Michael Köhlmeier: Gedanken zum Terror in Wien

Der Schriftsteller Michael Köhlmeier in seinem Haus in Hohenems
Wie geht ein Denker mit einer Schreckens-Tat wie dem Terroranschlag von Wien um? Welche Rolle kommt der Religion zu? Wir luden Michael Köhlmeier ein, diesen Text für den KURIER zu verfassen.

Von Michael Köhlmeier

Da rennt einer in einem weißen Kittel durch die Gassen der Wiener Innenstadt, von oben mit dem Handy gefilmt, sieht er aus wie ein Figürchen in einem dieser unseligen Computerspiele, in denen digitale Massenmörder morden, darum wahrscheinlich der weiße Überwurf, damit ihn in der Nacht auch ja jeder sehen kann, er schießt um sich – und plötzlich ruft ein Mann: „Schleich di, du Oaschloch!“ Ein unheldischer Held? Unpathetisches Pathos? Ein Witz mitten im Grauen? Eine schiere Unmöglichkeit: ein Witz, der tröstet. Wo nichts gutgemacht werden kann. Als wären Pathos und Witz Schutzengel der Verzweiflung.

Dass wir uns an einem Witz aufrichten, scheint pietätlos angesichts der Tragödie. Aber was ist, wenn es keine Instanz mehr gibt, an die ich mich kniend wenden kann? Ja, wenn ich vermute, an eben so eine Instanz hat sich der Mörder gewandt? Ein Freund sagte einmal – ohne großes gedankliches Ausholen sagte er: Der Humor ist der liebe Gott des Atheisten. Ich fragte ihn irgendwann später, was er damit meinte. Er erinnerte sich leider nicht. Vielleicht: Der Humor bewegt sich auf einer Ebene, nur Gleiche lachen miteinander. Zwischen dem Gott und dem Menschen gibt es nichts zu lachen. Ich wüsste keine Stelle in den Evangelien, wo Jesus lacht. Mit dem Lachen warten wir lieber, bis sich der Himmel schließt und wir wieder unter uns sind.

Wir hüten uns vor dem Pathos, wehren uns dagegen, verachten es. Dafür gibt es Gründe. Mithilfe des Pathos verführen wir uns selbst. Das heißt, wir betrügen uns. Es ist doch so: Ein großes Leid, eine große Freude, die mir zustoßen, mir allein, die mich berühren, mich allein, sie bringen mich selten zum Weinen, und wenn doch, dann schmecken die Tränen anders.

Das Pathos schießt erst ein, wenn es um „etwas Größeres“ geht, „etwas Höheres“, das über mich hinausreicht; um etwas Allgemeines – wobei dieses Wort ein Platzhalter ist, je nach Gesinnung lassen sich „das Volk“, „die Nation“, „die Religionsgemeinschaft“, „die Rasse“, zuletzt gar „die Menschheit“ einsetzen (zum Beispiel, wenn wackere Männer aus Hollywood dieselbe retten).

Die Tränen, die das Pathos mir in die Augen treibt, sind nicht allein meine, meine darin sind bloß Tropfen in einem großen Strom. Pathos wischt, wenigstens für einen Augenblick, unsere kleine Individualität beiseite und lässt uns Teil von „etwas Größerem“, „etwas Höherem“ sein. Darin aber gehen Schmerz und Trauer unter. Als ob es etwas Höheres, Größeres gäbe als einen Menschen; etwas, für das es sich lohnt zu sterben. Die Geschichte, zumal die des 20. Jahrhunderts, lehrt uns, solcher Überindividualität zu misstrauen. Wofür es sich lohnt zu sterben, dafür lohnt es sich auch zu töten.

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