Faktencheck: Fünf Mythen rund ums Wiener Parkpickerl
Ab März 2022 wird ganz Wien zur Parkpickerlzone – und seit die Stadtregierung die Erweiterung des umstrittenen Modells beschlossen hat, wird emotional diskutiert. Die Opposition spricht von Abzocke, die Umlandgemeinden rüsten gar mit einem eigenen Modell zum Gegenschlag – die zuständige Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) hingegen freut sich.
Seit Jahren schon ranken sich urbane Mythen um das Pickerl. Der KURIER hat jetzt die gängigsten Argumente für und gegen das Modell auf ihren Wahrheitsgehalt abgeklopft.
Das Parkpickerl sorgt für mehr Pkw-Verkehr innerhalb der Bezirke
Vor allem die Grünen führen dieses Argument gegen das Pickerl ins Treffen: Die Bewohner, so die Befürchtung, würden für kurze Strecken im Bezirk nicht mit Öffis und Rad fahren, sondern wieder den Pkw nutzen. Schließlich gibt es, weil der Parkdruck sinkt, für sie nun wieder freie Parkplätze. Das widerspreche den Klimaschutzzielen der Stadt.
Ganz falsch dürfte dieses Argument nicht sein. Das legen Untersuchungen nahe. Im Jahr 2019 wurde in einer Studie für die MA 18 (Stadtentwicklung) die Pickerl-Einführung in Währing (2016) und Favoriten (2017) analysiert.
Durch die Maßnahme ging demnach in beiden Bezirken die Belegung der Stellplätze deutlich zurück. In Währing von 90 auf 70 Prozent, in Favoriten von 81 auf 62 Prozent.
Die bessere Verfügbarkeit von Parkplätzen animierte Bewohner aber tatsächlich, kurze Wege innerhalb des Bezirks mit ihrem Pkw zurückzulegen. „Die jetzt verfügbaren Stellplätze haben neue Fahrten generiert“, heißt es explizit in der Studie.
Die Folgen der Einführung des Pickerls 2018 in Simmering wurden ebenfalls untersucht. Die Studie lieferte ähnliche Ergebnisse: Rückgang der Parkplatz-Auslastung und der Fahrzeuge ohne Wiener Kennzeichen, aber hoher Zonenbinnenverkehr.
Experten fürchten, dass der Effekt in großflächigen Bezirken wie Floridsdorf oder Donaustadt nach der Einführung des Pickerls noch stärker zum Tragen kommt.
Was sagt Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) dazu? Sie kennt die Studie ebenfalls, fokussiert aber auf die Gesamtzahl der Fahrten in den Bezirken: Insgesamt sinkt der Fließverkehr – das belegt die Studie aus Favoriten und Währing – durch das Pickerl nämlich, da Pendler fernbleiben und Bezirksfremde mit Öffis anreisen.
Eine mögliche Lösung wären kleinere Zonen. Sprich: Wer ein Pickerl hat, dürfte damit nicht im gesamten Bezirk parken, sondern nur in einem kleinen Gebiet rund um seinen Wohnort. Bürgermeister Michael Ludwig stieß vor einiger Zeit ein derartiges Modell an. Derzeit ist es Zukunftsmusik.
Die Ausweitung des Parkpickerls ist bloße Autofahrer-Abzocke
Ein Vorwurf, den man vor allem von ÖVP und FPÖ hört. Ob er richtig ist, ist schwer festzustellen. Die Stadt verweigert jede Auskunft darüber, wie viel sie über das Parkpickerl, Parkscheine und Strafen derzeit einnimmt – und was die Ausweitung finanziell bedeutet.
Im Büro der Verkehrsstadträtin verweist man an das Büro des Finanzstadtrates. Man kenne die genauen Zahlen gar nicht, das Geld lande ja direkt bei Peter Hanke (SPÖ). Dort will man auf KURIER-Anfrage keine Zahlen nennen.
Vorgeschichte
Der 1. Bezirk war im Juli 1993 der erste, der eine Parkraumbewirtschaftung eingeführt hat. In den folgenden Jahren folgten schrittweise immer mehr Bezirke, bis zuletzt nur mehr Hietzing, Floridsdorf, Donaustadt und Liesing pickerlfrei waren
Kritik
Aufgrund dieser Situation, der unterschiedlichen Regeln und Ausnahmen innerhalb der Pickerl-Bezirke war das System zuletzt sehr unübersichtlich; der Ruf nach einer einheitlichen Regelung wurde in den vergangenen Jahren immer lauter
Gescheiterter Versuch
Auf Basis eines neuen Landesgesetzes strebte die rot-grüne Regierung im Vorjahr eine Wien-weite Lösung an. Favorisiert wurde damals noch ein Drei-Zonen-Modell, wobei Parken im Zentrum teurer gewesen wäre als am Stadtrand. Aufgrund rechtlicher Probleme kam dies aber nicht zustande
Künftiges Modell
Im Frühjahr dieses Jahres präsentierte Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) eine andere Variante, die kein neues Modell bringt, sondern nur die Ausweitung des bestehenden Modells auf ganz Wien ab März 2022 bedeutet. Der wichtigste Eckpunkt: Die Kurzparkzeiten gelten in ganz Wien einheitlich: Montag bis Freitag von 9 bis 22 Uhr für maximal zwei Stunden
Bekannt sind alte Zahlen: Im Jahr 2015 nahm die Stadt mehr als 110 Millionen Euro mit dem Parken ein, 2019 waren es 123 Millionen Euro. Mit der Erweiterung auf die großen Flächenbezirke könnten die Einnahmen auf 180 Millionen steigen, schätzen Insider.
