Als der Terror wieder da war: Attentat riss Wunden bei Geflüchtetem auf
Jad Turjman trainierte gerade, als es an der Tür klopfte. Die Familie, mit der er in einem Haus lebte, rief ihn zum Fernseher. Die Nachrichten flimmerten über den Bildschirm. Überall war Blaulicht, Menschen rannten panisch, Polizisten hielten Waffen in ihren Händen.
Und plötzlich war alles wieder da: Der Geruch des Kellers, in dem der Syrer eingesperrt war. Das beklemmende Gefühl der Angst.
Turjman weiß, was islamistischer Terror anrichtet. Er hat es am eigenen Leib erlebt. Im Sommer 2013 wurde er vom IS bei Damaskus entführt und gefoltert. Er wurde Augenzeuge einer Hinrichtung. Er überlebte nur, weil sein Vater Lösegeld zahlte.
Jahre später holte ihn der Terror wieder ein.
„Sie stehen wieder da“
„Mein Herz hat sich zusammengezogen. Genau vor solchen Menschen bin ich geflüchtet – und dann stehen sie wieder da.“
Im Jahr 2015 kam der Syrer nach Österreich. Er lebt in Salzburg. Der 31-Jährige bezeichnet sich selbst als „Flüchtling, Komiker, Autor (Wenn der Jasmin auswandert, siehe Buchtipp) und Mensch“. Zusätzlich arbeitet er in der Deradikalisierung.
Und er hat den Terroranschlag in Wien zum Anlass genommen, sich zu äußern – über die Wut, den Hass, den Islam und Zusammenhalt – seine Worte wurden auf Facebook schon Tausende Male gelikt.
Es war ihm eine Herzensangelegenheit, sagt er, als ihn der KURIER telefonisch erreicht. Im Hintergrund hört man die Blätter rascheln. „Beim Gehen fällt mir das Sprechen leichter“. Denn er habe bei seinen österreichischen Freunden, die in Wien leben, plötzlich gemerkt, dass sie ins Grübeln und Zweifeln kommen – über den Islam, über Migranten. „Ich wollte ihnen etwas zum Festhalten geben und ihnen zeigen: Wir haben eine Gemeinschaft.“
„Ich muss etwas sagen“
Er verurteilt den Anschlag. „Natürlich!“ Er kennt den Täter nicht. Dennoch spürt er eine gewisse Schuld. „Als Moslem betrifft es dich automatisch.“ Nicht in seinem Freundeskreis. Nicht unter seinen Künstler-Kollegen. Doch sehr wohl im Fußballverein, in dem der 31-Jährige spielt. „Da merke ich: Jetzt muss ich mich rechtfertigen, ich muss etwas sagen.“
Der Anschlag hat ihn mitten ins Herz getroffen „Es hat mein Herz gebrochen.“ Österreich, speziell Wien, sei für ihn eine sichere Insel gewesen „nach all dem Wahnsinn“. Ein Ort, wo er keine Angst vor den Terroristen haben muss. „Und dann bin ich vor dem Fernseher gehockt und habe gehofft, dass die Tat nicht islamistisch motiviert war.“
Turjman wuchs religiös auf. „Ich habe einen völlig anderen Islam kennengelernt.“ Doch er hat sich nicht geäußert, um den Islam zu verteidigen, betont er. „Der Islam braucht eine Auseinandersetzung mit sich selbst. Auch wenn es nicht einfach ist, über den Islam zu reden, wenn Menschen auf Kritik mit Gewalt reagieren. Viele aufgeklärte Muslime fassen den Islam mit Samthandschuhen an.“
Weil Turjman in der Öffentlichkeit stehe, will er seine Meinung sagen. „Auch wenn die nicht jeder hören will. Wir sollten darüber reden.“ Sein wichtigstes Anliegen: „Dass die Tat nicht dazu führt, dass sich die Spirale weiter dreht. Dass nicht plötzlich eine Frau auf der Straße angegriffen wird, nur weil sie Kopftuch trägt. Dass Muslime nicht Gewalt und Aggressionen ausgesetzt werden.“
Gemeinsamer Feind
Denn dann, sagt er, werden sie anfällig für diese barbarische Ideologie und sind leicht zu rekrutieren.
Der Terror sei ein gemeinsamer Feind. „Ich spüre eine Entschlossenheit – und es hat uns vielleicht sogar als Gesellschaft zusammengeschweißt.“
Er selbst hat bei seiner Arbeit in der Deradikalisierung mit jungen Männern zu tun, die sich für die Ideologie begeistern. „Und in allen Fällen zieht es sich durch, wie ein roter Faden: Sie sind selbst benachteiligt, stehen am Rande der Gesellschaft und sie haben die Perspektive in ihrem Leben verloren. Wir müssen uns fragen: Warum verlieren wir die? Kein Mensch ist von Natur aus so.“
Mit seinem 94-jährigen Großvater hat er über den Anschlag und die Religion lange gesprochen. Und darüber, wer den Islam überhaupt repräsentieren darf. „Da hat er gelacht und gesagt: Vielleicht Michael Jackson. Wir wissen es ja selbst nicht.“
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