Bericht als "Weckruf" für die Welt
23 Uhr 44 in der Nacht auf Freitag: „Hier stockt es gerade wieder“, schreibt Georg Kaser in eine Mail an den KURIER. Kaser ist Glaziologe und der einzige österreichische Forscher im Weltklimarat.Und das, was da stockte, war das Ringen um jedes Wort der 36-seitigen Zusammenfassung zum UN-Klimabericht. Am Freitag morgen war es dann aber doch geschafft: Regierungsvertreter und Forscher einigten sich auf das, was für die kommenden Jahre der Forschungsstand in Sachen Klimawandels sein soll. Hier die Kernaussagen des Berichtes, der gestern in Stockholm präsentiert wurde:
- Ein ungebremster Ausstoß von Treibhausgasen würde uns bis 2100 vermutlich eine Erwärmung um 3,7 Grad bescheren. Im Bericht berechnen die Forscher vier Szenarien, von 1,5 bis 4,8 C Temperatur-Anstieg. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich die Luft im weltweiten Schnitt bereits um 0,9 C erwärmt. Die vergangenen 30 Jahre waren auf der Nordhalbkugel die wärmsten 30 Jahre seit dem Hochmittelalter, als es mancherorts ähnlich mild war.
- „Hitzewellen treten sehr wahrscheinlich öfter auf und halten länger an“, teilte der Weltklimarat IPCC mit.
- Der Meeresspiegel könnte schneller steigen als bisher gedacht. Selbst beim besten Klimaschutz erhöht er sich bis 2100 um mindestens 26 cm, im ungünstigsten Fall um 82 cm. „Während sich die Ozeane erwärmen und Gletscher und Eisdecken schmelzen, wird der globale Meeresspiegel weiter steigen, aber schneller, als wir es in den vergangenen 40 Jahren erlebt haben“, heißt es aus dem IPCC.
- Viele Gletscher, die auch als Trinkwasserressourcen dienen, könnten komplett verschwinden.
- Klimazonen könnten sich verschieben. In den Subtropen und angrenzenden Regionen wie am Mittelmeer dürfte es deshalb häufiger Dürren geben.
- Tropen und mittlere Breiten (Österreich) müssen sich auf mehr Starkregen einstellen.
Dass der Mensch die Hauptverantwortung für die Erderwärmung trägt, hält der IPCC für praktisch gesichert. Hatte das UN-Gremium die Wahrscheinlichkeit im Bericht 2007 noch mit 90 Prozent angegeben, bezeichnete er die These nun als „extrem wahrscheinlich“ – und setzt bei 95 Prozent an. Die Zahl beruht nicht auf Berechnung, sondern auf einer Abstimmung unter Fachleuten.
Je nachdem, wie stark der CO2-Ausstoß anhalte, desto gravierender werde die künftige Erwärmung ausfallen, warnt der IPCC. Die Folgen würden „die Umwelt in einer Weise ändern, wie seit Hunderten oder Tausenden Jahren nicht geschehen“, steht in der Zusammenfassung des Klima-Reports. Diesmal wären im Gegensatz zu früheren Klimaschwankungen allerdings mehr als sieben Milliarden Menschen betroffen.
Der Report verschweigt auch nicht, dass in den vergangenen 15 Jahren die bodennahe Temperatur im weltweiten Durchschnitt kaum gestiegen ist. Eine Botschaft, die vor der Veröffentlichung des Klima-Reports bereits durchgesickert war, für Aufregung gesorgt hatte und von Klimawandel-Skeptikern ausgeschlachtet wurde. Der IPCC dazu: Klimamodelle hätten die Pause nicht erwartet. Die Ursachen seien unklar, verschiedene Effekte etwa eine außergewöhnliche Schwächephase der Sonne zusammen mit kühlenden Ozeanströmungen kämen infrage.
