Mega-Aufwand für die Reinigung der Seine für Olympia: Aber reicht das?
Unter malerischen, gold-verzierten Brücken schlängelt sich die Seine durch Paris. Der Fluss prägt das Stadtbild, gehört zu Paris wie der Eiffelturm, ist ein Wahrzeichen der Metropole. Allem voran ist die Seine aber eines: dreckig. Am Dienstag wurde der Triathlon verschoben: Bedenklich.
Bis zum heutigen Tag werden Abwässer teilweise ungefiltert in die Seine geleitet, im Jahr 2022 waren es 1,9 Millionen Kubikmeter. Bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris sollen in ebendiesem Fluss nun Schwimmwettkämpfe ausgetragen werden. Ein erster Bewerb musste abgesagt werden. Wie managt die Stadt das Problem für die Olympischen Spiele?
Der KURIER begab sich auf Spurensuche - zwischen Kanalratten und riesigen Betonzylindern.
Bei der Generalprobe hatten sich Athleten infiziert
„Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen“, sagte einst der griechische Philosoph Heraklit - ob es die Olympioniken in diesem Jahr auch nur ein einziges Mal tun wollen, ist allerdings fraglich. Denn die Generalprobe zu den olympischen Schwimmwettbewerben in der Seine war schon sprichwörtlich in die Hose gegangen. Bei Testwettkämpfen, dem sogenannten Paris Test Event, haben sich im Sommer des vergangenen Jahres mehrere Triathleten mit Escherichia-Coli-Bakterien infiziert – so auch die Österreicherin Tanja Stroschneider.
"Das Wasser der Seine war sehr unsauber, es stank und die Ratten liefen umher", erzählt die Triathletin im KURIER-Gespräch. "Der Donaukanal in Wien wirkt einladender". Geschwommen wurde beim Paris Test Event trotzdem, die Einzelbewerbe der Männer und Frauen fanden jeweils in der Seine statt.
Grundsätzlich seien im Triathlon Grenzwerte für Wasser-Verunreinigungen festgelegt, um die Gesundheit der Athleten zu schützen. In Paris wären diese 2023 allerdings eher willkürlich kontrolliert worden. "Erst nach den Wettkämpfen habe ich erfahren, dass wir von offizieller Seite ganz andere Wasserwerte kommuniziert bekommen haben als jene, die gemessen wurden", berichtet Stroschneider. Alle weiteren Schwimmbewerbe wurden schließlich abgesagt, der Triathlon wurde zum Duathlon.
Ein veraltetes Kanalisationssystem sorgt für die ekligen Verhältnisse
Die mangelhafte Wasserqualität der Seine hat ihren Ursprung im Pariser Kanalisationssystem, das vor über 150 Jahren erbaut wurde. Hier werden Regen- und Abwasser zusammengeführt. Während dieses Wasser früher direkt in die Seine geleitet wurde, gibt es mittlerweile sechs Kläranlagen außerhalb der Stadt, in denen das Abwasser gereinigt wird, ehe es in den Pariser Fluss fließt.
Kommt es aber zu starken Niederschlägen, drohen die sechs Kläranlagen zu überfluten. Um das zu verhindern, wird das Abwasser in solchen Fällen teilweise umgeleitet - und zwar in die Seine. Im Jahr 2022 flossen auf diesem Wege 1,9 Millionen Kubikmeter ungereinigtes Abwasser - das entspricht in etwa 760 olympischen Schwimmbecken - in den Fluss.
Schwimmen in der Seine stellt ein Gesundheitsrisiko dar. Seit 100 Jahren.
Es überrascht also nicht, dass das Schwimmen in der Seine in Paris bereits seit 1923 offiziell verboten ist. Die französische Regierung befand damals, dass der Gehalt an Fäkalbakterien, Metall und anderen ungesunden Stoffen in dem Fluss schlichtweg zu hoch sei und damit ein Gesundheitsrisiko darstelle. Badende könnten Haut- und Magen-Darm-Infektionen davontragen, schuld seien Bakterien wie Escherichia-Coli.
Erst im Jahre 1988 wurde das Schwimmen in der Seine wieder zum Thema, als das damalige Pariser Stadtoberhaupt und spätere Präsident, Jacques Chirac versprach, dass man innerhalb der nächsten fünf Jahre in dem Fluss baden können werde. "Und ich bin der Erste, der es vor Zeugen tun wird", verlautbarte er stolz. Der Umweltminister reagierte trocken: "Ich bringe dann Handtücher und Antibiotika vorbei". Chirac blieb zeitlebens auf dem Trockenen.
Geplant ist, dass bei den Olympischen Spielen folgende Wettkämpfe in der Seine ausgetragen werden:
- Schwimm-Marathon
- Triathlon
Zauberwort Olympia
Seit damals hat sich rund um die Seine und das Badeverbot wenig getan, zumindest bis vor ein paar Jahren. Denn 2024 trägt Paris bekanntermaßen die Olympischen Spiele aus, und Olympische Spiele haben großen Einfluss - nicht nur auf die Welt des Sports, sondern zumeist auch auf den Veranstaltungsort. Trotz der hohen Kosten können sie beträchtliche Einnahmen generieren und im Idealfall Projekte vorantreiben, die ansonsten eher brachliegen würden - so auch das Schwimmen in der Seine.
Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo machte die Seine 2015 gar zum zentralen Punkt der Pariser Olympia-Bewerbung. Die Schwimmwettkämpfe im Herzen der Stadt sollen eine Huldigung der ersten Olympischen Spiele in Paris 1900 darstellen, als die Athleten ebenfalls in der Seine schwammen.
