Terror in Neuseeland: Fassungslosigkeit nach Anschlag

Terror in Neuseeland: Fassungslosigkeit nach Anschlag
Mit einem halbautomatischen Gewehr bewaffnet, stürmt ein australischer Rechtsextremist zwei Moscheen in der Stadt Christchurch und tötet fast 50 Menschen.

Was wir wissen:

  • Bei Angriffen auf zwei Moscheen in der neuseeländischen Stadt Christchurch kamen mindestens 49 Menschen ums Leben, 48 weitere erlitten Verletzungen.
  • Der Täter, ein 28-jähriger gebürtiger Australier streamte die Angriffe live im Internet und verbreitete vorab ein 73-seitiges Hass-Manifest mit dem Titel "The Great Replacement" (Der große Austausch) online.
  • Als Grund für seine Radikalisierung gibt der 28-Jährige unter anderem die Niederlage der französischen Rechtspopulistin Marine Le Pen bei der Präsidentschaftswahl 2017 an.
  • Auf seinen Waffen und seiner Ausrüstung befinden sich handgeschriebene Verweise auf Daten und Personen, die im Kampf gegen islamische Herrscher relevant waren, auch ein Hinweis auf die Zweite Türkenbelagerung Wien 1683 findet sich.
  • Bundeskanzler Kurz ist schockiert, Putin fordert eine "verdiente Strafe" für die Täter.

KURIER Redakteurin Laila Daneshmandi über die Stadt Christchurch

Bei einem Terrorangriff eines australischen Rechtsextremen auf zwei Moscheen in der neuseeländischen Stadt Christchurch sind mindestens 49 Menschen getötet worden. Weitere 48 Personen werden mit Schusswunden in verschiedenen Krankenhäusern behandelt. Der "Terroranschlag" sei "gut vorbereitet" gewesen, sagte die neuseeländischen Premierministerin Jacinda Ardern. Die mutmaßlichen Angreifer seien nicht auf Terrorlisten gewesen.

Vier Verdächtige - drei Männer und eine Frau - wurden festgenommen. Polizeisprecher Mike Bush erklärte, einem der Verdächtigen, einem 28-jährigen gebürtigen Australier, werde Mord vorgeworfen. Er soll bereits am Samstag einem Richter vorgeführt werden. Bei zwei Verdächtigen müsse noch genau geklärt werden, was sie mit dem Vorfall zu tun hätten. Sie seien im Besitz von Schusswaffen gewesen. Einer der Festgenommenen stehe vermutlich nicht mit dem Angriff in Verbindung. Die Polizei rief die Bevölkerung in Christchurch auf, weiterhin wachsam zu sein. Die Gefahr sei noch nicht gebannt, sagte Bush. Die Menschen sollten nach Möglichkeit zu Hause bleiben.

"Die Schüsse gingen immer weiter"

Bei den Ermittlungen zu den Anschlägen hat die Polizei ein Wohngebiet in der 350 Kilometer entfernt gelegenen Stadt Dunedin evakuiert. Anrainer in der Nähe eines Hauses seien vorsichtshalber in Sicherheit gebracht worden, erklärte die Polizei am Freitag. Das Haus sei im Zusammenhang mit den Ermittlungen "von Interesse", hieß es.

Terror in Neuseeland: Fassungslosigkeit nach Anschlag

Die Masyid-al-Noor-Moschee in Christchurch

Nach Augenzeugenberichten begann der Angriff gegen 13.45 Uhr (1.45 Uhr MEZ). Ein bewaffneter Mann drang in eine Moschee in der Innenstadt ein, wo sich mehr als 300 Menschen zum Freitagsgebet versammelt hatten, und schoss mit einer Schnellfeuerwaffe um sich. Zeugen zufolge handelt es sich bei dem Täter um einen weißen Mann, der einen Helm und eine kugelsichere Weste trug. Später fielen auch noch in einer anderen Moschee Schüsse.

Einer der überlebenden Gläubigen, Mohan Ibrahim, berichtete der Zeitung New Zealand Herald von einem "Schockmoment". "Dann haben alle Leute angefangen davonzulaufen." Ein anderer Zeuge, Ahmad Al-Mahmoud, sagte: "Es fielen mindestens 50 Schüsse, sehr schnell hintereinander. Können auch Hunderte gewesen sein." Nach der Tat sperrte die Polizei das Gelände um die Moschee weiträumig ab. In einem Fernsehinterview sagte ein anderer Mann in einem blutbefleckten Hemd, er habe sich unter einer Bank versteckt und gebetet, dass der Angreifer aufhöre, zu schießen. "Die Schüsse gingen immer weiter, immer weiter." Als sie aufhörten, habe er gesehen, wie der Angreifer seine Waffe gewechselt habe.