Um es auf den Punkt zu bringen: Ja, die Klimaforschung ist überaus komplex , aber von Entwarnung könne keine Rede sein. Im Gegenteil: Für UN-Klimachefin Christiana Figueres sind die Ergebnisse ein „Weckruf“ für die internationale Staatengemeinschaft zum beschleunigten Handeln. „Der Bericht zeigt, dass es mehr Klarheit über einen vom Menschen erzeugten Klimawandel gibt als jemals zuvor“. Die USA jedenfalls sind aufgewacht: Wer jetzt nichts unternehme, spiele mit dem Feuer, meinte Außenminister John Kerry. „Klimawandel ist real, es geschieht jetzt, Ursache des Wandels sind die Menschen, und nur menschliches Handeln kann die Welt vor den schlimmsten Folgen retten“.
Der vollständige Report erscheint am Montag: www.ipcc.ch
Weltklimarat: Wer ist der IPCC?
Angesichts der Erderwärmung wurde vor 25 Jahren der Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) gegründet, der 195 Mitgliedsländer hat und 2007 für seinen Kampf gegen den Klimawandel den Friedensnobelpreis erhielt.
Der Klimareport wird in drei Teilen veröffentlicht: Teil 1 beleuchtet die wissenschaftlichen Grundlagen, vergangene und künftige Änderungen von Temperatur, Ozeanen und Gletscher, den Einfluss des Menschen. Teil 2 zeigt die Auswirkungen auf Mensch und Natur (März 2014 in Yokohama). Teil 3 erläutert, was der Mensch tun kann, um den Klimawandel zu vermindern (April 2014 in Berlin).
Kein anderer Bericht durchläuft so viele Prüfungen wie der Weltklima-Report. Für Teil 1 haben 840 Wissenschaftler aus 38 Ländern Tausende Studien gesichtet und den Stand des Wissens über das Klima ermittelt. Jetzt wurde das etwa 2000 Seiten starke Werk auf 36 Seiten eingedampft, damit es überhaupt von Politikern gelesen wird.
Georg Kaser, Glaziologe von der Uni Innsbruck und Lead-Autor des jetzt präsentierten Klima-Reports, über die Verhandlungen in Stockholm.
KURIER: Prof. Kaser, haben Sie vergangene Nacht geschlafen?
Kaser: Ich habe das letzte Mal in der Nacht auf Donnerstag geschlafen – drei Stunden. Wir haben mit kurzen Pausen durchverhandelt, jeden Satz diskutiert. Kurz vor Acht war das „Summary for Policymakers“ dann fertig (seufzt). Die Diskussion war schon mühsam, aber jetzt passt alles.
Woran hat es sich gespießt?
Oft kommt es vor, dass jemand sagt: „So versteht das mein Minister nicht“. Und ab und zu hört man zwischen den Zeilen: „Mein Minister wünscht dieses und jenes zu hören“. Da kann es schon einmal kurz hitzig werden. Natürlich gab es auch Delegierte, die die Botschaft etwas aufweichen wollten.
Aus welchen Ländern?
Jene, die vom Verbrennen fossiler Brennstoffe gut leben.
USA, China?
Die USA waren sehr, sehr kooperativ, China war oft nicht durchschaubar und Brasilien wollte nicht hören, dass das Abholzen der Wälder Auswirkungen hat. Aber wissenschaftliche Erkenntnisse stehen hier nicht zur Disposition und auch die Auswahl der Inhalte, die es in die Extrem-Zusammenfassung schaffen, wurde schon lange vorher festgelegt.
Was sind die Kernbotschaften des Klima-Berichtes 2013?
Aufgrund viel, viel besserer Datenlage erhärtet es sich, dass die vom Menschen verursachten Störungen das Klimasystem stark aus dem Gleichgewicht bringen. Da ist überhaupt kein Zweifel mehr, dass der Mensch das verursacht.
Gibt es etwas, was Sie den Österreichern mitgeben können?
Das ernst nehmen, was die Wissenschaftler im Konsens erarbeitet haben. Österreich kommt im Bericht zwar nicht vor, Gletscherschwund und Hitzewellen werden uns aber verstärkt betreffen. Trotzdem wird es bei uns feiner sein als in der Po-Ebene, dem deutsche Tiefland, in Nordafrika ...
