Ein Zeitzeuge erzählt, wie er als Kind den Holocaust überlebte
Im Buch "Pepek" zeichnet die Historikerin Shoshana Duizend-Jensen nicht nur die Lebensgeschichte von Josef Salomonovic nach. Sie macht auf Tausende jüdische Schicksale aufmerksam.
Die Spiele der Kinder im Ghetto Lodz spiegeln die dramatische Realität wider: Mädchen spielen Anstellen um das Essen, Diskutieren über Lebensmittelrationen, Buben spielen Krieg zwischen Russen und Deutschen. Sie spielen Aktion, Selektion, Deportation und Transport.
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Die Brutalität, die im zweitgrößten Ghetto Polens herrschte, ist heute kaum vorstellbar. Doch den Kindern, die dort aufwuchsen, muss sie so alltäglich erschienen sein, dass sie sie in ihre Spiele integrierten. Wenn sie überhaupt überlebten; denn nicht nur Erwachsene, auch Kinder wurden aus diesem Ghetto in Vernichtungslager gebracht.
Einer der letzten Zeitzeugen erzählt
Nicht mehr viele Zeitzeugen, die über die Gräuel des Holocaust erzählen können, sind noch am Leben. Doch die Wiener Historikerin Shoshana Duizend-Jensen konnte einen von ihnen interviewen: Josef Salomonovic, genannt Pepek, überlebte nicht nur das Ghetto Lodz, sondern auch fünf Konzentrations- und Vernichtungslager.
Mehrere Monate führten Duizend-Jensen und Salomonovic am kleinen Küchentisch seiner Wohnung in Wien Interviews. Sie sichteten Dokumente, alte Fotos und Briefe. Daraus entstand das Buch „Pepek. Ein Kind überlebt den Holocaust“, das im März erschien: Es erzählt nicht nur die Lebensgeschichte des Protagonisten, sondern viel über jüdische Schicksale während des NS-Terrors.
Shoshana Duizend-Jensen ist Historikerin und Autorin – und sie hat einen Bezug zur jüdischen Geschichte, da sie ist selbst zum Judentum übergetreten ist. „Ich bin in einer katholischen Familie aufgewachsen, war aber fasziniert vom Leben meiner jüdischen Halbschwester“, sagt sie. Und es war auch diese Halbschwester, die 1971 Josef Salomonovic heiratete.
"Hast Du Lust, meine Geschichte aufzuschreiben?"
„Damals war ich erst zehn Jahre alt“, so Duizend-Jensen. Als sie älter war, habe ihr Pepek nach und nach über sein Leben erzählt. Bis er sie eines Tages im Jahr 2019 fragte: „Hast du Lust, meine Geschichte aufzuschreiben?“ Nun, 2024, ist „Pepeks“ Leben zum Buch geworden.
Geboren ist er 1938 im heutigen Tschechien. „Es war eine glückliche Familie – bis die Nazis kamen“, beschreibt Duizend-Jensen.
Hungern, frieren, und einmal die Zunge zeigen
Die Eltern und beide Söhne landete im Ghetto in Lodz; die Erwachsenen und selbst der achtjährige Bruder mussten Zwangsarbeit leisten. Von frühmorgens bis abends war der dreijährige Pepek allein. „Er hat gehungert und gefroren“, erzählt die Autorin. Seine einzigen Freunde waren die jüdisch-polnischen Straßenkinder: „Noch heute kennt er die Lieder, die er mit ihnen gesungen hat.“
Eine seiner Erinnerungen: Als er einen Wagen der Deutschen vorbeifahren sah, zeigte er ihnen die Zunge. Am Abend erzählte er das seiner Mutter. Die schimpfe, dass die Nazis sie dafür umbringen könnten. Da erwiderte Pepek: „Ich bin doch gescheit, ich hab‘ mir dabei die Hand vor den Mund gehalten.“
1942 sollten 20.000 Kinder und Alte aus dem Ghetto in das Vernichtungslager Kulmhof deportiert und vergast werden. Pepek überlebte, da er sich stundenlang mit seiner Mutter am Dachboden versteckte. Danach waren seine Spielgefährten verschwunden – sie waren alle ermordet worden.
Der kleine Bub Pepek überlebte mehrere Konzentrationslager
Unter anderem landete Pepek in den Konzentrationslagern Auschwitz und Stutthof. Zufälle retteten sein Leben; einmal war es die Hilfe einer Aufseherin – nach der er übrigens seine Tochter benannt hat. Doch sein Vater wurde in Stutthof ermordet.
Die Bombardierung Dresdens rettete ihm das Leben
Im Februar 1945 war die Mutter mit beiden Söhnen in Dresden. „Dort versteckte sich Pepek in einer Mülltonne vor einem SS-Mann. Der hat ihn gefunden und gesagt: ,Dieser Dreck gehört weg.’“ Am nächsten Tag sollte der Bub – als Sechsjähriger – zum Erschießungsplatz gebracht werden.
„Die Bombardierung Dresdens hat ihm das Leben gerettet“, sagt die Autorin. „Denn als diese losging, waren alle gemeinsam im Luftschutzkeller und hatten Angst: die Juden und die Nazis.“
Ein neues Leben nach Kriegsende
Nach Kriegsende wurde Josef Salomonovic Ingenieur. Heute ist er 86 Jahre alt und wohnt in Wien. „Er hat Charme, Humor, eine liebevolle, selbstironische Art“, beschreibt Duizend-Jensen. „Er strahlt, ist lustig und sympathisch. Auch wenn ihn seine Erlebnisse sicher nie loslassen werden.“
Shoshana Duizend-Jensen: "Pepek. Ein Kind überlebt den Holocaust". Löcker Verlag. 336 Seiten, 29,80 Euro.
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