Verbrannte Erde: Wie Rhodos nach dem Feuer um Touristen kämpft
Georgios Markou blickt in den Nachthimmel. „Der Mond nimmt ab“, sagt er und wiegt den Kopf. „Deshalb weht der Wind heute so stark.“ Tatsächlich rascheln die Papiertischdecken in der Taverne des Wirts im kleinen Psinthos an jenem Abend unaufhörlich in der frischen Brise, unter den Touristen sorgt sie für willkommene Abkühlung.
Die Einwohner der südgriechischen Insel Rhodos haben den Wind derzeit aber aus ganz anderen Gründen genau im Blick. Er war es, der Ende Juli Waldbrände im Süden und in der Mitte der Insel immer weiter angefacht hat, bis die Flammen – genährt von der anhaltenden Trockenheit, der großen Hitze und mutmaßlichen Fehlentscheidungen der Feuerwehr – außer Kontrolle gerieten.
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Die Feuersbrunst war der Auftakt zu einer Reihe von Starkwetterereignissen, die seither eine Spur der Verwüstung (nicht nur) durch Süd- und Mitteleuropa ziehen. Rhodos, gern gebuchtes Urlaubsziel von Briten, Deutschen und Österreichern, stand im Zentrum der (medialen) Aufmerksamkeit. Zigtausende Touristen verließen innerhalb von wenigen Tagen teils fluchtartig die Insel, ihre Koffer blieben in Hotels oder sogar auf Stränden zurück, als Dörfer nahe der Touristenhochburg Lindos teils binnen Minuten evakuiert wurden.
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In der Brandwüste
Mittlerweile sind die Feuer gelöscht und es hat sich eine eigenartige Geschäftigkeit über die Insel gelegt. Wie man, da sind sich beim KURIER-Lokalaugenschein alle einig, mit den Nachwehen der Brände nun zurechtkommt, wird über die Zukunft der Insel als Sommerdestination mitentscheiden.
Vorerst dominiert noch eine Spur der Verwüstung, mit der die Feuer das Gesicht des Inselsüdens für die kommenden Jahre völlig neu modelliert haben. Wer sich über die Küstenstraße der Region nähert, der kann sie nicht nur sehen, sondern riechen. Ganz Landstriche haben sich in eine Art postapokalyptische Mondlandschaft verwandelt. Einzelne verkohlte Baumstämme, die sich wacker in die Höhe recken, dominieren die abgebrannten Hügel, die das übliche erdig-sandige Braun gegen Schwarz-Grau getauscht haben. Windböen tragen einem den unverkennbaren Geruch von kalter Asche in die Nase.
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Anderswo verlaufen die Brandlinien wie zufällig in wirren Mustern durch die Landschaft, sie folgen keiner für Unkundige nachvollziehbaren Logik. Auch hier lag es am Wind, der die Feuer in jene Richtung, dann in die andere trieb. Mal blieb ein einziger unter Dutzenden Olivenbäumen verschont, mal liegen kleine Dörfer fast trotzig inmitten der abgebrannten Wälder. Manche Häuser strahlen unbeschädigt im landestypischen Weiß, nebenan sind Blumenstöcke in Vorgärten verbrannt, Tontöpfe liegen in Scherben, die Gartenmöbel sind zu Plastikklumpen geschmolzen.
Heftig erwischt hat es den Touristenort Kiotari. Er war einer der Ersten, der evakuiert wurde, als sich die Brände Richtung Küste ausbreiteten. Die Schilder am Ortseingang weisen niemandem mehr den Weg, sie sind bis zur Unkenntlichkeit verkohlt. Die „Kiotari Mall“ – eine Zeile an Mini-Geschäften, wie man sie aus jedem Badeort kennt – ist zum Teil ausgebrannt. Aber auch für jene Läden, die verschont blieben, ist die Saison beim Teufel. „Sale“, hat die Eigentümerin des Souvenirshops, der Strandkleider mit obszön großen, orange-violetten Mustern und die obligatorischen Holzflaschenöffner in Penisform verkauft, auf rote Schilder gedruckt.