Sie sprechen Migrationsprobleme an?
Genau. Die werden dann in Teil 2 und 3 behandelt.
Luft
- Die Oberflächentemperatur ist von 1880 bis 2012 um 0,85 Grad Celsius gestiegen. Während der insgesamt deutlichen Erhöhung gibt es natürliche Schwankungen innerhalb von Jahrzehnten.
- Die Temperatur wird sich bis Ende des Jahrhunderts um 0,3 bis 4,8 Grad erwärmen, bezogen auf die Mitteltemperatur der Jahre 1986 bis 2005.
Ozeane und Eis
- Die Ozeane haben etwa 30 Prozent des menschengemachten Kohlendioxids aufgenommen und sind dadurch saurer geworden.
- Der Meeresspiegel ist von 1901 bis 2010 um 19 Zentimeter gestiegen. Es ist praktisch sicher, das sich die Geschwindigkeit in den vergangen zwei Jahrzehnten erhöht hat. Bis zum Ende des Jahrhunderts wird er um 26 bis 82 Zentimeter steigen.
- Die Ozeane haben 90 Prozent der Energie aufgenommen, die das Klimasystem in den vergangen Jahrzehnten (1971 bis 2010) gespeichert hat. Sie erwärmten sich von 1971 bis 2010 in bis zu 75 Metern Tiefe über 0,1 Grad pro Dekade.
- Die Geschwindigkeit der Eisschmelze von Grönland und der Antarktis hat sich vervielfacht. Es ist sehr wahrscheinlich, dass das Arktische Eis weiter zurückgeht.
Treibhausgase
- Die Konzentration an Kohlendioxid (CO2) hat sich seit Beginn der Industrialisierung um 40 Prozent erhöht. Gründe sind vor allem die Verbrennung fossiler Rohstoffe, die Zementproduktion und die Waldvernichtung.
- Die Konzentration des Treibhausgases Methan stieg um 150 Prozent, die von Lachgas (N2O) um 20 Prozent.
- Wenn sich der CO2-Gehalt der Atmosphäre verdoppelt, wird die Lufttemperatur um 1,5 bis 4,5 Grad Celsius steigen. Im alten Report von 2007 war der Klimarat noch von 2 bis 4,5 Grad ausgegangen.
Ursachen des Klimawandels
- Die durch menschengemachte Treibhausgase in der Atmosphäre aufgenommene Energie wächst mit zunehmender Geschwindigkeit.
- Es ist äußerst wahrscheinlich (zu 95 bis 100 Prozent), dass der Mensch der dominierende Faktor für den Temperaturanstieg seit rund 60 Jahren ist.
Die großen Umweltschutzorganisationen haben mit Appellen zum raschen Handeln auf die Präsentation des Weltklimaberichts reagiert. Greenpeace, Global 2000 und der WWF forderten die Regierungen dazu auf, die Warnungen der internationalen Wissenschafter ernst zu nehmen. "Der wissenschaftliche Konsens ist so groß wie nie. Heute leugnet kaum noch jemand, dass der Klimawandel zum überwiegenden Teil von Menschen verursacht wird", so Julia Kerschbaumsteiner, Klimasprecherin von Greenpeace.
An dem ersten Teil des neuen Weltklimareports haben 259 Hauptautoren aus 39 Ländern vier Jahre lang gearbeitet. Nun steht der Stand der Forschung auf rund 2000 Seiten. Und so ist der erste Teil des Reports entstanden:
Zunächst erstellten die von Regierungen und Organisationen vorgeschlagenen Klimaexperten einen Entwurf, ließen ihn überprüfen und erhielten über 21.000 Kommentare - auch von Klimaskeptikern. Der daraufhin verfasste zweite Entwurf bekam mehr als 31.000 Kommentare. Das Prüfverfahren war verschärft worden, nachdem im vergangenen IPCC-Bericht zwei inhaltliche Fehler standen. Das dritte Papier fassten die Forscher auf etwa 30 Seiten zusammen, die dann nochmals 1.855 Mal kommentiert wurden. Diese letzte Fassung gingen schließlich die Regierungsvertreter und Forscher vier Tage lang in Stockholm Wort für Wort durch.
