Die ständige Angst vor dem Gegenpapst
Der Konflikt zwischen Konservativen und Reformern (um einmal die gängigen Zuschreibungen zu bemühen) in der Katholischen Kirche ist nicht neu. Nach (kirchen)historischen Maßstäben neu ist allerdings, dass ein amtierender und ein emeritierter Papst als Galionsfiguren dieses Konflikts – gewollt oder ungewollt – fungieren: Seit 2013 residieren Franziskus und Benedikt XVI. auf vatikanischem Territorium, nur wenige Gehminuten voneinander entfernt.
Auch Letzterer dem Namen, der Anrede und der äußerlichen Erscheinung nach als „Papst“ wahrnehmbar: Er wird weiterhin Benedikt XVI. und „emeritierter Papst“ genannt, nicht etwa Kardinal Ratzinger; und er trägt Soutane sowie Pileolus (Kopfbedeckung) in Weiß. So ist es kein Wunder, dass die Rede von den „zwei Päpsten“ geläufig wurde – und es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis das Sujet auch in der Populär- und Unterhaltungskultur seinen Niederschlag finden würde: Der vielgepriesene Film „Die zwei Päpste“ des brasilianischen Regisseurs Fernando Meirelles mit Jonathan Pryce und Anthony Hopkins gibt davon Zeugnis.
Nicht "für die Welt verborgen"
Von Anfang an hat Benedikt seinen Gehorsam gegenüber dem Nachfolger betont und auch, dass er künftig „für die Welt verborgen“ bleiben werde. Tatsächlich hat er nie einen Zweifel daran gelassen, dass es nur einen Papst gebe und dessen Wort gelte; „verborgen“ blieb Benedikt freilich nicht. Immer wieder hat er sich zu theologischen und kirchlichen Fragen geäußert. Dies nie kritisch gegen seinen Nachfolger gewendet, aber inhaltlich doch so, dass man darin Differenzen zu Franziskus' Kurs erkennen konnte. Den jüngsten Anlassfall bildet nun ein Buch, welches Benedikt gemeinsam mit dem prononciert konservativen, aus Guinea stammenden Kardinal Robert Sarah veröffentlicht haben soll. Es trägt den Titel „De profondeur de nos coeurs“ („Aus der Tiefe unserer Herzen“) und stellt ein vehementes Plädoyer für die Beibehaltung des Pflichtzölibats dar. Das Buch soll am Mittwoch in einem französischen Verlag erscheinen, die Zeitung Le Figaro hat am Montag Auszüge daraus veröffentlicht.
„Ich glaube, dass der Zölibat eine große Bedeutung hat, da er auf einen möglichen irdischen Besitz und ein Leben im Kreis der Familie verzichtet“, heißt es da etwa; oder dass es für zum Priestertum Berufene darum gehe, „in ein Leben einzutreten, das darin besteht, mit Ihm eins zu werden und auf alles zu verzichten, was nur uns gehört“.
Und die Autoren gehen auch scharf mit den Kritikern ins Gericht. Man dürfe sich nicht von „verqueren Einwänden“, „teuflischen Lügen“ und „modernen Fehlern“, die das Niedermachen des priesterlichen Zölibats zum Ziel hätten, einschüchtern lassen. In einem in der selben Ausgabe des „Figaro“ erschienenen Interview legte Kardinal Sarah noch nach: „Man hat historische Lügen und theologische Annäherungen angehäuft. Man hat uns weismachen wollen, dass die Weihe von verheirateten Männern oder die Einrichtung von Weiheämtern für Frauen die Lösung für alle Übel sei.“
Brisanter Zeitpunkt
Die Debatte um den Zölibat ist nur eine, gewiss sehr markante, Facette des eingangs erwähnten Grundkonflikts. Die Argumente pro und contra liegen alle längst auf dem Tisch. Zusätzliche Brisanz gewinnt die aktuelle Buchpublikation durch die Tatsache, dass die jüngste Bischofssynode in Rom im Oktober letzten Jahres zu Amazonien Hoffnungen auf eine partielle (regionale) Lockerung des Zölibats geweckt hat.
Auf der Synode hatte eine Mehrheit der Teilnehmer dafür plädiert, in Ausnahmen bewährte verheiratete ständige Diakone zu Priestern zu weihen, um dem eklatanten Priestermangel in der Region abzuhelfen und in entlegenen Gebieten eine häufigere Feier der Eucharistie zu ermöglichen. Das abschließende und entscheidende nachsynodale Schreiben des Papstes steht allerdings noch aus. Die Synode selbst hat keine Entscheidungsbefugnis und der Papst ist auch nicht an deren Beschlüsse gebunden, aber es wird allgemein erwartet, dass Franziskus dem Votum der Synode folgt.
