Das alte Wienerisch verschwindet: Eh kein Problem?
„Wir gingen heute ins Museum“, sagte eine Jugendliche unlängst in der U-Bahn zu ihrer Freundin. Deutsche oder Österreicherin?
Zweiteres. Trotz Imperfekt-Einsatzes.
„Was heißt denn Simandl? Ich habe gar nichts verstanden. Ich muss meine Mutter fragen“, erklärt ein junger Mann, nachdem er sich Nestroys „Einen Jux will er sich machen“ angeschaut hat. Ein Wiener Schüler?
Ja. Aus einem Gymnasium. Simandl heißt Pantoffelheld.„Das Wienerische geht verloren“, wird geraunzt. Tut es das? Es verändert sich, das steht fest.
In welchen Tonlagen können Sie im Werbespot aus den Anfangszeiten des KURIER hören (siehe unten). Zur Verfügung gestellt vom Filmarchiv.
Eine Tour durch Wien mit Fritz Imhoff - Kurier Nostalgie
Die Vorstellungen, die es über das Wienerische gebe, „sind Klischees“, sagt Manfred Glauninger. Er ist Soziolinguist, forscht an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und lehrt an der Uni Wien.
„Seit zwei Generationen werden Kinder in Wien nicht mehr im Dialekt sozialisiert“, erklärt Glauninger. Vor Jahren gab er Unterricht: Wienerisch für Wiener. Besucht haben die Stunden in der Urania Großeltern, die ihren Enkerln ein bisserl Wienerisch beibringen wollten. Auch die Alten konnten es nicht mehr.
„Net so g’schert“
Im ganzen deutschen Sprachraum sei eine Tendenz „weg vom Dialekt“ festzustellen, sagt Glauninger. Begonnen hat es in Norddeutschland. Er erklärt das mit Modernisierung, Mediennutzung, Zuzug in Ballungsräume und höherer Bildung. Dialekt in Wien sei stark stigmatisiert gewesen. „Als Proletensprache.“ Wer ihn spricht „wird in ein Kastl geschoben“. Das galt auch für Menschen, die aus den Bundesländern kamen. „Reden’S nicht so gschert“, haben sie noch vor drei Jahrzehnten gehört.
Glauninger vermutet einen gesamtgesellschaftlichen Umbruch. Eltern wollten ihren Kindern den sozialen Aufstieg ermöglichen. Was noch dazukomme: Wien war immer schon mehrsprachig. Viele Menschen, die in die Stadt ziehen, lernen Standarddeutsch und nicht den Dialekt. Auch um das Zusammenleben zu erleichtern.
„Oida“
Der Dialekt an sich ist aber nicht weg, er wird für bestimmte Zwecke eingesetzt. Wenn man lässig sein will – „Oida, ist der deppert“, oder einen Schmäh machen will. Wenn sich eine Sprache im Alltag zurückziehe, entstehe für sie das Potenzial, in Musik, Literatur oder Werbung besser als Stilmittel eingesetzt zu werden, erklärt Glauninger.
Sprache ist immer mit Assoziationen verknüpft. Jede Sprachform habe ein Minus und ein Plus. Bei Dialekt steht auf der Habenseite Zuhause, Gemütlichkeit und Nähe.
„Ich fahre Stephansplatz“
Zuwanderer haben schon immer Sprache beeinflusst. Wird es auch einen Einfluss des Türkischen auf das Wienerische geben? „Weniger“, glaubt Glauninger. Das habe auch mit dem Image einer Gruppe zu tun. In der Jugendsprache hört er dennoch „Pseudotürkisches“, wie „Ich fahre Stephansplatz“ – ohne Präposition. Oder „Her mit Ball“ – ohne Artikel.„Ich verstehe es, wenn Menschen es als Verlust empfinden, wenn sich die Sprache ändert.“ Als Kinder wurden sie daran gewöhnt. Und es kommt Nostalgie dazu. „Eine Verklärung von Zeiten, wo alles besser war.“ Sprachwandel werde als Verfall gesehen.
Aber was tun gegen die Wehmut, dass das Wienerische verschwindet? „Sich mit der Tatsache anfreunden, dass sich Sprache weiter entwickelt.“ Mundl-Dialekt sei „die Arbeitersprache“. Aber jetzt gibt es keine Arbeiterklasse mehr.
In die andere Richtung
Falls es tröstlich ist: Es gibt Fluktuation österreichischer Ausdrücke Richtung Deutschland. Wenn auch eine überschaubare. Das Wörtchen „eh“ hat sich wahrscheinlich von Österreich aus verbreitet.
Die Wahrnehmung, ob es zu viel oder zu wenig Wienerisch im Alltag gibt, gehen stark auseinander. In einer Sprechstunde von Ö1 riefen zwei Damen bei Glauninger an: „Niemand redet mehr Dialekt“, sagte die eine. „Es wird nur mehr Dialekt geredet“, kritisierte die andere. Eh.
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