In einer nahen Bucht, in der ein Nobel-Wirt eine Strandbar mit Mykonos-Flair errichtet hat („Eine Flasche Champagner angeblich um mehrere Tausend Euro“, erzählt die Konkurrenz nicht ohne Naserümpfen), ist nichts mehr geblieben. „80 Sonnenschirme und 150 Strandliegen passen jetzt in ein Plastiksackerl.“ Klingt amüsanter, als es ist.
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Die Gretchenfrage
Auf der Einfahrt des „Rhodos Princess“, Schmuckstück einer Hotelkette auf der Insel, hat man in der sonst fein gekehrten Auffahrt die Reste der Einrichtung aufgetürmt – worum es sich handelt, ist nicht mehr zu erkennen. „Das Feuer war schlimm“, sagt ein Hotelmanager. Dem älteren Herren drohen die Gesichtszüge zu entgleisen, er kämpft mit den Tränen. „Die Saison ist vorbei, wir sperren erst 2024 wieder auf.“
Die Kette hält mehrere ihrer Hotels geschlossen – finanziell und organisatorisch eine Herausforderung: Wie man die noch aufrechten Buchungen der kommenden Monate umschichten will, ist noch unklar. Dass auch jene, die im Juli überstürzt abreisten, noch auf eine Kompensation (und fallweise ihr Gepäck) warten, kommt dazu.
Es ist die Kernfrage, die alle umtreibt: Kann es gelingen, die Touristen weiter (oder wieder) für Rhodos zu begeistern? Wenn ja, wie?
Bei internationalen Reiseveranstaltern stehen die Zeichen nämlich auf Sturm. Der weltweit größte, der deutsche Tui-Konzern, erlitt nach eigenen Aussagen bei den jüngsten Bränden Schäden von 25 Millionen Euro. Nur wenige Tage später überlegte Tui Änderungen beim Angebot: Man werde die Griechenland-Saison auf Mitte November verlängern, vielleicht gar bis Weihnachten. Im Sommer wolle man hingegen den Fokus auf nordische Länder legen.
Eine Studie der EU-Kommissionen weist in eine ähnliche Richtung: Ab einer Erwärmung von 3 bis 4 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit würden Regionen in Mittel- und Nordeuropa „ganzjährig attraktiv“ für Touristen, heißt es. Und das zulasten mediterraner Regionen, die bisher Umsatzbringer waren. Eine Umfrage der European Travel Commission ergab, dass die Zahl jener, die ans Mittelmeer reisen wollen, im Vergleich zum Vorjahr bereits um zehn Prozent gesunken ist.
In Rhodos will man um jeden Gast kämpfen. „Wir müssen unbeirrt weitermachen“, sagt etwa Andras Czovek, der in Kiotari ein Hotel mit 13 Zimmern betreibt. Der Ungar bestreitet seit 16 Jahren die Saison auf Rhodos. Sie ist besonders lang, keine andere griechische Insel hat so viele Sonnenstunden. Das weckte einst seinen Geschäftssinn.
Im Juli hatte er Glück im Unglück. Der Wind habe in letzter Sekunde gedreht, „die Flammen haben zwei Meter vor der Rückwand meines Hotels halt gemacht“, erzählt er. Schließen musste er dennoch, nur mit Laptop unterm Arm floh er Richtung Flughafen. („Sicher ist sicher.“) Andere hat es härter getroffen, etwa jene Familie, deren Taverne im Nachbarort bis auf die Grundmauern niederbrannte. Mit einer Online-Spendenaktion will man im Dorf nun unterstützen, bis staatliche Hilfen kommen.
