"Prinzipiell ist es so, dass wir durch die starke Schmelze seit Jahren eine Ausdünnung der Eisflächen beobachten, die auch die Gipfelregionen betrifft", sagt die österreichische Gletscher-Expertin Andrea Fischer zum KURIER.
Die oberste Eisschicht sei inzwischen sehr dünn und von Hohlräumen, die sich vergrößern und von Wasser gefüllt sein können, untergraben. Dadurch könnten große Eisflächen die Haftung zum Untergrund verlieren und sich in Bewegung setzen.
Ein Unglück, das man in Ort und Ausmaß so nicht vorhersehen konnte, meint der Geologe Mario Tozzi vom italienischen Forschungsinstitut CNR im Gespräch mit dem KURIER. „Trotzdem kann man nicht von einem Blitz aus heiterem Himmel sprechen. Glaziologen und Geologen warnen seit 15 Jahren vor solchen Vorfällen, doch keiner schert sich darum“.
Gerade die Dolomiten seien besonders anfällig für das Loslösen von Eisplatten, „weil sie zu den am stärksten vom Menschen gezähmten Berglandschaften in Europa zählen“, so Tozzi. So kam es etwa 2020 bereits zu einem Unglück im norditalienischen Cortina.
Klimawandel ist Schuld
Schuld daran, dass solche Katastrophen immer häufiger passieren, ist der menschengemachte Klimawandel – darüber herrscht in wissenschaftlichen Kreisen Einigkeit. Die italienische Glaziologin Guglielmina Diolaiuti meint, „der Klimawandel spielt sicher die größte Rolle“.
Andrea Fischer spricht sogar von einem "extremen Jahr, das ohne Klimawandel so nicht möglich gewesen wäre" und einer "Ausnahmesituation, die historisch noch nie vorgekommen ist". Tozzi sieht eine düstere Zukunft für die Dolomiten: „Die Gletscher, die wir hier haben, wird es in zwanzig Jahren nicht mehr geben.“
Fischer will für die österreichischen Gletscher noch keine pessimistische Prognose stellen. Trotzdem seien im Laufe des Sommers noch weitere Gefahrensituationen zu erwarten. Zusätzlich zu losgelösten Eisplatten sei mit verstärktem Steinschlag und häufigeren Felsstürzen zu rechnen.
Bergsteigen wird gefährlicher
Die Forscherin warnt, dass Gefahrenstellen auch für erfahrene Alpinistinnen und Alpinisten nicht erkennbar und eingrenzbar wären. Es sei ratsam, sich gegen Touren in Gletschergebieten zu entscheiden, da momentan noch keine Erfahrungswerte für eine derartige Situation vorhanden seien.
Damit ist klar: Alpinsport ist inzwischen deutlich riskanter geworden. Tozzi fordert daher mehr Mut von den Behörden: „Auch in der Hochsaison muss man bei der gegebenen Wetterlage gewisse Aufstiege verbieten oder eben absperren.“
Eine Meinung, die auch Diolaiuti teilt. "Es gibt ein paar handfeste Regeln, die man in Gletschergebieten immer beherzigen sollte". Erstens sollte man sich in diesen Gebieten immer von erfahrenen Bergführern begleiten lassen. Zweitens sollte man schon am frühen Morgen aufbrechen, um zu Mittag an einem sicheren Ort zu sein.
Abschließend sei anzumerken, dass gemeinhin als leicht bezeichnete Routen wegen des Klimawandels inzwischen deutlich gefährlicher sein könnten. Das seien "Regeln, denen ich auch folge, wenn ich meine Messungen und Recherchen vor Ort durchführe", so Diolaiuti.
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