Gernot Blümel und seine Wiener ÖVP im Zwiespalt
„Bitte stellen Sie auch zu Wien-Themen Fragen“, versuchte Gernot Blümel das Interesse der anwesenden Journalisten auf das eigentliche Thema der Pressekonferenz zu lenken. Mit einem für ihn eher ungewöhnlichen Anflug von Selbstironie.
Seit Langem hielt der Finanzminister – im Nebenberuf immerhin Chef der Wiener ÖVP – am Donnerstag wieder einmal einen stadtpolitischen Medientermin ab. Dennoch wollte sich für seine Ausführungen („Wien auf Wachstumskurs bringen“) partout niemand interessieren. Stattdessen musste Blümel eine halbe Stunde lang Journalisten-Fragen beantworten, wie denn seine jüngst aufgetauchten Chats mit Ex-ÖBAG-Chef Thomas Schmid zu verstehen seien (mehr dazu hier). Seiner Parteikollegin, Stadträtin Isabelle Jungnickel, blieb überhaupt nur die Rolle der unbeachteten Statistin.
Die Szene ist sinnbildlich für den aktuellen Zustand der Wiener Türkisen: Die Partei, lange gefürchtet für ihre generalstabsmäßig geplante Message Control, verschafft sich mit ihren Themen immer schwerer Gehör. Und das gilt ganz besonders für ihren Parteichef: Zu drückend ist die Last der Probleme der Partei auf Bundesebene rund um die Enthüllungen aus dem Ibiza-U-Ausschuss.
Umfragen-Absturz
Das schlägt sich auf die Umfragen nieder. Wie berichtet dümpelt die Wiener ÖVP aktuell bei rund 15 Prozent herum. Das ist weit entfernt von den 20,4 Prozent, die die Türkisen noch bei der Wien-Wahl im Oktober einfahren konnten. Die sich vom Ibiza-Desaster erholende FPÖ ist schon wieder sehr nahe gerückt. Wenn es um die fiktive Bürgermeister-Direktwahl geht, hat FPÖ-Chef Dominik Nepp Blümel in Umfragen sogar schon überholt.
Parteiintern macht man vor allem die jüngsten Anschüttungen durch den politischen Gegner für diesen doch sehr deutlichen Abwärtstrend verantwortlich. Gepaart mit dem Frust vieler Wähler über die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung (was auch für das Wiedererstarken der FPÖ verantwortlich ist). Zudem habe man mit SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig einen Gegenspieler, der durchaus geschickt agiere, heißt es aus türkisen Kreisen nicht ohne Anerkennung.
Unklare Linie
Ein richtiges Rezept für diese vielschichtigen Herausforderungen hat man offenbar noch nicht gefunden. Vor allem im Stil des Auftretens scheint aktuell eine klare Linie zu fehlen: Einerseits setzt man auf schrille Attacken auf die Stadtregierung, die an das oft von der SPÖ beklagte „Wien-Bashing“ aus dem Wahlkampf erinnern. Gemeint sind damit überzogene Angriffe im Dauerfeuer, die eher aus Prinzip erfolgen und nicht immer mit sachlicher Kritik zu tun haben.
Beispielhaft das jüngste Video der ÖVP-Gemeinderätin Laura Sachslehner. Darin wandelt die 26-Jährige durch die düstersten Ecken der Stadt, wo der Verputz von beschmierten Wänden bröckelt. „Wien ist das Armenhaus der Republik“, klärt sie den Zuseher auf. „Und am Ende bleiben genau die, die jeden Morgen aufstehen und ihren Beitrag leisten, auf der Strecke.“
Ähnlich angriffig agiert Klubchef Markus Wölbitsch, der zuletzt nach der breiten Kritik an der Islam-Landkarte der Bundesregierung den Spieß umdrehte und der Wiener SPÖ vorwarf, den politischen Islam zu ignorieren.
Plötzlich handzahm
Vergleichbares hätte man früher auch von Blümel vernehmen können, doch er gibt sich aktuell handzahm. Statt wie Jungnickel die rot-pinke Wirtschaftspolitik zu geißeln, lobte er am Donnerstag den Kampf der rot-pinken Koalition gegen die wirtschaftlichen Pandemie-Folgen: „Die Stadtregierung hat ihr Bestmögliches getan.“ Zudem hob er die gemeinsamen Bemühungen von Bund und Stadt in diesem Zusammenhang hervor. Nur am Rande erwähnte er, dass andere Städte nach aktuell ein höheres Wachstum hätten.
Kalkül, um die Gesprächsbasis zur Stadt zu erhalten? Die Erkenntnis aus dem Wahlkampf, dass allzu wüste Angriffe auf Wien der SPÖ eher nützen als schaden? Denn damals erweckten die Roten den Eindruck, es sei ihnen gar nicht unrecht, von der ÖVP attackiert zu werden. Dadurch konnten sie sich als Opfer inszenieren, was half, intern die Reihen zu schließen.
Die Motive hinter Blümels Kurswechsel bleiben offen. Er muss schließlich Fragen zu seinen Chats beantworten.
Gernot Blümel
Geboren 1981 in Wien, zählt Gernot Blümel zu den engsten Vertrauten von Bundeskanzler Sebastian Kurz. Auch seine Polit-Karriere begann in der Jungen Volkspartei. Der studierte Philosoph wurde 2013 Generalsekretär der ÖVP. In der ÖVP-FPÖ Regierung als Kanzleramtsminister tätig, wurde er in der türkis-grünen Regierung 2020 Finanzminister
Ermittlungen
Im Zuge der Casinos-Affäre wird gegen Blümel ermittelt. Es geht um den Verdacht der Korruption und Bestechlichkeit. Blümel bestreitet alle Vorwürfe
Wiener ÖVP
Nach der Wahlschlappe 2015, als die ÖVP auf 9,2 Prozent abstürzte, löste Blümel Manfred Juraczka als ÖVP-Parteichef ab. Diese Funktion behielt er auch nach seinem Wechsel in die Bundesregierung. Bei der Gemeinderatswahl im Oktober 2020 trat er als Spitzenkandidat an
20,4 Prozent
erreichte die ÖVP unter Blümel bei der vergangenen Wien-Wahl
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