Auf eigene Faust: Selbstjustiz im Prater
Am Tresen stehen Behälter voller Orangen und Zitronen bereit. Das Obst ist mit Baustaub bedeckt, ebenso wie die aufgereihten Tequilaflaschen. Zwischen dem Schutt ist das Plätschern einer Wasserleitung zu hören.
„Ich vermute, dass die Gläser und das restliche Inventar unter dem Schutt liegen“, erzählt Anna Jurjans, Geschäftsführerin des Clubs „Die Kantine“, dem KURIER. Viele Gegenstände werden noch vermisst.
Samstag, den 7. Jänner, wurde im Prater ein Teil des Gebäudes mit der Nummer 34 niedergerissen – und zwar, noch während es vom eingemieteten Club genutzt wurde. Bis die Baupolizei den Abbruch stoppte, fehlte bereits die Hälfte des Hauses. Der Abriss verstößt gegen richterliche Beschlüsse, die dem KURIER vorliegen.
Es ist der skurrile Höhepunkt eines Rechtsstreits zwischen Ex-Prater-Präsident Stefan Sittler-Koidl und den Club-Betreibern. Erster setzte sich selbst in den Bagger, um das Gebäude einzureißen. Ohne Genehmigung.
Vom Abriss erfuhr der Club aufgrund der Überwachungskameras. Alarmiert durch Bewegungssensoren, verschickte das System eine Nachricht an das Handy eines Mitarbeiters. Als man auf den Überwachungsbildern (Video oben) Personen mit Brechstangen sah, die Möbel wegtrugen, glaubte man noch an einen Einbruch.
Im Prater angekommen, stand Jurjans vor einer Ruine: „Ich war fassungslos und habe die Polizei gerufen. Die haben meinen Notruf erst nicht verstanden. Ich habe gesagt, es wurde eingebrochen und das halbe Haus abgerissen. Mir hängt die Decke runter.“ Dafür verantwortlich macht sie Stefan Sittler-Koidl. Er tue das alles, um seine geplante Achterbahn an dieser Stelle errichten zu können.
Looping für die Stadt
Mit dem Millionenprojekt „Wiener Looping“ will Sittler-Koidl Österreichs größte Achterbahn errichten. Seine Familie führt derzeit 13 Praterbetriebe, die Grundstücke hat man von der Stadt Wien als Eigentümerin gepachtet oder gemietet. Auch für Parzelle 34 besteht ein Mietvertrag.
Das darauf leerstehende Haus übergab Sittler-Koidl im Juli 2022 der „Kantine“, die bis zum Achterbahn-Bau Anfang 2023 einziehen sollte. Darauf einigte man sich laut Jurjans mündlich. Laut Club investierte man 300.000 Euro für Umbauarbeiten, um vom Magistrat überhaupt eine Veranstaltungsgenehmigung zu bekommen.
Bei Gericht
Wenige Tage vor Eröffnung Mitte Oktober 2022 habe sie erfahren, dass statt in ein paar Monaten schon in wenige Wochen alles abgerissen werden soll. Man habe versucht, mit Sittler-Koidl zu verhandeln, sagt die Geschäftsführerin. „Er schrieb aber, dass wir bis Montag draußen sein müssen. Sonst würde er das Haus auf unsere Kosten räumen lassen“, erinnert sich Jurjans.
Die Anwältin des Clubs, Melany Buchberger-Golabi, erwirkte eilig eine einstweilige Verfügung. Ein Wiener Gericht bestätigte diese und bescheinigte ein Mietverhältnis, strittig sei die Dauer. Darüber, zu welchem Zeitpunkt der Bau der Achterbahn feststand, ist man ebenfalls uneinig. Es wurde eine Verhandlung für den 28. Februar 2023 angesetzt. Ein Abbruch ist demnach bis zum Urteil verboten.
"Werden das bereuen"
Was seit diesem Zeitpunkt passierte, ermittelt nun auch die Polizei. Es besteht der Verdacht auf Körperverletzung und schwere Nötigung.
Laut Aussage bei der Polizei beschrieb Jurjans, wie Sittler-Koidl gedroht haben soll: „Er sagte, dass wir keine Freunde mehr sind und wir das bereuen werden. Wir wüssten nicht, mit wem wir uns angelegt hätten.“
Was den Abriss am Samstag betrifft, deutet einiges darauf hin, dass dieser nicht fachmännisch durchgeführt wurde. Die Baufirma, die für den Abriss eigentlich beauftragt gewesen wäre, erklärt auf KURIER-Anfrage, in die Vorgänge nicht involviert zu sein.
Die Prater Wien GmbH, ein Unternehmen der Stadt Wien und für die Verwaltung des Praters verantwortlich, wollte sich auf Anfrage nicht äußern.
Ich habe den planmäßigen Auszug verlangt. Der war vereinbart, sobald die Achterbahn da ist
„Meine Mandantin steht vor den Trümmern ihrer Existenz. Genau das hätte die rechtswirksame einstweilige Verfügung verhindern sollen. Hier wird augenscheinlich auf den Rechtsstaat gepfiffen“, sagt Buchberger-Golabi. Weiter abreißen dürfe man laut Anwältin nicht. Der Club könnte sogar den Wiederaufbau verlangen.
Achterbahn-Lieferung
Sittler-Koidl weist in einem Gespräch mit dem KURIER alle Vorwürfe zurück. „Ich habe den planmäßigen Auszug des Clubs verlangt. Vereinbart war, dass sie ausziehen, sobald die Achterbahn da ist. Sie ist bestellt und es gibt ein Lieferdatum.“
Er habe den Betreiber mit der Möglichkeit eines Pop-up-Clubs einen „Gefallen unter Freunden“ getan. Einen derartigen Streit habe er nie gewollt und aus Vertrauen die Abmachung nicht schriftlich festgehalten. Nicht klar gewesen sei ihm dabei, dass den Betreibern durch den Einzug Mieterrechte zustehen.
Gemieteter Bagger
Das Projekt sei nur für ein paar Monate geplant gewesen. Auf die Frage, wieso er dann rund vier Wochen nach Eröffnung den Auszug verlangte, macht Sittler-Koidl die Club-Betreiber selbst verantwortlich: „Sie haben mit den Umbauarbeiten zu lange gebraucht.“
Angesprochen auf den Vorwurf der körperlichen Verletzung und schweren Nötigung, beendet Sittler-Koidl plötzlich das Telefongespräch mit dem KURIER. Bei einem nochmaligen Anruf will Sittler-Koidl nur noch schriftlich Fragen beantworten. Später gibt er an, dass es zu keinem Zeitpunkt zu einer körperlichen Auseinandersetzung oder Drohungen gekommen sei.
Neue Beweise
Zum Abbruch sagt er, unter terminlichem Druck zu stehen und bereits zwei Monate im Zeitplan verloren zu haben. „Ich habe den Abbruch höchstpersönlich durchgeführt.“ Den Bagger habe er dafür selbst angemietet und die Halle sei beim Abriss weitgehend geräumt gewesen.
Bei der angesetzten Verhandlung am 28. Februar will Sittler-Koidl neue Beweise vorlegen
Kommentare