"Adieu Elternhaus": Experten-Tipps fürs Aufräumen und Abschiednehmen

Ein Schwarzweißfoto von einer Frau, die ein Kind im Arm hält
Steht man vor der Aufgabe, das alte Zuhause aufzulösen, weiß man oft gar nicht, wo man anfangen soll. Eine Expertin gibt Ratschläge.

Man steht in den Räumen, in denen man Kindheit und Jugend verbrachte. Sie sind so vertraut und doch irgendwie fremd. Denn es spielt sich dort kein Leben mehr ab, die Eltern sind ins Pflegeheim gezogen oder verstorben.

Mehr lesen: Persönliche Lebenserfahrung - Mama ging ins Heim

Die Zimmer müssen geleert, Haus oder Wohnung verkauft oder an den Vermieter zurückgegeben werden. Wo beginnen? Sofort stellt sich Überforderung ein, der Stresslevel steigt.

Eine Situation, die Christina Erdmann, Führungskräftecoach und Autorin des neu erschienenen Buches „Adieu Elternhaus“, sehr vertraut ist.

Zum einen löste sie vor Jahren selbst gemeinsam mit ihren Eltern das familiäre Heim auf, bevor diese in eine seniorengerechte Wohnung zogen, zum anderen hilft sie mit ihrer Expertise seither vielen anderen auf diesem Weg.

Im Gespräch mit dem KURIER gibt Erdmann wichtige Tipps:

  • wie am besten entrümpelt wird
  • was man mit den Gegenständen tun soll
  • und seine Emotionen dabei bewältigt

„Es geht schnell, sich zwischen Erinnerungsstücken völlig zu verlieren. Und das macht es so unglaublich anstrengend – man hat ja daneben auch sein ganz normales Leben zu bewältigen“, sagt Erdmann.

Kleine Erfolge, die Platz schaffen

Daher lautet ihr Rat: „Beginnen Sie mit etwas Leichtem.“ Idealerweise etwas, das sichtbar Platz schafft und für einen selbst keine Bedeutung hat – etwa überall herumliegende Tageszeitungen oder Werbebroschüren: Ein Anfangserfolg, der motivierend wirkt.

Damit umzugehen, ist eine der Aufgaben, die einem niemand beibringt

von Christina Erdmann

Autorin

Doch auch die banalsten Gegenstände können plötzlich emotional aufgeladen sein. „In dem Moment, in dem die Dinge nicht mehr durch die Anwesenheit von Mutter oder Vater belebt werden, verändern sie sich. Damit umzugehen, ist eine der Aufgaben, die einem niemand beibringt“, sagt Erdmann.

Mehr lesen: Häusliche Pflege von Angehörigen hat auch positive Seiten

Es ist paradox: Noch vor wenigen Monaten hatte man zur Mutter nur halb-spaßend gesagt, noch nie etwas so Hässliches gesehen zu haben wie ihren sehr violetten, weintraubenförmigen Wasserkrug.

Erdmann: "Das schlechte Gewissen ist verständlich"

Und nun, nach ihrem Tod, schafft man es nicht, sich von diesem Keramik-Monstrum zu trennen. „Das schlechte Gewissen und die Frage ,Was würden meine Eltern dazu sagen‘ permanent im Hinterkopf zu haben, ist so verständlich wie schwierig“, sagt Erdmann.

Es sei also wichtig, sich stattdessen zu fragen, was für einen selbst gut sei, sagt die Expertin: „Ist es wirklich gut für dich, dir 25 Kisten in den Keller zu stellen, sodass du die nächsten Jahre keinen Schritt reinsetzen kannst?“

Behalten, wegwerfen oder verkaufen?

Erschwerend kommt hinzu, dass die meisten nur zwischen den Optionen „Behalten“ oder „Wegwerfen“ schwanken. Dabei gäbe es Alternativen. Wem Verkaufen zu aufwendig sei, der könne Dinge, für die er weder Verwendung noch Platz habe, ja auch spenden.

Denn sogar ein ästhetisch fragwürdiger Weintrauben-Krug kann jemand anderem noch eine große Freude bereiten. Dieser Gedanke kann das Loslassen erleichtern. 

Und der alte Persianer, auf den die Großmutter noch so stolz war, spendet auch zu einer Sofadecke umgearbeitet noch Behaglichkeit und passt auf diese Art vielleicht besser ins eigene Leben. „Da muss man aber erst einmal hinkommen, zu spüren, dass es mehr Optionen gibt, als man im ersten Moment sieht.“

Kleine Aufgaben delegieren

Umso wichtiger ist es, sich in dieser belastenden Zeit Hilfe zu suchen – auch wenn es schwerfällt. „Tatsächlich haben die meisten Leute eine spontane Abwehrhaltung und sagen ,Ich lasse doch nicht andere in den Sachen meiner Eltern wühlen‘“, erzählt Erdmann.

Mehr lesen: Bestattung - Mensch und Tier, auch im Tod vereint

Es gebe aber viele Aufgaben, die man gut an wohlmeinende Menschen abgeben könne, um den eigenen Stress zu reduzieren. Sei es, Geschirr in Zeitungspapier zu wickeln, die Öffnungszeiten des nächsten Mistplatzes zu recherchieren oder einem einfach nur auf die Schulter zu klopfen und zu sagen: „Komm, lass uns weitermachen, wir schaffen das!“ Beim Annehmen von Hilfe gehe es eben in erster Linie um Selbstfürsorge.

„Das Elternhaus aufzulösen, ist immer anstrengend“, sagt Erdmann. Sie plädiert darum, auch auf Pausen zu achten und der Seele einen Moment Zeit zu geben, das Erlebte zu verarbeiten. „Gehen Sie fünf Minuten vor die Türe und atmen tief durch. Auch das ist ein kurzer Moment der Unterbrechung.“

Wenn die Erleichterung einsetzt

Und irgendwann ist man dann tatsächlich fertig. Egal, wie man zum alten Zuhause und den Eltern steht, Erdmann rät in jedem Fall, bewusst Abschied zu nehmen: „Nehmen Sie sich den Moment, Sie bekommen dafür keine zweite Chance.“

Mehr hören: Podcast über Tod - "Die Trauer hat ein schlechtes Image"

Vielleicht kommt dabei sogar Erleichterung auf: Die Zimmer sind leer, es ist jetzt gut so, es ist nicht mehr mein Elternhaus. Und schließt die Türe hinter sich.

Kommentare