Bücher kaufen ist nicht gleich Bücher lesen. Oft verschwindet ein lang ersehntes Buch im Bücherregal, auf dem Couchtisch oder auf dem Nachtkästchen und wird dort seinem Schicksal überlassen: dem Verstauben.
Warum Bücher liegen bleiben, hat individuelle Gründe. Zeitmangel vielleicht oder schlicht, weil einen die Wucht des Werkes erschlägt. Trotzdem sind es oft die immer gleichen Schinken, die nicht gelesen werden. Zu diesem Schluss ist Julius Deutschbauer nun gekommen.
Seit 25 Jahren stellt er seine „Bibliothek ungelesener Bücher“ zusammen. Nicht mit den Büchern, die er, Deutschbauer, nicht gelesen hat, sondern die sehr viele Leute nicht gelesen haben. Deutschbauer ist Künstler und die Bibliothek ein Kunstprojekt, mit dem er durch die Lande zieht und für das er mit Menschen darüber redet, welche Bücher sie nicht gelesen haben (siehe Kasten).
Musil, Joyce und Gott
Das am öftesten nicht-gelesene Buch in Deutschbauers Bibliothek ungelesener Bücher? Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“. Zufall ist das keiner, sagt der in Wien lebende Künstler. „Das hängt mit der Erzählung Kreiskys zusammen, der auf seiner Flucht nach Schweden dieses Buch im Gepäck hatte.“ Der Mythos mache das Buch zur Pflichtlektüre.
Auf den Plätzen 2 und 3 im Ranking um die am öftesten nicht gelesenen Bücher: „Ulysses“ vom irischen Schriftsteller James Joyce. Und: die Bibel. Viele in Österreich würden sie eigentlich gern einmal lesen, aber so richtig durchringen kann sich dann selten jemand.
Das Interesse an Büchern ist trotz Pandemie – oder vielleicht gerade deswegen – ungebrochen. Das zeigten nicht nur die langen Schlangen, die sich vor Lockdown-Beginn an den Kassen der Buchläden bildeten, sondern auch Daten der Wiener Büchereien.
5,2 Millionen Entlehnungen zählten die Wiener Büchereien 2020. Das sind zwar um eine Million weniger als 2019, aber: Die Zahl der entlehnten E-Books hat sich alleine von Februar auf April 2020 auf 120.000 verdoppelt. Und das, obwohl die Büchereien in diesem Jahr ganze 13 Wochen geschlossen waren. Und mit 37.600 Neu-Anmeldungen für die Büchereikarte gab es sogar 200 neue Nutzer mehr als noch 2019.
Von Adair bis Zuhr
Wie viele dieser Bücher auch tatsächlich gelesen werden, bleibt das Geheimnis ihrer Leser. Fix ist aber, dass alle Bücher – ob gelesen oder ungelesen – nach der Rückgabe wieder auf den für sie vorgesehenen Platz im Regal gestellt werden: geordnet von A bis Z.
So ist auch Julius Deutschbauers Bibliothek geordnet. Nicht aber nach den Autoren, sondern nach den Menschen, die die Bücher nicht gelesen haben. Es beginnt bei A wie Adair, Bill und endet bei Z wie Zuhr, Otto.
Die darin enthaltenen Exemplare entstammen den zuvor geführten Interviews. „Ich nehme den Menschen ihre ungelesenen Bücher aber nicht ab“, sagt Deutschbauer. Er wolle schließlich niemanden daran hindern, die ungelesenen Bücher doch noch zu lesen. Stattdessen kauft er die ungelesenen Bücher an. So oft, wie ein Buch in den Interviews genannt wird, so oft steht es auch in der Bibliothek. 22-mal etwa „Der Mann ohne Eigenschaften“, 20-mal „Ulysses“, 19-mal die Bibel.
Jedes ungelesene Buch im Regal, sagt Deutschbauer, habe etwas von einem erhobenen Zeigefinger, der sich ermahnend an die Nicht-Leser richte und sie immer wieder zum Lesen auffordere. „Manche Leute legen bei mir eine richtige Beichte ab.“
Ladenhüter
So weit ist es in den Wiener Büchereien noch nicht gekommen. Aber auch dort gibt es Ladenhüter. Von den insgesamt 1,2 Millionen Büchern, die man entlehnen kann, wurden im vergangenen Jahr drei besonders selten ausgeborgt: das „Handwörterbuch des Rätoromanischen“, „Sprachen und Völker der Erde: Linguistisch-ethnografisches Lexikon“ und „Wie bissig ist der Löwenzahn?“.
Damit die eigenen Bücher nicht im Regal, auf den Couchtisch oder aufs Nachtkästchen verschwinden und dort verstauben, müsse man laut Deutschbauer vor allem eines tun: „Kurz hineinlesen. Dann kommen die Bücher wieder.“
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