Bischof Glettler: "Es braucht die christlichen Werte dringender denn je"
KURIER: Herr Bischof, wie würden Sie jemandem, der nicht christlich sozialisiert bzw. in unserer Kultur verwurzelt ist, erklären, was wir zu Weihnachten feiern?
Hermann Glettler: Wir feiern den Geburtstag jener Persönlichkeit, die am nachhaltigsten unsere Welt verändert hat. Jesus steht für eine Revolution der Liebe, die von Gott kommt. Gnade vor Recht, Zärtlichkeit anstelle von Gewalt. Weihnachten ist ein Fest des Heimkommens, ein Fest der Zugehörigkeit. Bei allem, was uns umtreibt, oftmals entfremdet und seelisch obdachlos macht – Weihnachten ist ein Nachhause-Kommen, ein Willkommen-Sein. Der geheimnisvolle Urgrund des Seins, den wir "Gott" nennen, ist nicht anonym geblieben, nicht namenlos. Er ist uns entgegen gekommen. Im Kind von Betlehem hat er sich mit einem menschlichen Gesicht gezeigt, sich eingewoben in die DNA biologischer Existenz: Das ist gewagte, fast trotzige Behauptung des christlichen Glaubens – aber gerade deshalb ein tiefer Trost, Ansage von Nähe, Grund zum Feiern.
Weihnachten ist für viele auch verbunden mit einer Verlustanzeige: Es wird die Verkitschung und Kommerzialisierung beklagt, der Verlust an religiöser Substanz. Es wird aber auch Vergangenes verklärt, man wünscht sich "Weihnachten wie früher" …
Ja, Weihnachten ist ein Ankerpunkt für so manche verschüttete Sehnsucht, für ein Heimweh in uns. Es gehen ja unzählige Leute zur Christmette, die sonst kaum einen Bezug zur Kirche haben. Und so manches Idyll hat auch seine Berechtigung, aber es darf sich der Festgedanke nicht darin erschöpfen. Es geht um eine Begegnung, die immer anspruchsvoll ist, Geschenk und Herausforderung. Bei einer Geburtstagsfeier bleibt man ja auch nicht bei den Babyfotos hängen. Man möchte der zu feiernden Person begegnen, für sie offen sein. Die innere Verbundenheit mit Jesus zu erneuern, ist der mystische Gehalt von Weihnachten. Sich innerlich von ihm bewohnen lassen.
Und die Hektik in der "stillsten Zeit" des Jahres?
Sich darüber zu empören ist sinnlos. Menschen wünschen sich offensichtlich dieses vorweihnachtliche Gedränge – man fühlt sich gut im Trubel, an den Punschständen, auf den Weihnachtsmärkten. Wir befinden uns, ganz allgemein gesagt, in einer nervösen Zeit und Gesellschaft. Viel existentielle Ungeduld und nicht wenig Verlustängste. Wir spüren, dass der aktuelle Level an Wohlstand nicht zu halten ist. Wir hetzen Bildern eines perfekten Lebens nach und merken gleichzeitig, dass wir an den damit verbundenen Ansprüchen ohnehin scheitern. Die daraus resultierende Suche nach Sündenböcken ist verständlich. Irgendjemand muss doch schuld sein. Vor diesem Hintergrund bedeutet Weihnachten Entlastung und Unterbrechung. Weihnachten kann die Erfahrung eines gottgeschenkten Friedens sein – inmitten größter Unruhe. Vielleicht auch der Anstoß zu einem alternativen Lebensstil: einfacher, ruhiger, konzentrierter, liebevoller.
Weihnachten ist ein Ankerpunkt für so manche verschüttete Sehnsucht, für ein Heimweh in uns.
Halten Sie das Schrumpfen der Kirche für einen unumkehrbaren Prozess? Ist vielleicht das Ende der "Volkskirche" sogar insofern zu begrüßen, als es ein bewussteres Christsein ermöglicht?
