Es gibt nur zwei Gründe, einkaufen zu gehen
Als sie mit ihrer Tochter auf der Rolltreppe nach unten fährt, kommt ihr ein Quietschen aus. Fast so wie der Frau in der bekannten Zalando-Werbung, die ihr Paket geliefert bekommt und vor lauter Freude zu schreien beginnt.
Auch die Frau auf der Rolltreppe freut sich. Sehr sogar. Sie ist Samstagvormittag auf dem Weg ins Untergeschoß eines der größten Modehäuser auf der Wiener Mariahilfer Straße – endlich. „Es war schon so mühsam, immer nur daheim zu sein“, sagt sie, angesprochen auf das doch recht deutliche Quietschen.
Am Samstag durften erstmals nach dem Shutdown wieder alle Geschäfte in Österreich aufsperren. Nach den Baumärkten und kleinen, die am Dienstag nach Ostern wieder öffnen durften, folgten Geschäfte ab 400 Quadratmeter Fläche, Möbelhäuser und Friseure.
Wer gedacht hat, dass sich die Lust am Shoppen nach fast sieben Wochen in Isolation und täglicher Konfrontation mit dem Coronavirus in Grenzen halten wird, ist weit gefehlt.
Weder die Pflicht, beim Einkaufen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, noch die Aufforderung, die Hände vor dem Eintreten in ein Geschäft zu desinfizieren, hielt die Menschen am Samstag davon ab, shoppen zu gehen.
Schlangen vor Thalia, Blockabfertigung bei Gern-groß, bis zu einer Stunde Wartezeit auf einen Sneakers-Kauf bei Snipes. „Abnormal ist das“, sagt der Verkäufer in einem Modegeschäft.
Aber ist es das wirklich?
„Es gibt nur zwei Gründe, einkaufen zu gehen“, sagt Cordula Cerha, Professorin für Handel und Marketing an der Wirtschaftsuniversität in Wien. „Versorgung und Freizeitbeschäftigung.“
Sehnsucht und Solidarität
Und uns zu versorgen, das war in den vergangenen fast sieben Wochen der einzige Grund, um überhaupt einkaufen zu gehen. Ausschließlich selber kochen, Einkaufslisten schreiben, nach Möglichkeit einen einzigen Wocheneinkauf machen – so war das für viele schon lange nicht mehr.
„Es gibt eine Sehnsucht nach dem Einkaufserlebnis“, sagt Cerha. Denn abgesehen vom Versorgungsgedanken soll einkaufen vor allem eines: entspannen, Freude bereiteten, belohnen.
Abseits der Mariahilfer Straße – in der Neubaugasse und der Westbahnstraße – wo sich vor allem die kleinen Labels und Einzelhändler niedergelassen haben, ist zwar (auch baustellenbedingt) deutlich weniger los, aber es mangelt auch dort nicht an Kunden. Nur der Grund, warum sie kommen, ist mitunter ein anderer.
„Viele wollen uns jetzt auch einfach unterstützen“, sagt Lisi Lang. Alles in ihrer Boutique „lila“ ist in Wien designt, nachhaltig produziert wird in Wien und Bratislava.
Wer dort einkauft, macht das bewusst. „Die Krise hat – das ist wohl einer der wenigen positiven Aspekte – einen Solidaritätseffekt erzeugt“, sagt Cerha.
Wer kann, kauft bei den heimischen Produzenten und Geschäften, damit sie die Krise überleben können – und nicht bei den internationalen Ketten.
Nur wie nachhaltig dieser Effekt ist, steht noch nicht fest: „Der Konsument vergisst schnell“, sagt Cerha.
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