Historischer Waffenfund in Wien: Gewehre für den Aufstand
Gemunkelt hat man es in der Wiener Familie Bucina schon immer. Dass es in den 1930er-Jahren Verwicklungen mit dem republikanischen Schutzbund gab (siehe Infokasten "Start und Ende des Schutzbunds").
Dass man Waffen für die Aufstände gegen das austrofaschistische Dollfuß-Regime versteckt habe. Von Anklagen war die Rede, von Verhaftungen und auch von Schikanen durch die Obrigkeit.
Aber bisher waren es immer nur Gerüchte gewesen. Hörensagen. Und die älteren Mitglieder der Familie, die es noch genau hätten wissen können, kann man nicht mehr fragen: Sie sind tot.
Republikanischer Schutzbund
Gegründet wurde er 1923/’24 als paramilitärische Organisation der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP)
Staatsstreich
Nachdem Engelbert Dollfuß 1933 nach einem Staatsstreich eine austrofaschistische Diktatur aufgebaut hatte, forderte der Schutzbund einen offenen Kampf auf der Straße. Die sozialdemokratische Führung sprach sich aber dagegen aus
Verbot
Am 31. März wurde der Schutzbund offiziell verboten, wurde als illegale Organisation aber weitergeführt
Februaraufstand 1934
Die Kämpfe gegen die Dollfuß-Diktatur von 12. bis 15. Februar 1934 markieren das Ende des Schutzbundes. Start des Aufstands war die Durchsuchung des Linzer Hotels Schiff, dem Parteiheim der Sozialdemokraten. Gesucht wurden versteckte Waffen – wie jene, die nun in Wien gefunden wurden
Im Dezember 2020 wird dann relativ schnell klar, dass an den Gerüchten etwas dran sein dürfte. Nachdem Wasser in die Dachböden des Hauses im 19. Bezirk in Wien eingedrungen ist, machte sich der in die Familie eingeheiratete Paul Sluga mit Taschenlampe bewaffnet auf, um nach dem Rechten zu sehen.
Unter Sägespänen
"Die Dachböden waren kniehoch mit Sägespänen gefüllt", sagt Sluga. Sie dienten dem ehemaligen Bierdepot – errichtet um 1820 – als Wärmedämmung. "Als ich da oben herumgeklettert bin, bin ich plötzlich über einen Leinensack gestolpert."
Als ich am Dachboden herumgeklettert bin, bin ich plötzlich über einen Leinensack gestolpert.
Beim Ertasten war sich Sluga schnell sicher, dass es sich um Gewehre handelt. Zum einen wegen der eindeutigen Form. "Außerdem wurde kurz davor mein Büro, das auch in dem Gebäude ist, umgebaut. In der Mauer wurden auch zwei Gewehre gefunden", erzählt er.
Der 42-Jährige kontaktierte das Wien Museum – und erntete Begeisterung. "Dass Gewehre versteckt worden sind, ist nicht neu", sagt Historiker Werner Schwarz. "Aber so einen ungewöhnlichen Fund in Händen zu halten, macht Geschichte erst so richtig angreifbar."
Seit elf Jahren ist Schwarz im Wien Museum beschäftigt, so einen Fund gab es in seiner Zeit noch nie.
Derzeit recherchiert Schwarz die Geschichte der Familie Bucina. Dank des Archivs der Österreichischen Nationalbibliothek hat er bereits Zeitungsartikel zu einem Gerichtsverfahren von 1934 wegen versteckter Gewehre entdeckt.
Unterschiedliche Quellen, unterschiedliche Auffassungen
Die Auslegung der Geschehnisse ist je nach Quelle unterschiedlich. In der damals illegalen Arbeiterzeitung der Sozialdemokratie wird von einem "unfairen Prozess" berichtet – und dass die Familie Bucina gar nichts von versteckten Waffen gewusst habe.
Es wäre stattdessen ein Angestellter gewesen. Die regierungstreuen, also dem austrofaschistischen System zugeneigten Medien, unterstellen den Bucinas hingegen eine Beteiligung an den Februaraufständen (siehe Infokasten).
Historiker Schwarz will sich nun Gerichtsakten vornehmen und das Archiv der Sozialdemokratie. "Und vielleicht gibt es innerhalb der Familie noch etwas, von dem die Nachfahren selber gar nicht wissen, dass sie es haben."
Man dürfe auch nicht vergessen, sagt Schwarz, dass das damals für alle Beteiligten sehr schwierig gewesen sein müsse und darum vielleicht auch nicht offen angesprochen wurde. Vater und Sohn Bucina dürften jedenfalls für mehrere Jahre eingekerkert worden sein.
Auch von einem Suizid des Sohnes wegen der Unterdrückung durch das Regime ist die Rede, erzählt Sluga. Ob der Suizid tatsächlich stattgefunden hat, weiß die Familie nicht.
Unklar ist auch, wie es den anderen Verwandten ergangen ist, mit zwei verurteilten Sozialdemokraten – also Widerstandskämpfern – in der Familie.
Ausstellung im Wien Museum
Die Waffen, die derzeit in einem Stickstoffbad gelagert werden, sollen jedenfalls Teil der permanenten Dauerausstellung des Wien Museums werden.
"Sie eigneten sich ausgezeichnet, um ein Gespräch über die Zwischenkriegszeit, Diktaturen, Waffengewalt und Konfliktlösungsmöglichkeiten zu beginnen", sagt Kurator Schwarz. "Das ist das, was unser Museum so besonders macht. Wir vermitteln nicht nur Wissen, das kann man ja nachlesen. Wir erzählen die Geschichten dahinter."
Die neue Ausstellung wird allerdings nach dem Umbau des Wien Museums im Herbst 2023 zu sehen sein.
Kommentare