Meteorit hinterlässt Bild der Zerstörung
Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit wurde ein so folgenschwerer Absturz eines Meteoriten dokumentiert wie in der Nähe von Tscheljabinsk am Freitagmorgen: Bei dem Einschlag sind etwa 1200 Menschen verletzt worden, darunter auch mehr als 200 Kinder. Die meisten sind von Scherben zersplitterter Scheiben getroffen worden, viele von ihnen waren auf dem Weg zur Arbeit oder in die Schule, als sich der Einschlag ereignet hat. Die größten Schäden am Boden seien aber durch die Druckwelle und nicht durch die Trümmerteile selbst verursacht worden, teilte die die US-Raumfahrtbehörde NASA am Samstag mit.
Die NASA schätzt das Objekt auf 15 Meter Durchmesser und ein Gewicht von 7.000 Tonnen - bevor es in die Erdatmosphäre eintrat. Da verglühte ein großer Teil des Materials und hinterließ eine Leuchtspur, die eine halbe Minute zu sehen war, bevor es mit einem Feuerball, der heller als die Sonne war, explodierte. Nur Stunden später zog davon unabhängig, dicht aber ungefährlich, wie berechnet der Asteroid "2012 DA14" an der Erde vorbei. die Gebiete rund um die größten Krater wurden weiträumig abgesperrt. Der Himmelskörper sei etwa 20 Kilometer über der Erde zerbrochen. Auf Twitter kursieren Fotos davon:
Er sei ab einer Höhe von 55 Kilometern neun Mal explodiert, bevor die Teile schauerartig auf die Erde getroffen seien. Unbestätigten Meldungen zufolge habe das russische Militär den Meteorit abgeschossen, bevor er auf der Erde aufgeprallt sei; die Luftwaffe hat dies aber dementiert.
Rätselraten um Konnex zu Asteroid "2012 DA14"
Der Niedergang eines Meteoriten am Uralgebirge habe nach ESA-Expertenansicht nach Angaben von Weltraumexperten nichts mit dem Asteroiden "2012 DA14" zu tun, der an diesem Freitagabend knapp an der Erde vorbeirasen wird. "Das ist etwas völlig anderes", sagte ein Sprecher der europäischen Weltraumagentur am Freitagmorgen auf Anfrage. "Flugbahn und Ort sprechen dagegen."
Anderer Meinung ist das Observatorium im russischen Pulkovo: Laut Russia Today sei ein Zusammenhang mit "DA14" durchaus möglich. Es sei zudem durchaus vorstellbar, dass binnen der kommenden Stunden ein weiterer Meteorit auf die Erdatmosphäre treffe, so ein Forscher des Observatoriums auf Vesti.
Schäden in sechs Städten
Insgesamt seien in mindestens sechs Städten in der Region am Ural rund 1.500 Kilometer östlich von Moskau Schäden festgestellt worden, hieß es. Die gewaltige Druckwelle habe zahlreiche Dächer zerstört und Fensterscheiben zertrümmert: 3000 Gebäude wurden beschädigt, das zerstörte Glas würde eine Fläche von 10.000 Quadratmetern einnehmen, so die Behörden.
Augenzeugen berichteten von Lichtblitzen, Explosionen und Rauchwolken am Himmel. "Ich dachte, der Krieg hat begonnen", "ich zittere noch immer" oder "Ich hab in Panik meinen Pass genommen und bin nach draußen gerannt", war etwa auf Twitter zu lesen. Viele dachten auch, ein Flugzeug sei am Himmel explodiert. Manche Bewohner in Tscheljabinsk reagierten gelassener - und boten über das Internet sofort Stücke des Meteoriten zum Kauf an.
In See gefallen
Der größte Brocken des Meteorits sei in den See Tschebarkul rund 80 Kilometer westlich von Tscheljabinsk gefallen, teilte die Gebietsverwaltung mit. Sieben Flugzeuge und 20.000 Angehörige des Zivilschutzes in Tscheljabinsk seien in der Region im Einsatz, um zu helfen. Wegen des Ausmaßes der Schäden sollten Betriebe und Einrichtungen ihre Mitarbeiter nach Möglichkeit zum Helfen nach Hause schicken, hieß es in einer Mitteilung der Verwaltung. Schulen und Kindergärten in der Region wurden vorerst geschlossen.
"Der Meteorit ist in den unteren Schichten der Atmosphäre fast vollständig verglüht. Allerdings war die Druckwelle massiv", sagte Jelena Smirnych vom Zivilschutzministerium in Tscheljabinsk.