Mit einer generellen Aufhebung des Pflichtzölibats hat das alles freilich nichts zu tun. Im Wesentlichen könnte Franziskus vermutlich das meiste, was Benedikt (und auch dessen Vorgänger) zum Thema gesagt haben, unterschreiben. Der Vatikan reagierte denn auch umgehend auf die Veröffentlichungen im Figaro, indem er an einschlägige Aussagen von Papst Franziskus zu Gunsten des Zölibats erinnerte.
Auch Äußerungen von Bischöfen im Gefolge der Synode – in Österreich etwa von Kardinal Christoph Schönborn oder dem Innsbrucker Bischof Glettler – machten deutlich, dass sie am Zölibat als „Normalfall“ priesterlicher Lebensform festhalten wollen.
Ist Benedikt Co-Autor?
Nun erhielt die Aufregung um das Buch noch eine zusätzliche Dimension: Nachdem am Dienstag bereits erste Zweifel an der tatsächlichen Co-Autorschaft Benedikts aufgekommen waren, ging dieser schließlich selbst auf Distanz: Sein engster Vertrauter und langjähriger Sekretär, Erzbischof Georg Gänswein, erklärte, er habe auf Bitte Benedikts Kardinal Sarah gebeten, dieser möge beim Verlag die Entfernung von Namen und Bild Benedikts vom Bucheinband veranlassen. Benedikt sei nicht über die tatsächliche Form und Aufmachung des geplanten Buches informiert gewesen, so Gänswein gegenüber der Kathpress.
Benedikt habe im Sommer 2019 einen Text über das Priestertum geschrieben, welchen er Kardinal Sarah auf dessen Bitte hin zur Veröffentlichung – im Wissen um ein Buchprojekt – überlassen habe. Dieser Text sei freilich „100 Prozent Benedikt“, so Gänswein.
Problematische Konstellation
Was also bleibt, ist, dass sich der emeritierte Papst einmal mehr öffentlich zu Wort gemeldet hat – und damit einmal mehr die innerkirchliche Richtungsdebatte befeuert hat. Die Frage, wie weit Benedikt sich von Gegnern seines Nachfolgers instrumentalisieren lässt oder er selbst die Rolle eines Gegenpols ganz bewusst einnimmt, lässt sich nicht klären.
Anzunehmen ist, dass gerade für Benedikt die Autorität des Bischofs auf dem Stuhl Petri – wer immer das gerade ist – nicht zur Disposition steht; dass es ihm also mit dem Gehorsam gegenüber Franziskus ernst ist. Dass es ihm, dem Theologen von Rang und schon vor seiner Zeit als Papst als Präfekt der Glaubenskongretation höchst einflussreichen Mann im Vatikan, nicht Unrecht ist, gelegentlich als eine Art ergänzendes Korrektiv wahrgenommen zu werden, darf man dennoch unterstellen.
Das freilich erweist sich – egal, auf welcher Seite man inhaltlich steht – als problematische Konstellation. Man kann verstehen, dass die Kirche auf derlei nicht vorbereitet war: Der letzte Rücktritt eines Papstes aus freien Stücken fand 1294 statt. Dieser Schritt Coelestins V. ist jedoch ein nicht nur aufgrund der zeitlichen Distanz in jeder Hinsicht völlig unvergleichbarer Vorgang. Für die nähere Zukunft wäre Rom indes gut beraten, sich einen umfassenden Modus vivendi für emeritierte Päpste zu überlegen. Es wird vermutlich nicht wieder 700 Jahre dauern, bis sich das Problem stellt.
Auf der anderen Seite trägt auch der Führungsstil des gegenwärtigen Papstes zur Gemengelage einiges bei: Wofür Franziskus tatsächlich steht, ist – vorsichtig formuliert – nicht immer klar. Nicht von ungefähr berufen sich Konservative wie Reformer auf ihn und zitieren seine Aussagen nach Bedarf. Manches deutet darauf hin, dass die Änderungen gegenüber Benedikt mehr im Habituellen denn im Substanziellen liegen. Aber natürlich prägt auch die Form den Inhalt. Bis jetzt jedenfalls gibt es in den eigentlichen theologisch-kirchlichen Kernfragen mehr Kontinuität als Zäsur. Etwas, das übrigens ganz im Sinne Benedikts liegt.
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