Sie waren Pioniere, lieferten eine Weltsensation: Reinhold Messner und Peter Habeler bestiegen vor 45 Jahren den Mount Everest ohne Flaschensauerstoff. Seither ist vieles anders geworden auf dem Berg der Berge. Die Sherpas stehen jedes Jahr Hunderten Aufstiegswilligen zur Seite. Das wurde zum Geschäftsmodell. Messner, heute 78 Jahre alt, spricht über die Veränderungen.
KURIER:Das Datum der Erstbesteigung stand schon lange in den Geschichtsbüchern, als Sie 1978 die Idee hatten, den Everest als Erster ohne Sauerstoffgerät zu besteigen. Überwog das Streben nach Ruhm?
Reinhold Messner: Nein. Das war schlicht die Folge meiner Haltung den Bergen gegenüber. Den Everest, ohne Maske zu besteigen, galt als unmöglich. Ich wollte das Postulat hinterfragen. Denn das Bergsteigen lebt vom Unmöglichen. Und mit all der Technologie – den Sauerstoffgeräten, Bohrhaken bis hin zum Hubschrauber – schalten wir das Unmögliche aus. Ich habe von Anfang an nie künstlichen Sauerstoff benützt in der großen Höhe. Ich bin ein Verzichtsalpinist. Weil ich ein Abenteuer erleben und nie machen wollte, was heute gemacht wird.
Was wird denn heute gemacht?
Es wird heute am Mount Everest nicht Alpinismus, sondern Tourismus betrieben. Wenn mir also jemand erzählt, als Tourist auf den Everest gestiegen zu sein, dann gratuliere ich. Großartig! Alpinismus ist es nicht. Abenteuer braucht hingegen drei Zutaten: Die Schwierigkeit, die man überwinden lernen muss. Dann die Gefahr, die man erkennen muss, um ihr auszuweichen. Und draußen zu sein, weit weg, und damit Eigenverantwortung zu übernehmen ist das Wichtigste.
Und wo findet man die Herausforderungen für den Alpinismus heute noch?
Klettern ist ein großartiger Sport, wenn heute Wettkämpfe in klimatisierten Hallen auf künstlichen Wänden stattfinden. Ich habe nichts dagegen, aber das ist nicht Bergsteigen oder Felsklettern. Die größten Herausforderungen finden junge Leute heute bei Soloaufstiegen auf den schwierigsten Routen in großer Höhe. Da darf kein einziger Fehler gemacht werden.
Was geschieht hingegen am Fuße des höchsten Gipfels der Erde?
Da gehen im März und April 500 Sherpas ins Basislager, bauen eine Zeltstadt und eine Piste zum Gipfel. Keine zum Skifahren, eine, die links und rechts mit Seilen abgesichert ist. Wenn die Lager mit Ärzten, Köchen, bis zur Sauna bestückt sind, werden die Klienten aus aller Welt, die teilweise einige Millionen zahlen, in einer Kolonne hinaufgebracht. Heute ist es zwar noch immer irgendwie verpönt, aber ich möchte nicht wissen, wie viele mit dem Helikopter bis zur Mitte des Berges hinauffliegen. Teurer Tourismus.
Wie gut muss man da klettern können?
Bei dieser Methode ist es möglich, auf den Everest zu steigen, ohne klettern zu können. Die Kolonne trägt den Einzelnen mit. Das ist eben Massentourismus wie in den Alpen. Ausdauer ist erforderlich, Mut und Leidensfähigkeit. Man kann ja nicht wie daheim aufrecht aus dem Badezimmer gehen, sondern man kriecht aus dem Zelt. Ich kritisiere das nicht, es muss nur richtig beschrieben werden. In Eigenregie könnte keiner von den reichen Touristen rauf. So wie damals Hillary (1953 bei der Erstbesteigung, Anm.) würde es die Hälfte nicht bis zur Wandmitte schaffen.
Haben Sie mit Hillary über solche Entwicklungen gesprochen?
Als er noch lebte, war der Umbruch schon erkennbar. Wir waren 2003 gemeinsam zum 50-jährigen Jubiläum der Erstbesteigung beim König von Nepal und haben vorgeschlagen: eine Expedition pro Saison und Route. Er hat gesagt, es gehe nicht nur um Geld, das die Regierung kassiere, eine ganze Region lebe von diesen Touristen. Heute sind es 50 bis 100 Expeditionen pro Jahr, die Wohlstand bringen.
Und für die Touristen setzen Einheimische immer noch ihr Leben aufs Spiel ...
Im unteren Teil, im Bereich des Eisfalls ist der Everest am gefährlichsten. Dort braucht es Leute, die alle Tage aufsteigen, um zu kontrollieren, ob irgendetwas eingebrochen ist, sonst würden die Klienten ja in den Tod laufen. Drei dieser sogenannten Icefall-Doctors sind kürzlich tödlich verunglückt.
Sollte man die Geschichte des Mount Everest nicht den Sherpas zurückgeben?
Das ist ja der Grund, warum ich ein Museum am Fuße des Mount Everest vorangetrieben habe. Die Sherpas sollen ihr Selbstwertgefühl entwickeln, das auf ihrer Historie beruht. Erzählt wird die Geschichte Völkerwanderung der Sherpas. Wie sie vor 500 Jahren in den Sherpa Himal kommen, 20.000. Dort Fuß fassen. Wie sie von den Engländern in den 1920ern rekrutiert werden als Helfer, Five’o’Clock-Teemacher als Zeltbauer und Holzholer. Dann werden sie langsam zu Köchen, zu Betreuern auf höherer Stufe, zu Bergführern. Heute beherrschen sie das Tourismusgeschäft am Everest. Völlig verdient. Ihr Selbstwertgefühl hat sich schon an Tenzing Norgays aufgerichtet: 1953. Im Museum Sherpa Himal erzähle ich davon.
Wann ist die Museumseröffnung? Eröffnet wurde am 25. Mai. Weil da die Sterne gut standen, wie die Einheimischen meinen. Öffentlich zugänglich wird das Museum ab 29. Mai – dem Gipfeltag von Tenzing und Hillary.
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