Minus 18 Grad
Gebietsgouverneur Michail Jurewitsch brach eine Moskauer Dienstreise ab. "Bei Temperaturen von minus 18 Grad in Tscheljabinsk ist jetzt am wichtigsten, dass die zertrümmerten Fensterscheiben ersetzt werden", sagte er. Zur Überwachung der Lage in der Region stellte das Katastrophenschutzamt 20.000 Einsatzkräfte sowie Flugzeuge und Hubschrauber zur Verfügung.
Atomanlagen der Gegend seien nicht betroffen, teilte der Staatskonzern Rosatom laut Agenturberichten mit. Vizeregierungschef Dmitri Rogosin sprach sich für eine internationale Initiative zur Errichtung eines Schutzsystems aus, mit dem nicht nur frühzeitig vor gefährlichen Objekten aus dem Weltall gewarnt, sondern diese auch zerstört werden können.
Weder Russland noch die USA hätten die Möglichkeit zur Abwehr solcher Objekte, meinte der für die Raumfahrt zuständige Politiker. Eine Kommission der russischen Rüstungsindustrie werde sich nun mit dieser Frage befassen, kündigte Rogosin an. Erst kürzlich hatten NASA und ESA angekündigt, ein System zur Abwehr von Asteroiden entwickeln zu wollen - mehr dazu lesen Sie hier.
Das russische Internet ist mittlerweile voller Videos des Meteoritenaufschlags in Tscheljabinsk - eine umfangreiche Samlung hat etwa der Blogger Ilja Warlamov angelegt. Auch auf Twitter findet sich unter den Hashstags #RussianMeteor und #метеорит eine Vielzahl davon; binnen kurzem wurden auch mehrere neue Accounts für den Meteoriten angelegt - und Dinge wie "Was kann man Freitag Abend in Tscheljabinks machen?" in die Welt verbreitet.
Vor allem Aufnahmen des Himmelskörpers, die von fahrenden Autos aus gemacht worden sind, kursieren im sogenannten "Runet" - wieso dies so ist, ist einfach erklärt: Verkehrsunfälle, Tätlichkeiten zwischen Verkehrsteilnehmern und auch Übergriffe von polizeilicher Seite sind in Russland nichts Ungewöhnliches - eine Aufzeichnung dessen ist deshalb oftmals hilfreich. Eine Sammlung an Videos, die eine gute Begründung für die Installation einer Kamera liefern, hat Business Insider online gestellt.
Bei dem Meteoriten-Einschlag hat es sich nach Einschätzung des Impakt-Experten und Direktors des Naturhistorischen Museums (NHM) Wien, Christian Köberl, um ein "relativ kleines Ereignis" gehandelt: Der Zwischenfall zeige aber deutlich, "dass wir selbstverständlich im dauernden Kugelhagel der Meteorite und Asteroiden im Sonnensystem stehen, und dass die Erde kein Schutzschild hat", sagte Köberl im Gespräch mit der APA.
Der Fachmann für Impakt genannte Einschläge von Meteoriten und Asteroiden auf der Erde vergleicht den heutigen Einschlag mit dem "Tunguska-Ereignis" von 1908, bei dem die Explosion eines Asteroiden oder Kometen in der Atmosphäre ein Gebiet von 2.000 Quadratkilometern verwüstet hat. "Während Ereignisse wie Tunguska alle 1.000 bis 2.000 Jahre stattfinden, kann ein so kleines Ereignis wie heute mehrmals im Jahrhundert vorkommen", so Köberl.
Für Köberl sieht das Ereignis nach Sichtung der zahlreichen Videos im Internet "schon so aus wie eine typische Erscheinung eines großen Meteoriten, der in die Erdatmosphäre eindringt". Die Videos würden alle einen immer heller werdenden Feuerball zeigen, der dann eine maximale Helligkeit erreiche und darauf folgend mehrere Helligkeitsausbrüche. "Dort ist offensichtlich die Explosion erfolgt, der Meteorit in mehrere Stücke zerbrochen und man sieht auch, dass dann auch etwas weiterfliegt", so Köberl.
Verzögerung
In einem der Videos sei auch eine Explosion und zersplitternde Fenster zu hören. Dass diese mit deutlicher Verzögerung im Vergleich zur Leuchterscheinung erfolge sei auch klar, "denn diese kommt mit Lichtgeschwindigkeit, während die Luftdruckwelle mit viel geringerer Geschwindigkeit deutlich später ankommt".