Czovek hat wieder geöffnet. „We are open again“, hat er auf einen Zettel gedruckt, sich damit vor seinem Hotel postiert und ablichten lassen. Das Foto ziert den Eintrag seiner Unterkunft auf den Buchungsplattformen. „Den größten Schaden hat nicht das Feuer angerichtet“, sagt er – und man ahnt, was kommt: „Sondern die Berichterstattung darüber.“ Als „das Desaster begann, seien alle Medien aufgesprungen. Als alles gelöscht war, hat es niemanden mehr interessiert“. Bis heute wüssten viele potenzielle Gäste nicht, dass die Lage längst unter Kontrolle sei, sagt Czovek. Überhaupt: Brände habe es auf Rhodos „immer gegeben“.
Tavernenwirt Markou sieht es differenzierter. Brände, ja, die habe es immer gegeben. Aber selten sei eine so große Fläche – rund 160 Quadratmeter, 20 Prozent der bewaldeten Gebiete – abgebrannt. „Hitzeperioden gibt es jedes Jahr, meist dauern sie drei bis vier Tage, diesmal waren es mehr als zehn Tage“, sagt er.
Erst zwei Jahre ist es her, da haben die Feuer in der Region um Maritsa und Psinthos, nahe seiner Taverne, gewütet. „Man fühlt den Druck auf der Brust, lebt in Furcht um die eigene Familie“, sagt er. Und: „Da fühlt man sich als Mensch, auch als Tourist, nicht wohl, das ist klar.“
Ob Rhodos als Sommerdestination eine Zukunft habe, hänge auch davon ab, „ob es gelingt, das Vertrauen der Gäste zu gewinnen“, sinniert Markou. „Viele sind Freunde der Insel und kehren trotz aller Widrigkeiten zurück. Wenn sie jedes Jahr um ihren Urlaub fürchten müssen, stellt sich aber die Frage, wie lange noch.“
Wirtschaftsfaktor Tourismus
Für die Wirtschaft ist das eine Horrorvision. 85 Prozent der lokalen Wertschöpfung entstehen im Tourismus, der Rest entfällt auf Wein- und Olivenanbau. Dass auch die Pflanzen unter dem Klimawandel leiden (weniger unter der Hitze, mehr unter den verschobenen Trocken- und Regenperioden), trifft das Weinbaugebiet rund um Embona an der Nordküste. Der Ort blieb im Juli nur verschont, weil – erneut – der Wind dreht.
Für die Regierung in Athen ist Rhodos ein gewichtiger Wirtschaftsfaktor. Dass Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis im britischen Fernsehen all jenen, die ihren Urlaub abbrachen, für 2024 einen Gratis-Urlaub in der Nebensaison versprach, kommt bei Hoteliers auf der Insel jedenfalls gut an. (Dass unklar ist, wie die Regierung dies administrieren und bezahlen will, stört vorerst niemanden.)
Die vollmundige Ankündigung des Politikers, dass Rhodos sich heute „einladender denn je“ präsentiere, kann man freilich nicht erfüllen. Aber man arbeitet daran – mit gehörig Kosmetik. Während bereits wieder Flieger um Flieger landet und man sich im Norden, der vom Feuer verschont blieb, die Lage in den Partyorten schön trinkt, wird im Süden an der Küstenstraße eifrig gearbeitet.
Gärtnereien liefern in Pritschenwägen Hundertschaften an Oleanderstöcken und anderen schnell wachsenden Pflanzen, in engem Abstand werden sie direkt am Straßenrand gepflanzt und mit Schläuchen bewässert. Kilometerweit zieht sich der grüne Streifen durch die Landschaft – mit einem Zweck: den Blick auf die Aschewüste dahinter möglichst rasch zu verstellen. „Nächstes Jahr wird man gar nicht mehr sehen, wie es dahinter aussieht“, zeigen sich Hoteliers erfreut. Ein potemkinsches Idyll. Bis der Baumbestand nachgewachsen ist, wird es 20 bis 30 Jahre dauern. Wenn der Wind mitspielt.
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