"Das ist die am besten begutachtete wissenschaftliche Arbeit in diesem Bereich" sagte Prof. Peter Lemke vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven, der für das Kapitel "Beobachtungen in der Kryosphäre" (Eisschmelze) im Report kontrolliert hat, ob alle wichtigen Kommentare berücksichtigt wurden. "Die Klimamodelle sind noch nicht perfekt, aber so gut, dass sie sicherlich ausreichen für die dringende Aufforderung, etwas gegen den Klimawandel zu tun."
Eine Entwicklung passt zumindest auf den ersten Blick nicht in das schlechte Bild, das der Klimarat zeichnet: In den vergangenen 15 Jahren ist die globale Durchschnittstemperatur bei Weitem nicht so stark gestiegen, wie in den Prognosen vorhergesagt.
Klimaskeptiker werten diese Entwicklung in ihrem Sinne: Die These vom durch den Menschen verursachten Klimawandel stimme einfach nicht, sagen sie.
In den vergangenen 50 Jahren ist die weltweite Durchschnittstemperatur um 0,12 Grad Celsius pro Jahrzehnt angestiegen. In den vergangenen 15 Jahren lag der Anstieg allerdings nur bei 0,05 Grad pro Jahrzehnt. Die in Stockholm veröffentlichte Zusammenfassung des ersten Berichtsteils führt die deutliche Verlangsamung etwa zur Hälfte auf die veränderte Aktivität der Vulkane und der Sonne zurück. Vulkanausbrüche erhöhen den Anteil der Schwebeteilchen in der Erdatmosphäre, die wiederum Sonnenlicht zurück reflektieren und somit die Aufheizung der Atmosphäre verringern. Außerdem wird eine Veränderung in der Aktivität der Sonne selbst vermutet.
Zur anderen Hälfte wird der verlangsamte Temperaturanstieg auf einen kühlenden Effekt durch "interne Variabilität" zurückgeführt. Darunter verstehen Wissenschafter Veränderungen in der Art, wie Hitze zwischen Land, Luft und Meer verteilt wird. "Wir wissen, dass derartige Phasen von der Dauer eines Jahrzehnts oder so ein bis zwei Mal pro Jahrhundert auftreten können", sagt Laurent Terray vom französischen Computersimulationszentrum Cerfacs. Erst wenn die Entwicklung zwei weitere Jahrzehnte andauere, hätten die Computersimulationen zum Klimawandel offenbar diesen Faktor unterschätzt.
Der IPCC geht davon aus, dass sie die Erwärmung sich zumindest teilweise nicht an der Erdoberfläche abspielt und daher in den Temperaturdaten nicht auftaucht. Das UN-Gremium geht davon aus, dass die Meerestemperaturen in einer Tiefe ab 3000 Metern seit den 1990er-Jahren steigen. Offenbar finde ein Austausch zwischen dem wärmeren Wasser in Oberflächennähe und dem kalten Wasser der Tiefsee statt. Die Erwärmung fände also versteckt in großer Tiefe ab.
Mit Sicherheit geklärt ist das Phänomen aber nicht. Bei den Beratungen der 195 IPCC-Mitgliedsländer über den neuen Teilbericht gab es daher Streit, welchen Platz die verlangsamte Erderwärmung der vergangenen 15 Jahre in der Zusammenfassung des Dokuments einnehmen soll.
Die USA wandten im Voraus in einem Kommentar ein, dass die Erwärmungspause nicht ausreichend erklärt werde. "Das ist ein Beispiel dafür, eine Reihe von Zahlen zu nennen und sie dann ohne konkrete Aussage im Raum stehen zu lassen", hieß es in der Stellungnahme zum IPCC-Bericht. Andere Länder nahmen die gegenteilige Position ein. So schrieb die ungarische Regierung in einem Kommentar, dass eine Anomalie von 15 Jahren nur einen Wimpernschlag in der Erdgeschichte darstelle und daher unerwähnt bleiben könne.
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