Ein so großes Ereignis wie Tunguska sei es jedenfalls mit Sicherheit nicht gewesen. Schließlich seien nur ein paar Fenster zu Bruch gegangen, "wäre das so ähnlich wie Tunguska gewesen, würden die Gebäude nicht mehr stehen", sagte Köberl. In Tunguska sei das Gebiet der totalen Zerstörung mit 2.000 Quadratkilometern deutlich größer als vergleichsweise Wien gewesen.
Köberl schätzt, dass es sich um ein rund 20 Meter großes relativ poröses Objekt gehandelt hat. "Das war schon hausgroß, aber bei weitem nicht so groß wie das Objekt von Tunguska, das mindestens 50 Meter hatte", so der Experte.
Angesichts zunehmender Erdbevölkerung seien aber auch kleinere solcher Ereignisse nicht ohne Konsequenzen. "Vor 100 Jahren hat dort in der Gegend noch kaum jemand gewohnt."
Zu klein für Frühwarnung
Köberl betont auch, dass ein Objekt dieser Größe von den momentan installierten Frühwarnsystemen und Suchprogrammen nicht wahrgenommen werden könnte, weil es viel zu klein sei. Derzeitige Systeme würden von Objekten größer als einen halben Kilometer ausgehen, man beginne erst damit Objekte mit 100 Meter und mehr zu suchen, wobei man sie meist erst dann finde, wenn sie in Erdbahnnähe sind. "Objekte in der Größenordnung wie der heutige Meteorit wird man auch in den nächsten 20 Jahren nicht entdecken können, weil man die dafür notwendigen Teleskope nicht finanzieren könnte. Von einer Abwehr ist man ohnedies noch viel weiter entfernt", so Köberl.
Mehr zur Meteoriten-Sammlung des Naturhistorischen Museums lesen Sie hier.
Der Unterschied zwischen Asteroid und Komet ist nicht ganz klar abgegrenzt - sie haben aber meist ein ganz anderes Erscheinungsbild: Während Asteroiden - wenn überhaupt - als kleine schwache Lichtpunkte zu sehen sind, treten Kometen in Sonnennähe meist mit einem langen Schweif in Erscheinung. Eigentlich sind sie aber eng verwandt und entstanden beide in der Frühzeit des Sonnensystems, als sich der ursprüngliche Staub zu Himmelskörpern zusammenballte, die einige Meter bis Kilometer groß waren, schreibt der Astronom und Wissenschaftsautor Florian Freistetter in seinem neuen Buch "Der Komet im Cocktailglas".
Man nennt diese Objekte "Planetesimale", aus ihnen entstanden die Planeten. Nicht alle davon wurden aber für den Planetenbau verwendet, der Rest umkreist weiterhin die Sonne. Was heute als Komet und Asteroid bezeichnet wird, unterscheidet sich vor allem durch seinen Entstehungsort: In Sonnennähe verdampften flüchtige Substanzen, die Objekte formten sich zu Kleinplaneten oder Planetoiden zusammen, die auch Asteroide genannt werden. Rund 600.000 davon sind heute bekannt, tatsächlich dürften es aber Millionen solcher Objekte sein. Der Großteil davon befindet sich im Asteroidengürtel zwischen den Planetenbahnen von Mars und Jupiter.
Sternschnuppen
In größerer Entfernung zum Zentralgestirn konnten die "Planetesimale" auch Eis enthalten. Aus ihnen wurden die Kometen geboren, sie werden heute oft auch als "schmutzige Schneebälle" bezeichnet. Üblicherweise finden sich die Kometen in den äußeren Regionen des Sonnensystems, ab und zu bewegt sich ein solches Objekt aber auf einer Bahn, die ihn in Sonnennähe bringt. Das Eis verdampft dann, reißt Staub mit, es entsteht der lange Kometenschweif.
Die Kometen hinterlassen also eine Spur winziger Staubpartikel auf ihrer Bahn. Kreuzt die Erde eine solche Spur, entstehen sogenannte Meteorströme wie die Perseiden alljährlich Mitte August, die oft reiche Sternschnuppennächte bescheren.
Meteoriden und Meteoriten
Als Meteoroiden werden Objekte bezeichnet, die größer als interplanetare Staubkörner und kleiner als Asteroiden sind. Treten solche Meteoroiden in die Erdatmosphäre ein, so erzeugen sie durch Wechselwirkung mit den Luftteilchen eine Leuchterscheinung, die wiederum Meteor oder volkstümlich Sternschnuppe genannt wird. Verglüht der Meteoroid nicht vollständig in der Erdatmosphäre und erreicht die Erdoberfläche, wird er Meteorit genannt.
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