Seit Paris als Olympia-Austragungsort feststeht, hat der französische Staat nach eigenen Angaben über 1,4 Milliarden Euro in die Reinigung des Flusses investiert. Hidalgo versprach, die Seine so gründlich zu säubern, dass ab 2025 alle Pariser an drei ausgewiesenen Orten bedenkenlos darin baden könnten. In Zeiten des Klimawandels müsse sich die Stadt anpassen, so die Bürgermeisterin.
Sie selbst will den Sprung ins kühle Nass noch früher wagen. "Im Juli baden wir in der Seine", verkündete Hidalgo beim traditionellen Neujahrsempfang im Pariser Rathaus mit Blick auf den Fluss. Mitte Juli machte sie ihre Ankündigung wahr und planschte öffentlichkeitswirksam in dem Gewässer.
Die Olympischen Spiele 2024 finden vom 26. Juli bis zum 11. August in Paris statt. Über den Zeitraum von etwas mehr als zwei Wochen messen sich die besten Athleten der Welt in insgesamt 32 Sportarten.
Auch Macron will in der Seine schwimmen
Prominente Badebegleitung könnte Hidalgo dabei in Person von Emmanuel Macron erhalten. Bei der Einweihung des Olympischen Dorfs im Februar 2024 kündigte Frankreichs Präsident an: "Ja, ich gehe in die Seine" und scherzte in Richtung der anwesenden Journalisten: "Den Termin verrate ich nicht, sonst sind Sie dabei." Bis heute hat Macron seine Ankündigung vor sich hergeschoben - die Spiele haben längst begonnen.
Ein Betontank soll die Lösung sein
Was Frankreichs Würdenträger (und das Internationale Olympische Kommittee) so zuversichtlich stimmt, ist ein riesiger Betonzylinder im Südosten von Paris, das Bassin d’Austerlitz. 50 Meter ist das Rückhaltebecken breit, 30 Meter tief, mit einem Fassungsvermögen von über 45 Millionen Liter Wasser. Seit Mai 2024 dient das Bassin als neue Ausweichlösung, wenn starke Regenfälle die Kanalisation von Paris zu überlasten drohen.
Jenes Wasser, das nicht mehr von den Kläranlagen aufgefangen werden kann, wird künftig in den großen Betontank umgeleitet, anstatt direkt in die Seine zu fließen. Nach Abklingen des Regens wird das gesammelte Abwasser dann zurück in das Kanalsystem geschleust, um es anschließend in einer Kläranlage zu reinigen, ehe es in die Seine fließt. Über eine Milliarde Euro ließ sich die französische Regierung dieses Bauprojekt kosten.
Eine Garantie ist das neue Rückhaltebecken aber auch nicht, wie sich am Dienstag zeigte: Der geplante Triathlon wurde um einen Tag verschoben. "Man kann die sogenannten Mischwasserüberläufe, bei denen ungereinigtes Schmutzwasser mit Regenwasserabfluss verdünnt aus dem Kanalnetz in die Seine entlastet wird, mit einem großen Rückhaltebecken wie dem Bassin d‘Austerlitz sicher verringern, aber nicht gänzlich verhindern“, meint Thomas Ertl, Leiter des Instituts für Siedlungswasserbau, Industriewasserwirtschaft und Gewässerschutz an der Universität für Bodenkultur Wien.
Käme es etwa in den Tagen vor den Schwimmbewerben zu andauernden Niederschlägen im Großraum Paris, wäre die Pariser Kanalisation inklusive Bassin d’Austerlitz überlastet und Abwässer müssten direkt in die Seine umgeleitet werden. "Falls aufgrund solcher starken Regenfälle eine Entlastung der Kanalisation vorgenommen werden muss, kann normalerweise keine Badewasserqualität eingehalten werden", so Ertl.
Sollte dieses Szenario eintreten, würden die Schwimmwettkämpfe schlicht um ein paar Tage verschoben werden, haben die Olympia-Organisatoren schon im Vorfeld angekündigt. Bei den äußerst eng getakteten Wettkampfplänen könnte das allerdings zur Herausforderung werden, insbesondere für die Athleten.
Stromaufwärts liegt eine weitere Gefahr
Wer sich nun allerdings an das Paris Test Event zurückerinnert, jenen Triathlon-Wettbewerb im Vorjahr, dessen Schwimmwettkämpfe ob der schlechten Wasserqualität der Seine überwiegend abgesagt werden mussten, dem fällt eine beunruhigende Tatsache auf: Damals regnete es nicht - weder am Wettkampf-Wochenende noch in den Tagen davor.
Es sind nämlich nicht nur starke Niederschläge, die die Wasserqualität der Seine beeinflussen können. Ein weiteres großes Problem liegt weiter stromaufwärts, im Osten von Paris und hört auf den Namen Marne. An den Ufern dieses Flusses, der sich bei Charenton-le-Pont mit der Seine vereinigt, sind zahlreiche Haushalte nicht an die Kanalisation angeschlossen - im Vorjahr waren es laut der NZZ rund 23.000.
Der französische Staat versprach im Vorfeld der Olympischen Spiele zwar, die Kosten der Instandsetzung fast zur Hälfte zu subventionieren, um das Problem rechtzeitig in den Griff zu bekommen, viele Hausbesitzer haben die nötigen Umbauarbeiten aber bis heute noch nicht vorgenommen. Nach Einschätzungen diverser französischer Experten kommt mittlerweile der Großteil der Fäkalbakterien in der Seine ursprünglich aus der Marne.
Sollte es der Stadt Paris und den Olympia-Verantwortlichen tatsächlich gelingen, diese Probleme in den Griff zu bekommen und die Seine wie angekündigt in ein Badegewässer zu verwandeln, wäre das Vermächtnis der Olympischen Spiele 2024 ein gewaltiges - vor allem für die Pariser Bevölkerung.
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