Entsetzen über Attentat in Christchurch

Echtheit des Videos bestätigt

Der 28-Jährige veröffentlichte während seiner Tat ein Live-Video, das ihn bei der Fahrt zur Al-Noor-Moschee zeigt und wie er das Feuer eröffnet, während er das Gotteshaus betritt. Die Aufnahmen davon, wie er aus nächster Nähe seine Opfer erschießt, sind extrem brutal. Die Polizei rief alle Internetnutzer auf, das Video nicht weiterzuverbreiten. Die Aufnahmen wurden von den Websites entfernt, das Twitter-Konto mit dem Manifest wurde gesperrt.

Laut einem AFP-Abgleich stimmen die Video-Aufnahmen mit anderen Internet-Fotos der Moschee und ihrer Umgebung überein, ebenso wie der gemusterte grüne Teppichboden aus dem Inneren der Moschee. Die auf dem Video hörbaren Navi-Anweisungen aus dem Auto des Angreifers ermöglichten es der AFP, mit Hilfe von Google StreetView die Fahrt des Mannes über zwei Kilometer bis zur Moschee nachzuverfolgen. Gelegentlich spricht der Mann während der Fahrt, sein englischer Akzent klingt Australisch.

Das Profilbild und der Name des Facebook-Kontos, auf dem das Video übertragen wurde, tauchen auch auf dem Twitter-Konto mit dem Manifest auf. Darin beschreibt sich der Täter als 28-jähriger gebürtiger Australier aus einer einkommensschwachen Arbeiterfamilie. Als Gründe für seine Radikalisierung nennt er die Niederlage der französischen Rechtspopulistin Marine Le Pen bei der Präsidentschaftswahl 2017 sowie den Tod der elfjährigen Ebba Akerlund bei einem islamistischen Lastwagenanschlag in der Stockholmer Fußgängerzone im selben Jahr. In einer ersten Reaktion verurteilte Ebbas Mutter am Freitag den Anschlag scharf.

Überschrieben ist das Hass-Manifest mit "The Great Replacement" (Der große Austausch). Der Titel geht auf eine aus Frankreich stammende rechtsextreme Verschwörungstheorie zurück, wonach die Bevölkerung in Europa durch Zuwanderer ersetzt werden soll, deren Geburtenrate deutlich höher sei.

Auf dem Twitter-Konto tauchen unter dem Datum 13. März auch Bilder der Waffen des mutmaßlichen Angreifers auf, die in dem Live-Video zu sehen sind. Sie tragen auf Englisch und in osteuropäischen Sprachen handgeschriebene Namen von mehreren historischen Militärvertretern - darunter von Europäern, die sich im 15. und 16. Jahrhundert an den Kämpfen gegen die Osmanen oder - noch früher - an den christlichen Kreuzzügen beteiligt hatten. Unter anderem findet sich mit "Vienna 1683" eine Referenz auf das Jahr der Zweiten Türkenbelagerung von Wien auf seiner Munition. 

Der Attentäter nahm offenbar auch Bezug auf die Tat des rechtsextremen italienischen Aktivisten Luca Traini, der im Februar 2018 in Macerata auf offener Straße auf sechs Afrikaner geschossen und sie verletzt hatte. Laut italienischen Medien sei der Name Trainis auf einem der Gewehre zu lesen, mit dem der Täter geschossen hat.

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Vienna 1683

Auf seiner Munition verweist der Attentäter unter anderem auf die Zweite Türkenbelagerung von Wien.

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Schwarze Sonne

Am Rucksack findet sich unter anderem die Schwaze Sonne, ein wichtiges Ersatz- und Erkennungssymbol der rechtsesoterischen bis rechtsextremen Szene.

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Staats- und Regierungschef weltweit verurteilten den Anschlag und drücken ihr Beileid für die Opfer aus. "Die Terrorattacke in Christchurch ist eine schreckliche und barbarische Attacke auf Menschen, die beten (...) wollten. So eine grausame und bösartige Tat muss sehr stark verurteilt werden", schrieb etwa Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Freitag auf Twitter.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat sich von dem mutmaßlichen Terrorangriff erschüttert gezeigt: "Ich bin schockiert und betrübt über die terroristische Attacke auf eine (sic!) Moschee in #Christchurch. Mein herzliches Beileid gilt den Verletzten, den Familien der Opfer und dem neuseeländischen Volk", schrieb der Kanzler. Mehr zu den nationalen und internationalen Reaktionen lesen Sie hier:

Die radikalislamischen Taliban in Afghanistan haben den Anschlag ebenfalls scharf verurteilt. Mit großer Trauer hätten sie von der Tat erfahren, die zum "Märtyrertod von 49 Muslimen" geführt habe, schrieben die Islamisten in einer Stellungnahme am Freitag. Ein Angriff auf "unschuldige Gläubige" sei ein "unverzeihliches Verbrechen", hieß es weiter. Die Taliban beteten dafür, dass die Märtyrer ins Paradies kämen und es den Verwundeten bald wieder besser gehe.

In Neuseeland ist nur eine kleine Minderheit der Bevölkerung muslimischen Glaubens. Insgesamt gibt es dort etwa 50.000 Muslime, viele davon Einwanderer aus Staaten wie Pakistan oder Bangladesch. Größte Religionsgruppe in Neuseeland ist das Christentum.

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