Der „Wiener Würfel“ ist ein hartes Pflaster
Wenn man an der Oberfläche kratzt, kommt die Vergangenheit zum Vorschein. Das gilt wohl nicht nur in der Psychologie, sondern auch für den Straßenbelag.
Zumindest scheint es so in der Lindengasse: Vergangene Woche wurde auf der U2-Bahnbaustelle (Kirchengasse) der erste Asphalt abgetragen und schon entdeckte man alte Wiener Pflastersteine. Das Echo auf einen Online-Artikel des KURIER war enorm.
Einige historische und gepflasterte Straßen der Stadt
1. Bezirk: Ballgasse, Blutgasse, Blumenstockgasse, Domgasse, Griechengasse, Grünangergasse, Habsburgergasse, Hafnersteiggasse, Jordangasse, Judengasse, Kleeblattgasse, Kurrentgasse, Mölker Bastei, Mölker Steg, Minoritenplatz, Franziskanerplatz, Parisergasse, Salvatogasse, Schottengasse, Schreyvogelgasse, Schultgergasse, Singerstrasse;
3. Bezirk: Ölzeltgasse
5. Bezirk: Hof-, Schlossgasse
8. Bezirk: Wickenburggasse
13. Bezirk: Am Platz,
19. Bezirk: Hammerschmidtg., Greinergasse,
21. Bezirk: Bründelgasse, Rothengasse, Stammersdorfer Kellergasse, Untere Jungenberggasse
Sand unter dem Pflaster
Manche wurden daraufhin nostalgisch: „Bilder aus meiner Kindheit, bitte lasst es so“. Andere eher wütend: „Das weiß doch jeder“.
Eine Überraschung, dass sich unter dem Asphalt noch altes Baumaterial befinde, sei es tatsächlich nicht: „Dass man alte Pflastersteine einfach mit Asphalt begoss, ist in Wien gang und gäbe“, sagt dazu Wolfgang Ablinger.
Der stellvertretende Abteilungsleiter für Bau und Erhaltungsmanagement (MA 28) weiß, wovon er spricht. Es handle sich hier um den „Wiener Würfel“. 1826 wurde dieser Granitstein mit einer Größe von sieben Altwienerzoll eingeführt. Dieser habe ein Maß von 18,5 x 18,5 x 18,5 Zentimeter (manchmal auch 18,5 x 18,5 x 27,8). Er wiegt rund 16 Kilogramm.
Die Pflastersteine durften nicht zu leicht sein, meint der Stein-Experte. Man hatte Angst vor Revolutionen.
„Sous les pavés, la plage"
Pflastersteine konnten zu gefährlichen Wurfgeschossen werden. Wie man etwa bei den Mai-Revolten in Paris 1968 sah: Dort nutzen Studenten die kleinen Pflastersteine als Barrikaden. Der Spruch „Sous les pavés, la plage“ (Unter dem Pflaster, der Strand) wurde zum Leitsatz. Das Pflaster wurde für sie ein Symbol der Autorität, der Sand darunter stellte die „Freiheit“ dar .
Warum in Wien das Pflaster aber nicht einfach entfernt wurde, sondern darüber asphaltiert wurde? „Aus Kostengründen“, sagt der Ingenieur. „Ansonsten müsste man die gesamte Konstruktion entfernen – die Pflastersteine, die Sandbettung“, sagt er. „10 bis 20 Zentimeter darüber zu bauen, ist billiger“, ergänzt er.
Daher findet man in ganz Wien unter der Oberfläche alte Pflastersteine. Ein Beispiel sei der Bauernfeldplatz im 9. Bezirk: Dort entdeckte er gleich zwei Pflasterstein-Schichten unter dem Asphalt. Heute werden Steine nicht mehr im Untergrund gelassen. Denn beim nächsten Umbau müsse man sie so oder so entfernen.
„Wie jetzt in der Lindengasse“, sagt er. Die Pflastersteine seien wohl aus den 70ern und werden an einem der zehn Lagerplätze der MA28 gelagert. „Aber wir haben so viel altes Baumaterial, dass wir heute nicht mehr nützen können, höchstens für Parkplätze“, sagt er. Denn das Pflaster sei nicht behindertengerecht. Außerdem müsse man heutzutage bei Bodenbelägen an die Versickerungsfähigkeit und die Gestaltung eines kühleren Straßenraums denken.
Denkmalschutz
Dennoch gibt es in Wien sogar denkmalgeschützte Pflastersteinstraßen. Das wohl prominenteste Beispiel dafür ist die Höhenstraße. Das Verfahren, ob die Straße denn unter Denkmalschutz zu stellen sei, dauerte 13 Jahre lang. Das Bundesdenkmalamt setzte sich dafür ein, den Abschnitt zwischen der Zwei-Gehängten-Brücke in Hernals und der Grenze zu Niederösterreich unter Denkmalschutz zu stellen. Die Stadt Wien berief sich auf Probleme bei Haftung und unzumutbare finanzielle Mehrbelastung. Im Jahr 2019 einigte man sich schließlich auf eine Teilunterschutzstellung.
Ebenfalls unter Denkmalschutz steht die Pflasterung am Wolfrathplatz in Hietzing. Die Steine dort hätten einen „ortsbildprägenden Charakter“, heißt es aus dem Bundesdenkmalamt. Der Platz wurde mit rutschsicheren Steinen gepflastert. Diese haben eine mittige Ritzung und werden „Geritzte“ genannt. Oder „Wiener Pferdepflaster“, da insbesondere Pferde vorm Ausrutschen bewahrt wurden.
Pflastersteine kaufen
Übrigens: Alte Pflastersteine kann man auch heute noch kaufen. Bei Baustoff-Firmen zahlt man 55 Euro pro Quadratmeter für altes Granitpflaster. Echte Wiener Würfel kosten rund 160 Euro pro Quadratmeter. Wer alte Steine der Stadt Wien kaufen will, kann dies per Mail tun (post@ma28.wien.gv.at). Es wird unsortiert verkauft, um 21 Euro pro Quadratmeter.
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