Das Fazit: Die Intransparenz der Stadt nährt den Verdacht, dass die Kritiker nicht ganz falsch liegen.
Das eingenommene Geld wird zweckgebunden für Öffi-Projekte verwendet
Das Geld, das durch die Regulierung des ruhenden Verkehrs eingenommen wird, sei seit 2007 zweckgewidmet, heißt es auf der Website der Stadt. Es fließe in die Verbesserung des Öffi-Verkehrs, in Park-and-Ride-Anlagen und die Förderung des Radverkehrs. Experten kritisieren, dass die Selbstverpflichtung nicht juristisch bindend sei. Ob die Gelder tatsächlich dahin fließen, sei also fraglich.
Verkehrsstadträtin Ulli Sima gibt den Kritikern Recht: Eine formelle Zweckbindung sei nicht möglich. Wohl aber eine „informelle“: Schließlich gebe man „deutlich mehr für die Öffis aus, als wir über den Pkw-Verkehr einnehmen“.
Durch die flächendeckende Einführung wird alles „viel einfacher“
Sima freut sich nicht zuletzt über die Vereinheitlichung der Kurzparkzeiten und die Vereinfachung des Systems. Aber wird wirklich alles klarer?Vor allem in nicht SPÖ-geführten Bezirken regt sich Widerspruch: „Wer zahlt das jetzt?“, sagt etwa Daniel Resch (ÖVP), Bezirkschef in Döbling. Schließlich müsse man Schilder austauschen, neue Bodenmarkierungen seien nötig.
Auch die Ausnahmen in Einkaufsstraßen seien unklar. Zudem tauche die Frage auf, ob man nachzahlen müsse, wenn man in einem Außenbezirk das Pickerl bereits für zwei Jahre gekauft habe. Schließlich steige der Preis von 7,50 Euro auf 10 Euro pro Monat.
In Hietzing, wo man sich „genötigt“ fühlt, das Pickerl einzuführen, fordert Bezirkschefin Silke Kobald (ÖVP) Lösungen für die Anrainer rund um Schönbrunn – etwa mit einer Sonderzone ähnlich jener bei der Stadthalle, wo die Kurzparkzone länger und auch am Wochenende gilt. Sie will zudem Lösungen für pflegende Angehörige oder Menschen mit Zweitwohnsitz.Einige Fragen kann Sima direkt beantworten: Die Kosten für Schilder und Markierungen trägt zur Gänze die Stadt.
In Geschäftsstraßen im eigenen Bezirk können Pickerlbesitzer wie bisher 1,5 Stunden gratis parken und müssen nur eine Parkuhr stellen. Und: Der neue Pickerl-Preis ist erst zu entrichten, wenn man das nächste Pickerl kauft.
Wobei Sima nicht von einer Erhöhung sprechen will: „Das Pickerl wird nicht teurer, nur seine Geltungsdauer wird verlängert.“ Und: Für jene, die in einem Bezirk parken müssen, in dem sie nicht wohnen (etwa Pflegepersonal), soll es auch künftig Einzelfallgenehmigungen geben.
Ein „Drei-Zonen-Modell“ wäre die bessere Lösung
Das Modell (Details s. rechts) hätte einen wünschenswerten Lenkungseffekt, heißt es. Sima widerspricht: Da das Pickerl auf den Wohnort abstellt, gebe es gar keinen Lenkungseffekt. „Oder sollen Menschen aus Innenbezirken wegziehen, weil das Pickerl dort teuer ist?“ Unterschiedliche Pickerlpreise wären eine „Wohnsitzdiskriminierung“, sagt Sima.
Möglich wären hingegen nach Bezirk gestaffelte Preise für Kurzparker, sie hätten auch einen Lenkungseffekt. Im Büro Sima will man derartige Pläne nicht bestätigen. Insider gehen aber davon aus, dass ein Zonen-Modell für Kurzparker die Zukunft sein könnte. Nicht zuletzt, weil es zur geplanten Verkehrsberuhigung der Inneren Stadt beitragen könnte.
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