Viele Menschen haben Angst vor hohen Kosten
„Es ist schwer vorstellbar, aber es gibt Menschen, die selbst bei starken Schmerzen jahrelang nicht zum Zahnarzt gehen, weil sie Angst vor den Kosten haben“, erklärt Neunerhaus-Geschäftsführerin Daniela Unterholzner.
Viele schämen sich, ihre Zähne zu zeigen
Viele würden sich auch schämen, ihre schlechten Zähne einem Arzt zu zeigen. „Daher ist Einfühlungsvermögen bei uns so wichtig“, betont Medizinerin Julia Comperl. „Wir gehen auf jeden ein, hören jedem zu. Wenn sich jemand fürchtet, atme ich zum Beispiel mit ihm gemeinsam.“ Manchmal entspanne sich der Patient schon nach ein, zwei Minuten – manchmal dauere es auch eine halbe Stunde. „Eine Zeit, die wir uns nehmen.“
Da war zum Beispiel eine Patientin Ende 30, „eine Frau, gebeutelt vom Schicksal“, beschreibt Comperl. „Sie hat so große Angst gehabt, dass sie am ganzen Körper gezittert hat.“ Doch schließlich habe die Patientin Vertrauen gefasst und sich zwei kaputte Zähne ziehen lassen.
Wer schlechte Zähne hat, hat schlechtere Chancen
Armut, Obdachlosigkeit, fehlende Waschmöglichkeiten, Alkohol oder Drogen: All das kann die Gesundheit eines Menschen stark beeinträchtigen, und natürlich auch den Zustand der Zähne. Doch ein gesundes Gebiss sei nicht nur zentral für die Lebensqualität: „Es spielt auch bei der Suche nach einem Job oder einer Wohnung eine Rolle“, erklärt Comperl. Wer schlechte Zähne habe, habe hier auch deutlich schlechtere Chancen.
Aus Verzweiflung falsche Dracula-Zähne gekauft
Erst vor Kurzem sei ein Mann Ende 20 bei ihr gewesen. Der habe sich aus Verzweiflung ein Dracula-Gebiss aus Plastik gekauft. „Solche trägt man sonst nur im Fasching“, sagt die Ärztin. „Er hat die spitzen Eckzähne entfernt und sich das Gebiss dann irgendwie mit Superkleber auf seine Zähne geklebt.“ Sie habe ihn gewarnt, dass Superkleber im Mund sehr gefährlich für die Gesundheit sei. „Und er hat geantwortet: ,Aber Frau Doktor, was soll ich denn tun? Ich bin auf Arbeitssuche‘.“
Was also tun? „Wir haben sein Gebiss Schritt für Schritt saniert“, erwidert die Ärztin. „Sollte er im Bewerbungsgespräch auf seine Zähne angesprochen werden, habe ich ihm gesagt, dass er erklären kann, dass er gerade in Behandlung ist.“
Rund 30 Zahnärzte arbeiten ehrenamtlich mit
Comperl, die zahnärztliche Leiterin, wird von rund 30 Zahnärzten unterstützt, die ehrenamtlich im Einsatz sind. Insgesamt 13.500 Menschen wurden seit Eröffnung der Praxis kostenlos behandelt. Und der Bedarf steigt: Allein 2023 zählte man 2.000 Patienten, davon 177 Kinder. Der älteste Patient war 89, der jüngste noch nicht einmal ein Jahr alt.
Auch am Montagvormittag beim KURIER-Besuch ist der Warteraum voll: Eine Mutter wartet auf ihre Tochter im Teenageralter, die gerade behandelt wird.
Er zitterte am ganzen Körper
Daneben sitzen mehrere Männer; einer von ihnen ist Anfang 30 und stellt sich als Stefan aus Rumänien vor. Mehrere Jahre sei er obdachlos gewesen, erzählt er. „Hundert Mal haben mir Bekannte gesagt, ich soll herkommen. Irgendwann habe ich mich dann getraut.“ Beim ersten Mal habe er am ganzen Körper gezittert. Sechs Besuche hat er mittlerweile hinter sich. Die Angst sei weg, dafür habe er eine neue Prothese – und wieder etwas mehr Selbstvertrauen.
Und was wurde aus dem eingangs erwähnten Mann, der sich nicht zu lächeln traute? „Ich habe mich zu ihm gesetzt und gesagt: Jetzt üben wir gemeinsam, die Zähne zu fletschen“, sagt Comperl. Bis es ihm schließlich gelang, sein Spiegelbild anzulächeln.
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