Bei der Verhandlung in Pretoria plädiert der Staatsanwalt auf Mord - Pistorius brach wieder in Tränen aus.
19.02.13, 15:12
Die Staatsanwaltschaft hat dem Paralympics-Star Oscar Pistorius vorsätzlichen Mord an seiner Freundin Reeva Steenkamp vorgeworfen - und auch Richter Desmond Nair folgt in seiner Einschätzung der Anklage und geht von "vorsätzlichem Mord" aus. Pistorius habe eine "unschuldige und unbewaffnete Frau" erschossen, sagte der Staatsanwalt Gerrie Nel vor Gericht in Pretoria am Dienstag in seinem Eröffnungsplädoyer vor dem Magistratsgericht in Pretoria. Pistorius habe viermal durch die Badezimmertür seines Hauses auf Steenkamp geschossen.
Bei den Anhörungen vor Gericht an Dienstag und Mittwoch wird über die Schwere der Mordanklage und die mögliche Freilassung des Profisportlers gegen Kaution entschieden. Die Anwälte des Sportlers streben eine Freilassung gegen Kaution an. Sie plädieren für eine Anklage wegen Totschlags in einem minder schweren Fall. Die Anklagebehörde möchte, dass der Beschuldigte bis zum Prozess in Untersuchungshaft bleibt.
Erste Details zur Tat
Die Staatsanwaltschaft gab dabei auch erstmals offiziell Details über den Tathergang bekannt: Pistorius soll demnach seine Prothesen angeschnallt haben und sieben Meter bis zum Bad gelaufen sein, bevor er geschossen habe. Drei der vier Schüsse sollen die 29-Jährige demnach getroffen und tödlich verletzt haben. Die Tür zum Bad sei später aufgebrochen vorgefunden worden.
Ankläger Nel begründete den Mordvorwurf damit, dass Pistorius geplant habe, zu sagen, er habe Steenkamp zunächst für einen Einbrecher gehalten. "Das war alles Teil der Planung. Warum sollte sich ein Einbrecher im Bad einschließen?", argumentierte der Staatsanwalt.
Pistorius streitet Vorwürfe ab
Pistorius habe keine Ahnung gehabt, dass es sich bei dem Menschen im Badezimmer um Reeva Steenkamp gehandelt habe, meinte die Verteidigung. Pistorius werde vor Gericht die Vorgänge der dramatischen Nacht vollständig schildern, der Vorwurf des "vorsätzlichen Mordes" sei eine "Ungerechtigkeit".
Der Paralympics-Star selbst hat den Mord an seiner Freundin bestritten. "Ich widerspreche den Anschuldigungen aufs Schärfste." Nichts sei von der Wahrheit weiter entfernt, den Anklagen fehle jede Substanz, betonte der 26-jährige Südafrikaner in einer Stellungnahme, die sein Anwalt am Dienstag vor dem Magistratsgericht in Pretoria vorlas. "Ich hatte nie die Absicht, meine Freundin zu töten." Reeva habe mit ihm die Nacht verbracht. "Wir waren sehr verliebt. Wir konnten nicht glücklicher sein", las Pistorius' Anwalt Barry Roux aus einer eidesstattlichen Erklärung des Sportlers vor.
Gewehr unterm Bett
Er sei schon einmal Opfer von Gewalt gewesen und habe deshalb stets ein Gewehr unter seinem Bett. "Ich hatte schreckliche Angst und fühlte mich ohne meine Prothesen sehr verletzlich. Ich schoss durch die geschlossene Tür und schrie". Bereits während der Ausführungen des Staatsanwalts war Pistorius in Tränen ausgebrochen. Während der Verlesung der eidesstattlichen Erklärung verlor der 26-Jährige so sehr die Fassung, dass Richter Desmond Nair die Sitzung kurz unterbrechen musste. Kurze Zeit später vertagte er sie auf Mittwoch.
