Immer mehr Erwerbstätige trotz Job auf Wiener Mindestsicherung angewiesen

Immer mehr Erwerbstätige trotz Job auf Wiener Mindestsicherung angewiesen
Immer öfter muss das Gehalt mit der Mindestsicherung aufgestockt werden. Gesamt ist die Zahl der Bezieher leicht gesunken, die Kosten sind aber gestiegen.

Im Vergleich zu 2021 ist die Zahl der Mindestsicherungsbezieher um ein Prozent gesunken. Das geht aus dem Jahresbericht der Wiener Mindestsicherung 2022 hervor, die Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) gestern präsentierte.

Mit exakt 134.303 Personen ist die Zahl der Beziehenden damit auf dem niedrigsten Wert seit Beginn der Flüchtlingsbewegung im Jahr 2015. Der Höchstwert wurde 2017 mit über 150.000 Beziehenden erreicht.

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Eine Entwicklung, die auffällt: Die Gruppe der sogenannten „Working Poor“ wird immer größer. Bedeutet: Trotz Job reicht das Einkommen nicht aus, um alltägliche Kosten zu decken.

Immer mehr Erwerbstätige trotz Job auf Wiener Mindestsicherung angewiesen

Die Zahl der Mindestsicherungsbezieher ist von 2021 auf 2021 um ein Prozent gesunken.

In Wien waren 2022 insgesamt 11.429 Erwerbstätige auf die Mindestsicherung angewiesen. Das sind 13,5 Prozent mehr als noch 2021 und beinahe jede sechste beziehende Person im Erwerbsalter.

„Ein gutes Drittel der Betroffenen geht einer Vollzeitbeschäftigung nach, ist aber im Niedriglohnsektor oder in prekärer Beschäftigung tätig“, berichtete Agnes Berlakovich, Leiterin der Abteilung Soziales (MA 40).

Einkommen sinkt

Veränderungen gab es auch bei der Höhe des Einkommens (siehe Grafik). Eine Bedarfsgemeinschaft, die durchschnittlich aus zwei Personen besteht, hatte zusammen 672 Euro – elf Euro weniger als 2021 – zur Verfügung.

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Die Einkommenshöhe aller Mindestsicherungsbeziehenden stieg geringfügig von 284 Euro auf 287 Euro. Das liegt daran, dass die Einkommenshöhe jener Personen, die ein Einkommen aufweisen, deutlich gesunken ist – von rund 528 Euro auf 519 Euro.

Immer mehr Erwerbstätige trotz Job auf Wiener Mindestsicherung angewiesen

Bezieher der Wiener Mindestsicherung teilen sich in vier Gruppen auf.

Die Anzahl der Alleinerziehenden in der Mindestsicherung ist 2022 leicht zurückgegangen (minus 98 Personen), die Abgänge sind im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Laut Bericht schafften die meisten den Sprung in die Beschäftigung.

750 Millionen Euro

Obwohl die Zahl der Beziehenden leicht gesunken ist, steigen die Ausgaben von 733 Millionen auf über 750 Millionen Euro. Dafür verantwortlich ist laut Rathaus einerseits die Teuerung und andererseits, dass AMS-Leistungen nicht valorisiert werden, also keine automatische jährliche Erhöhung erfolgt. Im Gegenteil, die AMS-Leistungen pro Person seien sogar gesunken.

Peter Hacker

Wiens Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) fordert von der Bundesregierung Maßnahmen gegen die steigende Armutsgefährdung.

„Die AMS-Leistungen werden nicht valorisiert, gleichzeitig hält die Lohnentwicklung mit der Teuerung nur unzureichend Schritt und die Sozialsysteme müssen diese Fehlentwicklungen ausgleichen. Die Mindestsicherung sollte ein Sprungbrett in die Selbsterhaltung sein, aber nicht systemische Missstände in anderen Bereichen ausgleichen“, kritisierte Hacker. Von der Bundesregierung fordert er, dass Sozialhilfe-Grundsatzgesetz anzupassen sowie die Tagessätze zu erhöhen.

Einschnitte bei Familien

Verschlechterungen kommen auf Paarhaushalte zu, wie die Stadt warnt. Grund dafür ist eine Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, wonach Wien mit 1. Jänner 2024 die Paarrichtsätze von 75 auf 70 Prozent reduzieren muss. Davon betroffen sind rund 10.000 Paarhaushalte, insbesondere Familien mit Kindern.

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Die bereits bestehende Differenz der Mindestsicherung zur von der Statistik Austria definierten Armutsgefährdungsschwelle (1. 392 Euro für einen Einpersonenhaushalt pro Monat) sowie zu den tatsächlichen Kosten für Paare mit Kindern werde somit nochmals größer.

Bundesländervergleich

Was die Versorgung von armutsgefährdeten Personen betrifft, zeigen sich im Bundesländervergleich deutliche Unterschiede: Laut Daten der Statistik Austria sind es in Vorarlberg 16 Prozent, in Salzburg und der Steiermark 13 Prozent. Mit 39 Prozent in Wien weist kein anderes Bundesland eine ähnlich hohe Versorgungsquote auf.

Somit befinden sich vier von zehn armutsgefährdeten Wienerinnen und Wienern in der Mindestsicherung. Dieser Wert hat sich gegenüber dem Vorjahr um vier Prozentpunkte erhöht.

Die ÖVP sah in einer ersten Reaktion einen Beleg für die Schwächen der Wiener Mindestsicherung. „Es muss sich um eine Überbrückungshilfe handeln, aber um keine Dauerhängematte“, so Sozialsprecherin Ingrid Korosec. In ihrer jetzigen Form sei die Mindestsicherung aber ein Anziehungsfaktor für Zuwanderung.

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