Die Sonneninsel in Flammen: Rhodos, ein fallender Koloss und die Apokalypse
Der Sonnengott Helios war schon gnädiger mit seiner Insel. Als Göttervater Zeus - so weiß es die griechische Mythologie - eines Tages entschied, die Erde unter den Göttern des Olymp aufzuteilen, wünschte sich Helios jenes wunderschöne Eiland, das er auf seinen Reisen über den Erdball einst erspähte: die fruchtbare Sonneninsel Rhodos.
Er hatte die Rechnung ohne den Klimawandel gemacht. Seit Tagen wüten die Feuer in den trockenen, bewaldeten Hügel bei Eleousa und Laerma südlich der Inselmitte. Bis zu 19.000 Einheimische und Touristen mussten fliehen, viele verließen die Insel in Booten, andere sitzen in Auffanglagern fest.
➤ "Alle sofort raus, Gepäck da lassen": Tausende müssen griechische Inseln verlassen
Die Insel ist seit vielen Jahren eine der beliebtesten Urlaubsdestinationen für Touristen aus Großbritannien, Deutschland und auch Österreich. Wie auf vielen griechischen Inseln ist auch in Rhodos der Tourismus der wichtigste Wirtschaftszweig, weit mehr als 80 Prozent der Wertschöpfung entfallen auf das Geschäft mit den (Sommer-)Urlaubern.
Auch den Autor dieser Zeilen zieht es fast jedes Jahr nach Rhodos.
Und dafür gibt es viele Gründe. Die Insel - benannt nach der wunderschönen Nymphe Rhode, die Helios zur Frau nahm - wird ihrem Namen mehr als gerecht. Abseits der Touristenorte, in denen sich Bars an Pubs an Bars reihen, in denen sonnenverbrannte Gäste bis weit nach Mitternacht lautstark feiern, bietet die Insel eine Vielzahl an versteckten Orten, kulturellem Erbe und Naturschönheiten. Und, nicht zuletzt, so wundervoll freundliche Menschen.
Ursprünglichkeit
Gerade dort, wo Rhodos sein touristisches Antlitz verliert und sich ein bisschen Ursprünglichkeit bewahrt hat, sind nun die Brände außer Kontrolle geraten. Bis zu 45 Grad hat es derzeit, Winde feuern die Flammen weiter an, die längst außer Kontrolle geraten sind.
Nur gut zehn Fahrminuten sind es etwa von den Bränden südlich von Eleousa bis zum Bergdorf Embona, in dem einer der wenigen anderen Wirtschaftszweige der Insel am Leben erhalten wird. Die Gemeinde ist bekannt für ihren Wein. (Und den hochprozentigen Traubenbrand Souma, der nirgendwo so herrlich klar und scharf schmeckt wie hier.)
➤ Wo es in Griechenland gerade brennt - und wo es ungefährlich ist
Dem Autor war das Dorf immer wieder Anlaufstation für seine Reisen über die Insel. Wer nicht mit dem Reisebus kommt, um sich mit einer der mittelmäßigen Weinverkostungen, die hier für Gruppen angeboten werden, abspeisen zu lassen, kann hier die große Gastfreundschaft der Menschen erleben.
Wenn die Sonne erwacht
Schon knapp vor Sonnenaufgang versammeln sich - als müssten sie dem Klischee Genüge tun - die älteren Männer des Ortes in einer kleinen Bäckerei, die (geführt von zwei jungen Frauen) bereits geöffnet hat. In den Vitrinen gibt es nicht nur Traditionelles, sondern überraschend zeitgeistige Tortenkreationen, wie man sie auch in Wiener Hipster-Bezirken finden würde. Den klassischen griechischen Kaffee, für den die Männer gekommen sind, den gibt es freilich auch.
➤ Rhodos in Flammen: 19.000 Personen evakuiert, Flüge gestoppt
Die meisten von ihnen steigen für eine kurze Pause aus in die Jahre gekommenen Pick-Ups, auf deren Ladeflächen sich die Kisten stapeln. Viele hier sind Wein- oder (seltener) Olivenbauern.
Und manch einer macht sich schon in der Früh auf den beschwerlichen Weg zum höchsten Berg der Insel, auf den eine nahe Schotterstraße führt. Wer rechtzeitig ankommt, hat einen beeindruckenden Blick auf die erwachende Sonne, die aus dem Meer taucht.
Am Abend wird man die Männer wieder sehen. Wer Glück hat und während des alljährlichen Dorffestes nach Embona kommt, den geleiten die Bewohner von der Hauptroute weg in eine Nebengasse, die zu einem tieferliegenden, von der Straße aus nicht einsehbaren Platz führt.
