Landen die USA oder China als nächstes bemannt auf dem Mond?

Landen die USA oder China als nächstes bemannt auf dem Mond?
Weltraumexperte Eugen Reichl über das neue Rennen zum Mond und warum China plötzlich auf der Überholspur ist.

Eugen Reichl (69) war bei Airbus für die Vermarktung von Weltraum-Triebwerken zuständig. Mittlerweile ist er Autor zahlreicher Weltraumbücher und hält Vorträge an Universitäten. Mit dem KURIER spricht er über mögliche Probleme im Mondprogramm der NASA und warum die Chinesen nur mehr wenig Rückstand haben.

Wann wird China die führende Weltraumnation werden beziehungsweise in welchen Bereichen sind die Chinesen bereits führend?

Schon heute führt China, zusammen mit den USA, die weltweite Entwicklung in der Raumfahrt mit deutlichem Abstand vor allen anderen Nationen an. Russland ist weit zurückgefallen. Europa tritt in vielen Raumfahrtdisziplinen erst gar nicht an oder ist in den letzten Jahren mangels Engagements deutlich zurückgefallen. Indien holt stark auf, und ist derzeit dabei, Europa zu überholen, ist aber noch für längere Zeit keine wesentliche Raumfahrtmacht.

Und wo ist China top?

Auf vielen Gebieten der Raumfahrt hat China mit den USA gleichgezogen, beispielsweise beim Aufbau und Betrieb von Raumstationen. Auf einigen Gebieten sehe ich China schon jetzt vorne: beispielsweise in der Mondforschung, der Hyperschalltechnologie, dem Aufbau von Erdüberwachungsnetzen und Technologieprogrammen für die Erschließung von Zukunftstechnologie wie weltraumbasierte Solarkraftwerke und andere Arten von Ressourcengewinnung aus dem Weltraum. Aktuell besteht aber noch ein gewisser "Technologie-Gap" zwischen diesen beiden Kontrahenten um die Vorherrschaft im Weltraum. Chinas Anspruch besteht darin, bis 2049, dem 100. Jahrestag des "Neuen Chinas", die weltweit führende Nation zu sein. Auch und vor allem im Weltraum.

Wer von den beiden Ländern wird als erstes in diesem Jahrtausend bemannt auf dem Mond landen?

 

Vor drei oder vier Jahren hätte ich bei der Frage, wer die erste bemannte Landung der Nach-Apollo-Ära auf dem Mond durchführt, eindeutig auf die USA verwiesen. Doch inzwischen gibt hier China "richtig Gas", während in den USA das Thema nur ungenügend finanziert wird, und obendrein technisch extrem anspruchsvoll gestaltet ist. Trump forderte eine Landung noch 2024. Momentan steht der offizielle Termin auf Ende 2025, aber jedem Raumfahrtexperten ist längst klar, dass es unmöglich vor 2027 zu schaffen ist. Meiner Meinung nach eher 2028 oder 2029.

Bei den Chinesen schaut es ganz anders aus...

Chinas erklärtes Ziel ist es, den ersten chinesischen Raumfahrer 2030 oder früher auf dem Mond zu haben. So wird das auf jeden Fall eine "enge Kiste", denn Chinas Raumfahrt hat gegenüber dem Westen den Vorteil, dass es im Rahmen eines einmal verabschiedeten Fünf-Jahresplanes eine stetige, unbestrittene Finanzierung bekommt, und nicht wie in den USA jedes Jahr um seine Budgets fürchten muss. Darüber hinaus ist das chinesische Programm technisch weniger anspruchsvoll und damit leichter zu realisieren. Es gibt noch ein zweites wichtiges Zieldatum in China, nämlich das Jahr 2035. Dieses Jahr wird in den "Xi Jinping Thoughts" (Xi Jingpings Gedanken zum Sozialismus, Anm.) als Zieldatum für eine grundlegende Modernisierung des Landes genannt. Eines der darin genannten Ziele ist die Inbetriebnahme der bemannten chinesischen Mondstation, die in den Jahren 2031 bis 2035 errichtet werden soll.

In wie weit ist Chinas Raumprogramm eine militärische Gefahr für den Westen?

Chinas Raumfahrtprogramm stellt so ziemlich genau in der gleichen Weise für die USA eine Gefahr dar, wie das US-Raumfahrtprogramm eine Gefahr für China ist. China verfügt über eine ähnliche Ausstattung militärischer Satelliten wie die USA. Auch in einer ähnlichen Anzahl. Tatsächlich gibt es praktisch auf jedem Gebiet ein entsprechendes Gegenstück zu den US-Systemen. Sei es bei Bild- oder Funkaufkläreren, bei Marineüberwachungssatelliten, bei Frühwarnsystemen, bei militärischen Kommunikations- und Datenrelaysatelliten, bei Inspektor-Satelliten - die andere Satelliten aus der Nähe untersuchen und auch in der Lage sind, diese aus ihrer Bahn zu transportieren - und bei militärischen Technologieträgern.

Wie viel Geld haben die USA zur Verfügung? 

Das militärische Raumfahrtbudget der USA ist offiziell nur etwa 20 Prozent höher als das der NASA. Genau bestimmen lässt sich das nicht, denn im US-Militärbudget sind soviele klassifizierte Projekte drin, dass man den tatsächlichen Umfang nur vermuten kann. Offiziell weist das Pentagon etwa 30 Milliarden Dollar aus, die NASA beantragt für nächstes Jahr 27 Milliarden, wird sie aber nicht bekommen. Und dann gibt es noch andere Organisatonen, die Raumfahrtbudgets haben, wie zum Beispiel NOAA, die alle zwei, drei Jahre einen Wettersatelliten starten. Mit einer groben Daumenpeilung über die militärischen "Geheimprojekte" betragen die kompletten institutionellen Raumfahrtausgaben der USA so um die 65 Milliarden Dollar pro Jahr.

