Das wird in Österreich sicher unterschiedlich bewertet, das möchte ich gar nicht verschweigen. Aber Wien hat in dem gesamten Prozess, schon seit 2022 beim ersten Draft der Renaturierungsverordnung, immer die Meinung vertreten, dass diese Sinn macht. Wir waren aber bei einzelnen Dingen skeptisch, ob man diese auch umsetzen kann. Diese Skepsis haben wir mit den anderen Bundesländern via Stellungnahmen oder in den Diskussionen mit dem EU-Rat mitgeteilt. Die Bedenken, die wir Länder geäußert haben, sind ernst genommen worden und die Verordnung hat sich stark verändert. Ich finde es einen sehr stimmigen und redlichen Zugang des Bürgermeisters, dass er den Stein für die Verordnung ins Rollen gebracht hat.
Gesprochen wird aber hauptsächlich über Leonore Gewessler. Hätte die SPÖ kommunikativ etwas besser machen müssen?
Was es taktisch bedeutet, ist mir ehrlich gesagt ziemlich wurscht. Über 80 Prozent der Arten und der Lebensräume sind in einem schlechten Erhaltungszustand. Für mich ist es einfach nur ein großer Gewinn, dass es gelungen ist, auf europäischer Ebene einen Rahmen setzen, um diese Gefahr abzuwenden. Es ist völlig unangebracht, zu sagen, das hätte irgendwer alleine geschafft. Da gab es eine sehr große Beteiligung - von NGOs, mehreren Parteien auf EU-Ebene, Abgeordneten von SPÖ, Grünen und Neos und den Bundesländern Wien und Kärnten. Da kann jeder etwas von diesem Sieg für sich beanspruchen.
Gegner der Verordnung würden es nicht als Sieg bezeichnen.
Ich finde die Diskussion mit Gegnern wichtig und richtig. Aber ich halte das Spiel von der ÖVP und jetzt auch der FPÖ für recht durchschaubar, die Landwirtschaft zu instrumentalisieren. In Österreich haben die Landwirtinnen und Landwirte einen riesengroßen Beitrag am Erhalt von Natur. Es ist eine Mär, wenn man glaubt, dass sie es sind, die in großem Stil die Landschaft verschandeln. Landwirte wissen ziemlich genau, was es braucht, damit der Boden auch für Tochter und Sohn, für die Enkelkinder und für die Generationen danach nutzbar ist.
Sind die Diskussionen, die jetzt so kontrovers geführt werden, auch eine Chance, um die Bevölkerung mehr auf das Thema einzuschwören?
Wir haben in Wien mit Beginn dieses Jahres eine große Biodiversitätsoffensive ausgerufen. Das hat nicht die gleiche große Öffentlichkeit gefunden, wie es jetzt bei der Renaturierung der Fall ist. Das ist für mich ein Beweis dafür, wie gut diese Diskussion war. Das müssen wir jetzt nutzen, um zu zeigen, dass wir nur ein gutes Leben führen können, wenn die Natur um uns herum gesund ist und dass man auch die politische Verantwortung dafür übernimmt.
Die SPÖ wird oft als Betonierer-Partei bezeichnet. Hat es innerhalb der Partei ein Umdenken gegeben?
Das ist eine falsche und böse, weil politisch bewusst instrumentalisierte, Zuschreibung. Gerade in Wien hat die SPÖ gezeigt, was unter ihrem Einfluss möglich ist: Wien hat als einzige Stadt Europas einen Nationalpark, große, geschützte Wald-, Weiden- und Wiesenflächen und Wien schützt die Landwirtschaft mit dem Agrar-Stadtentwicklungsplan. Es ist den Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gelungen, Naturschutz, Umweltschutz und Artenschutz mit einer großen Lebensqualität zu verbinden.
Wien ist nicht so stark von Sturmschäden oder Hochwassern betroffen wie andere Bundesländer. Es ist auch nicht so heiß wie in anderen europäischen Städten. Leben wir in einer Insel der Seligen?
Es wäre total schön, wenn ich jetzt sagen könnte, es ist wirklich weniger schlimm als woanders. Das ist aber leider falsch. Wir sind sogar besonders stark von der Klimakrise betroffen. Wien wird sich besonders stark erhitzen, das liegt daran, dass wir nicht am Meer liegen und dass wir in Mitteleuropa insgesamt eine stärkere Erderwärmung spüren werden. Wir reden da nicht von Verhältnissen wie in Norditalien, sondern von Dakar. Damit Wien lebenswert bleibt, werden wir auf die Gebäude und deren Sanierung achten müssen, es braucht im Straßenraum genug Bäume, die resilient sind. Wir müssen Klimaschutz betreiben und eine umfassende soziale, ökologische Transformation hinkriegen– mit Kreislaufwirtschaft, Sharingkultur und der gemeinsamen Nutzung des öffentlichen Raums. Das Ziel muss sein, dass jeder innerhalb von 15 Minuten von seinem Wohnzimmer in einem Park unter Bäumen sein kann.
Wie schafft man es, dass beim Wort Biodiversitätsstrategie die Menschen nicht schon aussteigen, bevor das Wort zu Ende gesprochen ist?
Das ist eine echte Aufgabe! Ich würde es unter einer Klammer zusammenfassen: die Lebensfreude und die Lebensqualität in einer Stadt auch für die Zukunft abzusichern. Die Lebensqualität von uns Wienerinnen und Wienern steht in einem engen Zusammenhang damit, wie viel uns das Leben insgesamt wert ist. Es geht um Regeneration, Wiederherstellung und Schutz von Leben und insgesamt um die Erkenntnis: Es geht uns alle an! Das ist der Weg, wie wir das komplizierte begreifbar machen können.
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