Michael Mendl über Corona: "Wer hat uns da in den Arsch getreten?“
Der Schauspieler, der in Berlin lebt, spricht im KURIER-Interview über Einkaufen mit Maske, den Zustand Europas, "geheime Wünsche" und "wunderbare Begriffe".
KURIER: Angela Merkel spricht von der schwierigsten Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg. Pflichten Sie der Bundeskanzlerin bei?
Michael Mendl: Ich kann den Vergleich nur seit der Friedenszeit beurteilen, denn ich bin 1944 geboren. Kriege sind immer eine Frage der Entbehrungen, von Leid, Schmerz und Tod. Ein Krieg ist etwas Selbstgemachtes. Er ist in Chefsesseln entstanden und von Menschen in die Tat umgesetzt worden. Ein Krieg ist ein Menschenwerk. Was wir jetzt haben, ist ein Naturereignis. Im Krieg und in der Nachkriegszeit sind nur ähnliche Bedingungen entstanden, wie wir sie jetzt vorfinden.
Was hat die Nachkriegszeit mit der Jetztzeit gemein?
Viele versuchten damals, einander zu helfen und positiv in die Zukunft zu schauen. Weil etwas vorbei war. Diesmal aber ist, glaube ich, nichts vorbei. Wir können auch nicht zuversichtlich in die Zukunft gucken, weil wir gar nicht wissen, was uns gerade beherrscht.
Wie beherrscht das Coronavirus Ihren Alltag, zumal Sie mit 75 dezidiert zur Risikogruppe gehören?
Das ist für mich eine Premiere. Ich gehörte in meinem ganzen Leben noch nie zu einer Risikogruppe - selbst 1968 nicht, als ich mich politisch gegen Notstandsgesetze und anderes aufgelehnt habe. Nun zähle ich zur Risikogruppe, habe keinen Mundschutz, weil er ausverkauft ist, und kann noch nicht mal guten Gewissens einkaufen gehen. Soweit sind wir schon: Dass ich mir überlege, zu welchen Zeiten ich in welches Geschäft gehe. Aber das ist das Einzige, was mich einschränkt. Ich bin auch sonst kein Mensch, der in Restaurants oder Bars geht. Ich bin hier in meiner Wohnung, meinem Reich, das ich mir selbst erschaffen habe und höre Nachrichten, informiere mich in ARD und ZDF über das Weltgeschehen.
Gibt es einen Staat oder eine Regierung auf der Welt, der oder die sich besonders hervortut?
Bei jeder zweiten Corona-Nachricht, die uns erreicht, da heißt es: "Gemeinsam schaffen wir das.“ Gemäß der Merkel-Prämisse in Flüchtlingszeiten: "Wir schaffen das.“ Das Wort "schaffen“ ist ein Durchhalte-Wort geworden. Schaffen tut uns allerdings das Coronavirus. Das macht uns fertig. Da das Virus nichts von Menschen Gemachtes ist, haben wir aber auch keine Macht darüber. Wir können nur über das verfügen, was wir selbst imstande sind zu erschaffen. Dann können wir es auch wieder abschaffen. All die Nachrichten zeugen doch nur von der Ohnmacht, in der wir uns befinden.
Wo und wie macht sich diese Ohnmacht bemerkbar?
An den Menschen: Ich finde es gut, dass die Menschen auf sich selbst zurückgeworfen sind. Ich finde es schlecht, dass viele selbst in so einer Zeit jetzt schon beginnen, larmoyant zu sein. Anstatt in Demut darüber nachzudenken, was wir in so einer Situation lernen können. Viele haben es entweder verlernt oder gar nie gelernt, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Mit sich zu sein. Bei sich zu sein. Viele begreifen nicht, welches Manko sie da in der Hosentasche haben.
Attestieren Sie das dem Gros der Menschen?
Das Gros der Menschen ist so. Wenn das Virus sich eindämmen lässt und uns nicht dauerhaft einschränkt, dann hoffe ich, dass sich die Gesellschaft zum Positiven ändert. Aber nehmen wir das Beispiel Krieg. Kriege gab es immer und überall auf der Welt. Und niemand hat daraus wirklich gelernt. Natürlich haben wir Glück, dass wir jetzt 70 Jahre Frieden hatten. Doch das haben wir nicht alleine geschafft, sondern nur gemeinsam mit vielen Staaten. Aus dieser Krise, die eine gesundheitliche Krise ist, wird sofort eine politische Krise gemacht. Die Frage, die sofort kommt, lautet: "Fällt jetzt Europa auseinander?"
