Das Justizministerium erfuhr davon erst am Tag nach der Razzia.

Opposition fordert Aufklärung

Am 28. Februar 2018 wurde offenbar eine Polit-Affäre ausgelöst. An dem Tag wurden auf richterliche Anordnung im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und in Wohnungen von BVT-Mitarbeitern Hausdurchsuchungen durchgeführt.

Die Razzien haben mit einer zeitlichen Verzögerung auch die Oppositionsparteien wachgerüttelt. Sie orten als Ursache für die Ermittlungen gegen BVT-Beamte eine Umfärbe-aktion durch das blaue Innenministerium.

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Innenminister Herbert Kickl

Innenminister Herbert Kickl hingegen sagte, er sei für das Verfahren nicht verantwortlich, das führe die Staatsanwaltschaft. Allerdings räumte er am Freitag schon ein, dass er BVT-Chef Peter Gridling ablösen lassen werde. „Er könne ja nicht so tun, als ob das nichts wäre“, sagte Kickl.

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Im Laufe des Septembers werden weitere Papiere und Mails Silbersteins publiziert: Stärke-Schwächen-Analysen und pikante SPÖ-Interna bis hin zu jenem Mail, das Kanzler Kern als politisch unerfahren, sprunghaft und eitel beschreibt. Die SPÖ vermutet als Quelle des Informationslecks eine ehemalige Silberstein-Mitarbeiterin, die über gute Kontakte zu ÖVP und NEOS verfügen soll.

SPÖ-Chef Christian Kern kündigte zum Thema BVT eine parlamentarische Sondersitzung an und droht sogar mit einem etwaigen Untersuchungsausschuss.

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Neos-Chef Strolz beruft den Nationalen Sicherheitsrat ein. Dort soll auch Justizminister Josef Moser Auskunft geben. Bundespräsident Alexander Van der Bellen meldete sich zu Wort. Er fordert „rasche und vollständige Aufklärung“. Die Vorgänge rund um das BVT seien „höchst befremdlich“.

BVT-Affäre schlägt hohe Wellen

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