Und Europa?

Die ESA hat ein Jahresbudget von rund sieben Milliarden Euro. Dazu kommen noch rund zwei Milliarden für Projekte der EU für Galileo, Kopernikus und technologische Förderprogramme sowie vielleicht nochmal eine Milliarde für militärische Satelliten, die aus dem Verteidungshaushalt der Länder bezahlt werden. In sehr fetten Jahren kommt man also auf grob gerundet auf etwa 10 Milliarden für die institutionelle Raumfahrt in ganz Europa.

Was weiß man über das chinesische Budget?

Bei China gibt es immer keine ganz frischen Angaben. 2020 waren es offiziell etwa 10 Milliarden Dollar. Für 2024 wird das in Richtung 15 Milliarden laufen. Wenn man davon ausgeht, dass der Preis der "Mannstunde" in China etwa 40 Prozent der in den westlichen Industrienationen beträgt, entspricht das also einem Äquivalent von aufgerundet etwa 25 Milliarden Euro. Aber auch hier ist der Militärsektor mit seinen Geheimvorhaben schwer abzuschätzen. China macht hier nicht so den Unterschied wie die USA, das geht da fließend ineinander über. Am Ende werden sie bei etwa 15 "offiziellen" Millairden landen, die aber - wegen der wesentlich niedrigeren Stundensätze erst hochgerechnet werden müssen. Ganz grob über den Daumen ist das somit ein 40 bis 45 Milliarden-Äquivalent.

Welche Rolle spielen private Weltraum-Unternehmen?

Die genannten Summen hier beziehen sich ausschließlich auf institutionelle Finanzierung. Der private Sektor nimmt aber auch in China langsam einen immer breiteren Raum ein, wenngleich es dort noch kaum finanzstarke Firmen wie SpaceX, Blue Origin, Amazon, Rocket Lab und andere gibt, die jährlich viele Milliarden Dollar für private Raumfahrt-Investments wie z.B. die Starlink- oder Kuiper-Konstellationen oder die Raketenentwicklungen wie die Neutron, das Starship oder die New Glenn ausgeben.

Ist es ein Vor- oder Nachteil, dass die USA ihre Mondlandung gemeinsam mit Elon Musk durchführen?

Im Grundsatz war die "Kooperation mit Privatfirmen" schon im Apollo-Programm vor mehr als 50 Jahren gängige Praxis. Wenn wir uns die Saturn V ansehen: Die erste Stufe wurde von Boeing gebaut, die zweite von North American genauso wie die Apollo-Raumkapsel, die dritte Stufe kam von Douglas. Die Mondfähre von Grumman. Die NASA fungierte damals als Generalunternehmer, der all diese Privatfirmen beaufsichtigte. Wir sind jetzt nur insofern einen Schritt weiter, dass die Aufsicht der NASA über die Entwickler von Raumfahrzeugen geringer ist als damals. Idealerweise ist es heute aber so, dass die NASA einfach Transportleistungen mit einem bestehenden privaten System kauft, und sich an Entwicklungskosten bestenfalls noch beteiligt, aber erwartet, dass der größere Teil von der Industrie kommt. In der Regel ist natürlich die NASA dann der erste Kunde eines solchen Systems, bevor es sich dann auch privatwirtschaftlich weiterentwickelt. Ein gutes Beispiel sind die bemannten Raumfahrzeuge von SpaceX, die für die NASA entstanden sind, die aber in der Zwischenzeit gar nicht so selten für rein private Zwecke eingesetzt werden. Privatkunden wie die NASA kaufen dann einfach die Raumtransport-Dienstleistung bei SpaceX ein. Oder mieten Raumanzüge bei Axiom Space.

China wählt hingegen einen ganz anderen Weg.

Genau, die Entwicklung von Raumfahrtsystemen liegt noch weitgehend in staatlicher Hand bei der CASC, und Privatfirmen liefern lediglich Subsysteme und Komponenten. Es ist das Vorgehen, das bei der NASA etwa vor 1965 üblich war, wo die kompletten Entwicklungen ausschließlich der Produktion in der Hand der Behörde waren. China ist hier aberin einer Umbauphase hin zu mehr marktwirtschaftlicheren Modellen und fördert das mit erheblichen Mitteln.

Die NASA musste bereits mehrere Missionen verschieben, weil das Plutonium für die Antriebe fehlt. Woher bekommt China sein Plutonium?

Das kam bisher aus Russland. Dort haben sich übrigens auch die Amerikaner seit den frühen 90-er-Jahren für ihre Raumfahrtvorhaben versorgt. Der Produktionsprozess ist relativ aufwendig, es wird durch Neutronenbeschuss aus Neptunium 237 gewonnen, und mit moderatem Aufwand lassen sich pro Jahr nur ein paar Kilogramm herstellen. Es gilt aber als gesichert, dass sich China von der russischen Plutionium-238-Fertigung unabhängig machen will und eine eigene Produktion hochfährt. Momentan sind fünf oder sechs Raumsonden in der Pipeline, die ihre Energie aus Pu-238-RTGs ziehen sollen. Es werden also im Laufe der nächsten 10 bis 15 Jahre mindestens 100 Kilogramm, eher 150 Kilo benötigt. Mittelfristig gehört die Zukunft der nuklearen Energiequellen für Raumfahrtzwecke aber kompakten Fissionsreaktoren. Und da steckt China richtig Geld rein - wie auch die NASA mit ihrem Kilopower-Programm.

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