Eine Äußerung des Richters deutete allerdings darauf hin, dass die Chancen des Ausnahmesportlers, bis zu seinem Prozess auf Kaution freizukommen, schlecht stünden. Er könne nicht ausschließen, dass die Tat geplant gewesen sei, sagte Nair. Dies würde bedeuten, dass eine Freilassung auf Kaution so gut wie unmöglich wäre. Allerdings wies der Richter darauf hin, dass sich seine Einschätzung bis zur endgültigen Entscheidung noch ändern könnte. Dennoch brachen bei seinen Worten Pistorius' Vater Henke und seine Schwester Aimee in Tränen aus.
Maulwurfsuche
Schon zuvor drangen immer wieder Details über die Tat an die Öffentlichkeit: Vor allem südafrikanische und britische Medien hatten in den vergangenen Tagen unter Berufung auf Ermittlerkreise darüber berichtet. Die Polizei sucht nun den Maulwurf - man betonte dabei allerdings, nicht alle Berichte entsprächen der Wahrheit.
So wurde etwa geschrieben, Steenkamps Schädel sei gebrochen gewesen; Pistorius solle in der Tatnacht Freunde und Verwandte angerufen haben - und nicht aber den Notarzt oder die Polizei. Auf einem im Haus beschlagnahmten Kricketschläger habe sich zudem laut der Zeitung City Pressviel Blut befunden.
Großer Andrang
Die auf zwei Tage angesetzten Verhandlungen begannen am Dienstagvormittag in einem völlig überfüllten Saal des Magistratsgerichts. In dem Saal, der nur für etwa 40 Zuschauer vorgesehen ist, drängelten sich weit mehr als 100 Menschen, vor allem Journalisten. Anwesend waren auch der Vater des Beschuldigten, Henke Pistorius und die Geschwister des Athleten, Aimee und Carl Pistorius, der bereits vor 7.00 Uhr aus der Polizeihaft ins Gerichtsgebäude gebracht worden war, wird von renommierten Juristen und Experten unterstützt.
Welle der Sympathie
Kurz vor dem entscheidenden Haftprüfungstermin hat der südafrikanische Paralympics-Star Oscar Pistorius eine Welle der Unterstützung und Sympathie erfahren. Bis zum Montag riss der Strom der Besucher in der Brooklyn-Polizeistation in Pretoria nicht ab. Der 26-Jährige, der seine Freundin Reeva Steenkamp ermordet haben soll, empfing Familienangehörige, Anwälte, Freunde, Berater und Geistliche.
Mehrfach besuchten bis Montag die Anwälte von Pistorius den Beschuldigten in der Polizeistation, wo der Sportstar inhaftiert ist. Pastor AJ Wilson aus der Provinz Nordkap kam derCape Timeszufolge am Sonntag mit seiner Tochter zu Pistorius. Der Athlet habe bei diesem Treffen durchwegs geweint, berichtete der Pastor. "Wir haben zusammen über die Gegebenheiten geweint, mit denen er nun konfrontiert ist", sagte der Geistliche.
Proteste vor dem Gericht
Pistorius, der Geistliche und dessen Tochter hätten sich zudem an den Händen gehalten und gebetet. Auch Pistorius' Schwester Aimee war der Zeitung zufolge zu Besuch gekommen, habe sich aber nicht dazu geäußert. Pistorius erhalte derzeit eine Flut von E-Mails und SMS-Nachrichten, in denen ihm Mut zugesprochen werde. Aber auch Protest regt sich: Vor dem Gerichtsgebäude versammelten sich Menschen, die lautstark eine Verurteilung des Sportlers forderten.
Zahlreiche Journalisten, Fotografen und Kamerateams umlagern das Polizeirevier in der südafrikanischen Hauptstadt, seitdem der behinderte Profisportler dort inhaftiert ist. Die meisten Besucher des 26-Jährigen weigerten sich, mit der Presse zu sprechen.
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