Fällt Europa auseinander?
Ich glaube, Europa war noch nie zusammen. Es war immer der geheime Wunsch, dass Europa eine Kraft entwickelt, die alle Bewohner des Kontinents verbindet. Dass Europa federführend und beispielgebend für andere, vielleicht weniger demokratische Staaten sein kann. In dem Moment, in dem wir Staaten gründen, um uns von anderen abzugrenzen, indem wir uns in Rassen einteilen und in Religionen, sind wir als Menschen voneinander getrennt. Die Menschen haben nicht kapiert, dass es nur eine Menschheit gibt.
Kann die Coronakrise die Menschen dazu bringen, sich als Menschheit zu begreifen?
Es gibt den wunderbaren Begriff und Zustand des Individuums. Und trotzdem heißt es: Jeder Mensch ist gleich. Wenn wir lauter Milliarden verschiedener Individuen sind, dann können wir nicht gleich sein. Das Einzige, worin wir gleich sind, ist, dass wir der Spezies Mensch angehören. Weil wir so etwas wie Logik erfunden haben und wir zum Denken befähigt sind, glauben Menschen aber, der Herr der Welt zu sein. Das sind wir aber nicht. Die Menschheit gehört ist nur Bewohner dieses Planeten. Jeden Tag nach dem Zähneputzen muss man wissen: "Wir sind Gast auf dieser Erde.“ Und wir müssen wissen: "Wir können die Erde nicht beherrschen, obwohl wir es dauernd wollen.“
Wie sehr beherrscht und beeinflusst Corona ihren Beruf als Schauspieler?
Ich bin seit einigen Jahren mehr oder weniger arbeitslos, weil man die Risikogruppe "alte Menschen“ nicht mehr so oft braucht. Diejenigen, die man braucht, müssen sich den schmalen Kuchen teilen. Ich jammere nicht. Ich hatte 200 Produktionen in 20 Jahren, habe gearbeitet wie ein Tier. So viel, dass es eine Zeit gab, da hieß es immer: "Schon wieder der Mendl.“ Das sind merkwürdige Sinuskurven. Da wird man gehypt, dann fällt man wieder runter, wird gebraucht, dann wieder nicht mehr. Das ist so, und es macht mich auch gar nicht traurig. Ich hatte eine gute Zeit und kann davon zehren. Dass es ganz vielen Schauspielern und Kunstschaffenden jetzt schlecht geht, das stimmt. Doch das war immer schon so.
Für Kunstschaffende war es immer schon so prekär wie jetzt?
Wenn in Emilia Galotti der Maler Conti zum Landesfürsten kommt und sagt: „Die Kunst geht nach Brot“. Und Lessing den Landesfürsten sagen lässt: „In meinem Lande nicht“, dann ist das der Traum des aufgeklärten Lessing. Denn die Kunst geht – abgesehen von Fantasiepreisen für die Maler oder Hollywoodschauspieler – immer nach Brot. Schauspieler waren immer schon abhängig von dem Goodwill der sogenannten Brötchengeber. Der Unterschied: Diese Brötchengeber sind jetzt auch betroffen. Es ist bedauernswert, wenn Theater zusperren müssen, weil gar keine Zuseher mehr reindürfen. Doch, wenn die Menschen jetzt bemerken, dass ihnen etwas fehlt, dann wissen sie auch, dass da etwas war, das etwas bedeutet hat und nicht selbstverständlich ist.
Wann werden die Menschen wieder ins Theater gehen können?
Wenn das Virus uns wieder verlässt. Wir haben erst angefangen, darüber nachzudenken: Ist das Ganze eine Strafe? Welcher Gott hat uns das geschickt? Wer hat uns da in den Arsch getreten?
Welcher Gott hat uns in den Arsch getreten?
Vielleicht ist der liebe Gott ja eine Frau, eine Göttin. Und wenn eine Göttin mit High Heels uns Menschen in den Arsch getreten hat und der Schuhspitz jeden einzelnen von uns im Hintern quält, dann beginnen wir vielleicht nachzudenken. Und beginnen, etwas zu ändern. Uns zu ändern.
Zur Person - Michael Mendl: Die Karriere des am 20.April 1944 in Lünen geborene Mendl beginnt mit 14. Als Statist im Nationaltheater Mannheim.
Innerhalb von 20 Jahren spielt Mendl in über 200 Kino- TV-Produktionen. Als Willy Brandt in "Im Schatten der Macht“ wird er mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet. Mendl ist Vater von drei Kindern und lebt in Berlin.
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