Auf Bierbänken und Plastikstühlen hat sich hier das ganze Dorf versammelt. Auf riesigen Grillern braten Fleischspieße, dazu gibt es Brot, Tsatsiki, Fisch und viel Wein. Eine Band spielt, die Dorfjugend führt traditionelle Tänze auf. Das Besondere: Touristen werden zwar freundlich Willkommen geheißen, sind hier aber deutlich in der Minderheit. Vielmehr sind es Verwandte und Freunde aus benachbarten Dörfern, die gekommen sind, um zu feiern.
Dieser Tage herrscht in Embona Angst. Die griechischen Behörden sprechen von der "größten Brand-Evakuierung“, die es je in Griechenland gegeben habe.
Lindos, das Postkartenmotiv
Betroffen ist auch die deutlich touristischere Region rund um Lindos, dem sich die Flammen vom nahegelegenen Laerma aus nähern. Die Stadt gilt als einer der Höhepunkte jeder Rhodos-Reise. Linda - die Milde, die Sanfte? Darauf ist der Name der Stadt, die eine der drei ältesten der Insel ist, nicht zurückzuführen. Es passt dennoch.
Mit seinen weißen Häusern und dem türkis-klaren Meer in der kleinen Bucht, die der in den Hügel gebauten Stadt zu Fuße liege, ist Lindos ein beliebtes Postkartenmotiv. (Ob man den blauen Dächern von Santorin das Wasser reichen kann, darüber lässt sich mit den Einwohnern lange debattieren.)
Schon früh - wohl unter den Dorern im 11. Jahrhundert vor Christus - war Lindos ein Handelszentrum, das die Insel mit anderen Völkern vernetzte. Bekannt ist die Stadt nach einem der drei Enkel des Helios, die als Gründerväter der Insel gelten: Kamiros, Ialysos, Lindos - nur eine der drei Städte hat den Sprung ins Heute geschafft, die anderen sind (sehenswerte) Ausgrabungsstätten.
Bedeutsamer Athene-Kult
Bedeutsam ist die Akropolis, in der frühe Kulturen bereits im Jahr 2000 vor Christus eine weibliche Vegetationsgottheit anbeteten. Später formten die Dorer den Kult zu einem der Göttin Athene - geboren aus dem gespaltenen Kopf des Zeus - um, der man hier auf Rhodos einen Beinamen verpasste: Athene Lindia.
Die Akropolis überdauerte die Zeit, sie wurde zur Wallfahrtsstätte, später sogar zu einer Festung der Johanniter, mit denen die gesamte Insel - allen voran die Hauptstadt im Norden - historisch so fest verbunden ist.
Der Weltuntergang
Etwas südlich von Lindos, aber nicht weniger entfernt von den Feuern, liegt ein besonderes Kleinod. In einer kleinen Dorfkirche in Asklipio finden historisch Interessierte bedrückende Fresken, die sie so kaum irgendwo zu sehen gibt: In einem Querarm der orthodoxen Kirche erstreckt sich über Wand und Decke die Apokalypse.
Christus thront über der Welt und den Gerechten in ihren weißen Gewändern. Unter ihm Maria, bedroht von einem siebenköpfigen Drachen, die Posaunenbläser vor der stürzenden Stadt, der Antichrist als geflügeltes Ungetier - und natürlich die apokalyptischen Reiter.
Was die Darstellung so besonders macht, ist nicht nur ihre Seltenheit - im byzantinischen Kulturkreis stellt die Apokalypse ein seltenes Thema dar -, sondern ihre Eindrücklichkeit.
Die Bewohner von Rhodos trotzten in ihrer Geschichte vielen Gefahren. Für fremde Mächte war die Insel stets von großem strategischen Interesse: Im 14. Jahrhundert versprach der Papst den Johannitern die Insel als "immerwährendes Eigentum", 1522 musste man sich den Osmanen nach heftigen Angriffen geschlagen geben. Sie herrschten bis 1912, bevor Rhodos unter Besatzung der Italiener und später Nazi-Deutschlands geriet.
Übrigens: Der Sonnengott Helios wachte lange Zeit höchstselbst über die Insel. Der Koloss von Rhodos, eines der antiken Weltwunder, war sein Abbild. Die Bronzestatue, die man als Siegesdenkmal errichtete, blickte auf die Inselhauptstadt herab - und musste (mit ihren 36 Metern Höhe) eine monumentales Bild abgegeben haben. (Auch wenn, das gilt historisch als gesichert, ihre Darstellung als Wächter über der Hafeneinfahrt falsch ist. Weit gespreizte Beine, das geht sich für eine Figur dieser Höhe nicht aus, sie wäre zu instabil gewesen.)
Im Jahr 227 vor Christus fiel der Koloss. Er knickte an den Knien ab und ging zu Boden. Auch damals war es eine Naturgewalt, die die Insel in Atem hielt. Ein Erdbeben.
Möge Rhodos die Feuer unbeschadet überstehen.
Kommentare