Vom Dachboden ins Wien Museum: Als der Dom den Dom verließ
Zehn Stockwerke geht es von der Luke in der Decke des Mittelschiffes abwärts. Schwindelerregend hoch. Und doch wurde Montagnachmittag Kiste um Kiste ins Kirchenschiff des Stephansdoms abgeseilt. Darin gut verpackt: der Stephansdom – in Miniaturformat.
Ja, richtig gehört: Wo andere ihr Gerümpel aufbewahren – auf dem Dachboden – lagert seit 1974 ein Dom im Dom. Nämlich ein fünfeinhalb Meter großes Modell von St. Stephan (Maßstab 1:25), in der Öffentlichkeit war es bisher kaum bekannt.
Im 19. Jahrhundert von Modellbauer Carl Ferdinand Schropp gebaut, geht das Modell nun im Rahmen einer Schenkung an das Wien Museum. Es soll ab 2023 eines der Herzstücke der Dauerausstellung zur Geschichte der Stadt werden. Es ist eine Heimkehr: Bereits von 1904 bis 1974 gehörte das Modell zur Sammlung, ehe es aus Platzgründen ausgemustert wurde.
Für Direktor Matti Bunzl ein aufregender Moment. Nicht nur, weil er auch etwas Respekt vor der Höhe hat. „Museumsarbeit ist ultimative Teamarbeit. Da müssen so viele Dinge ineinandergreifen. Und jetzt sieht man, wie gut das funktioniert“, sagt er. Tatsächlich haben zwei Restauratoren mit vier Mitarbeitern das Modell vorsichtig auseinandergenommen.
60 Einzelteile wurden in 18 Kisten verpackt, die nun vom Dachstuhl abgeseilt wurden. Sie werden nun in das Depot des Museums transportiert und vorsichtig restauriert.
Von Gotik und Reisen
Für Kurator Sándor Békési ist es ein Schatz, den sich das Museum sichern konnte. Von 1849 bis 1859 hat Schropp an dem Modell aus Holz, Pappe und Papier gearbeitet und den Dom von außen nahezu detailgetreu verewigt, wie auch Dombaumeister Wolfgang Zehetner bestätigt.
Ein paar Details, wie etwa die Uhr am hohen Turm, sind nicht ganz akkurat. Er selbst sei etwas traurig, dass das Modell seinen Platz wechsle, sagt Zehentner. Dafür könne es nun angemessen bewundert werden.
Was die Detailtreue betrifft, schaut Innen die Sache ganz anders aus. Da Schropp im Boden des Doms eine Öffnung gelassen hat, können Neugierige den Kopf ins Innere stecken. Und da entpuppt sich der Stephansdom als klassisch gotische Kirche, bar jeglicher barocken Einflüsse.
Wie viele Zeitgenossen sei Schropp vom Mittelalter fasziniert gewesen, erklärt Békési. Ob es derartige Pläne für den Dom tatsächlich gab, oder das Interieur nur Schropps Fantasie entsprang, wisse man heute nicht mehr. „Es ist jedenfalls ein wichtiges kulturhistorisches Dokument“, sagt der Kurator.
Denn: Derartige Modelle waren im 19. Jahrhundert en vogue. Damals begann das Interesse am Reisen. Wer sich das nicht leisten konnte, konnte die Sehenswürdigkeiten anderer Länder immerhin im Miniaturformat bewundern.
Das Modell war ein Geschenk von Stadtrat Ludwig Zatzka an die Städtischen Sammlungen anlässlich Karl Luegers 60. Geburtstag, lange stand es im Rathaus als Teil der städtischen Sammlung. Und so schaute auch der aktuelle Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) vorbei, als der Dom den Dom verließ.
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