Abriss in der Kleingartensiedlung: "Es wird mit zweierlei Maß gemessen"
Vor zwei Tagen stand am Eingang der Floridsdorfer Steinheilgasse noch ein schmuckes Einfamilienhaus. Jetzt ist davon nur mehr ein staubiger Schutthaufen übrig: Bagger schaufeln die Trümmer in Container am Straßenrand, Beamte der Stadt beobachten die Abrissarbeiten. Hin und wieder bleiben Radfahrer und Passanten stehen und beäugen die Baustelle in der Kleingartensiedlung. Schließlich bekommt man nicht alle Tage zu sehen, dass ein Wohnhaus behördlich abgerissen wird.
Wie berichtet ließen die Behörden die Bagger auffahren, weil der Besitzer gleich in mehreren Punkten gegen die geltenden Vorschriften für Kleingartensiedlung verstoßen hatte: Das Haus war um 18 Quadratmeter zu groß, zu hoch und stand zu nahe an der Grundstücksgrenze.
Eigentümer Thomas Siegel ist verzweifelt. Er wirft der Stadt Willkür vor. Diese wiederum betont, man sei seit Jahren mit Siegel in Kontakt gewesen, er habe alle Zusagen, den nötigen Rückbau durchzuführen, nicht eingehalten. Nun steht er vor den Trümmern seiner Existenz.
Anrainer im Zwiespalt
„Man hätte der Familie noch eine Chance geben sollen“, sagt eine Nachbarin, die die Siegels gut kennt. „Die Sache ist traurig, aber wenn das Haus wirklich zu hoch war, kann man nichts machen, sagt eine weitere Nachbarin, die gerade ihren Hund ausführt. „Jeder muss sich an die Gesetze halten.“ Dass jetzt die Behörde streng durchgreift und noch weitere Siedlungshäuser der Spitzhacke zu Opfer fallen, glaubt sie nicht. „Ich habe aber die Angst, dass hier bei uns alles zubetoniert wird: Im Fall unseres Nachbarn war man so streng, der Bau der riesigen Klötze auf den benachbarten Siemensgründen ist aber erlaubt. Das verstehe ich nicht“, sagt die Frau, die namentlich nicht genannt werden will. Die Baustelle befindet sich gleich hinter der Kleingartensiedlung Werk VI. Die Bewohner sehen die hohen Kräne jeden Tag.
Wie berichtet, machen in Kleingartensiedlung die Anrainer seit Jahren gegen die dort geplanten Wohntürme mobil. In Floridsdorf gibt es aktuell mehrere große Bauprojekte. Doch kaum eines ragt so nah an eine Siedlung heran, wie das Projekt auf den Siemensäckern an der Leopoldauer Straße.
Anrainer Andreas Wimmer ist gerade mit seinem E-Bike durch die Siedlung unterwegs. Er versteht nicht, wieso hier mit zweierlei Maß gemessen wird.
Abrisshaus Floridsdorf Anrainer Andreas Wimmer OT1
Karl König lebt seit fünfzig Jahren gegenüber der Kleingartensiedlung Werk VI. Sein Haus sei in all den Jahren regelmäßig kontrolliert worden, für Ausnahmen hat er daher weniger Verständnis.
Abrisshaus Floridsdorf Anrainer Karl König OT1
Seitens der Stadt betont man, alle Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben, um eine Lösung zu finden. Sogar ein Mediator wurde eingeschaltet. Dass die Behörde ein Haus abreißen muss, ist extrem selten: Laut Büro der Wohnbaustadträtin Kathrin Gaal ( SPÖ) sei dies erst der zweite Fall in den vergangenen zehn Jahren. In dem aktuellen Fall wurde der Eigentümer mehrfach gewarnt, dass es zu einem Abriss kam, sagt Otto Eckl von der MA 25 im KURIER-Interview.
Abrisshaus Floridsdorf MA 25 OT1
Wann die Behörden aktiv werden
Dass die Stadt gerade in Kleingärten immer wieder einschreiten muss, liege an den strengen Regeln, die für die dortige Bebauung gelten: Ganzjährig bewohnte Wohnhäuser dürfen nur eine Grundfläche von 50 Quadratmeter aufweisen (für die restlichen sind es nur 35 m²), die Gesamtkubatur darf 265 Kubikmeter nicht überschreiten – um nur die wichtigsten zu nennen. Für die Einhaltung ist die MA 37, die Baupolizei. Deren Leiter Gerhard Cech sieht allerdings nicht ein Wien-weites Problem.
23.900 Kleingarten-Wohnhäuser in Wien
"Insgesamt gibt es pro Jahr maximal fünf Fälle, wo wir einen Abbruchauftrag für ein komplettes Haus in einer Kleingartensiedlung erteilen“, sagt Cech. In den allermeisten Fällen sind die Eigentümer jedoch einsichtig und führen von sich aus die nötigen Rückbau-Arbeiten durch. Insgesamt schreiten die Behörden etwa 40 Mal pro Jahr wegen Verstößen gegen die Bauordnung in Kleingärten ein. Keine allzu große Zahl, angesichts der rund 23.900 Kleingarten-Wohnhäuser, die ganzjährig bewohnt werden dürfen.
In den meisten Fällen geht es um kleinere Mängel. Typisch laut Cech seien etwa Terrassen-Überdachungen, die von den Eigentümern regelwidrig zu Wintergärten umgebaut werden. „In solchen Fällen müssen die Seitenteile entfernt werden.“ Häufig schreite die Behörde auch wegen KFZ-Stellplätzen ein, die sich vorschriftswidrig direkt auf den Parzellen befinden.
Aktiv wird die Baupolizei meist nach anonymen Anzeigen. „Oft ist es dann so, dass der Betroffene darauf hinweist, dass auch Nachbarn die Regeln nicht eingehalten haben. Dann folgen meist weitere Anzeigen“, schildert Cech. „Damit eine Gleichbehandlung gegeben ist, kontrollieren wir dann die gesamte Anlage“, sagt der Chef der Baupolizei, um den häufig geäußerten Vorwurf der Behördenwillkür zu zerstreuen. „Wir wollen ja auch nicht, dass die Bausubstanz zerstört wird. Deshalb bieten wir auch Beratung an. Aber mit gewissen Leuten lässt sich leider nicht reden.“
Kommentare