Jesus gehört nicht der Kirche. Unsere Aufgabe ist es, eine Begegnung mit ihm zu ermöglichen. Ich kann das "Schrumpfen" von Kirche natürlich nicht begrüßen. Mit der Volkskirche ist ja auch ein sozialer Resonanzraum verbunden. Es geht nicht um Macht in der Gesellschaft, auch wenn diese Versuchung unsere Kirche lange Zeit entstellt hat. Volkskirche ist Ausdruck dessen, dass das alltägliche Leben der Leute durch den Glauben geprägt wurde. Religion ohne diesen breiten Resonanzraum, ohne diese kulturelle Dimension, droht einseitig zu werden, im Extremfall sogar fanatisch. Den abstrakten, reinen Glauben gibt es ja nicht. Nur den fleischgewordenen.
Trotzdem: Sehen Sie auch Chancen in der Entwicklung?
Es ist sicher positiv, dass man sich heute viel bewusster für den Glauben und für Kirche entscheiden muss. Mit Sicherheit waren nicht alle, die früher die Kirchen gefüllt haben, ganz bewusst entschiedene Gläubige. Eine Kirche, die notgedrungener Weise kleiner wird, hat damit vielleicht die Chance, innerlich jünger, begeisterter, offener und gastfreundlicher zu werden. Sie könnte damit auch wieder stärker ausstrahlen.
Ja, es braucht die christlichen Werte dringender denn je, aber sie sind auch bisher immer im Dialog und in der Auseinandersetzung entstanden, im kulturellen Gemenge sozusagen.
Europa könne nur dann gerettet werden, wenn es "zur Quelle seiner wahren Werte zurückkehrt: seiner christlichen Identität", hat Ungarns Premier Viktor Orbán kürzlich gesagt. Wie stehen Sie dazu?
Ich halte das für eine gewisse Engführung. Diesen abstrakten, oft politisierten Wertediskurs finde ich problematisch. Natürlich ist der christliche Glaube ein ganz prägender und befruchtender Faktor europäischer Identität – über Jahrhunderte herauf bis heute. Universitäten und Krankenhäuser, Sozialfürsorge und vieles mehr ist aus dem Humus eines christlichen Menschen- und Gottesbildes heraus gewachsen. Aber eine propagierte Rückkehr zur christlichen Identität setzt mir zu eng an. Wann hat es denn diese gegeben? Und was ist mit den Andersgläubigen oder den vielen, die keine religiöse Überzeugung haben? Identität formt sich außerdem im konkreten Engagement, in der Offenheit für das Heute. Identität entsteht durch Zuwendung und nicht durch Abgrenzung. Ja, es braucht die christlichen Werte dringender denn je, aber sie sind auch bisher immer im Dialog und in der Auseinandersetzung entstanden, im kulturellen Gemenge sozusagen.
Nun fühlen sich aber wohl viele Katholiken, viele Christen durch solche Aussagen nicht wirklich verstanden und ernstgenommen in ihren Sorgen …
Ich versuche diese Sorgen ernst zu nehmen. Achtsamkeit und Besonnenheit sind sicher auch notwendig. Grundsätzlich sehe ich zwei Ansätze: Entweder schafft man einen gesicherten Raum katholischer Identität, sammelt die beträchtliche Zahl der Gleichgesinnten, schafft die entsprechenden Räume, gründet katholische Vereine, Interessensverbände, etc. Das ist nach meinem Verständnis der Ansatz des 19. Jahrhunderts, der durchaus seine Berechtigung hat. Er geht davon aus, dass Kirche ein Gegenentwurf zur liberalen oder wie auch immer sich definierenden Gesellschaft ist. Der andere Ansatz ist sehr stark vom Zweiten Vatikanum inspiriert – im Rückgriff auf das Evangelium wird das Apostolat in der Welt betont. Kirche begibt sich hinein in die Gesellschaft und versucht an vielen Orten möglichst authentisch präsent zu sein. Kooperationen, Dialog und Begegnung anstelle von geschlossenen Echoräumen. Kirche mit diesem Ansatz versucht am Pulsschlag heutigen Lebens dran zu bleiben. Die Gefahr ist, in der unüberschaubaren Pluralität aufgerieben zu werden, Substanz zu verlieren.
Ist aber das Evangelium nicht gewissermaßen eine Gegenerzählung und ist die Kirche nicht so etwas wie ein Gegenentwurf zur "Welt"?
Ja, die Bergpredigt Jesu und viele andere Passagen seiner Verkündigung sind für uns alle eine Herausforderung. Das Evangelium ist tatsächlich eine Gegenerzählung zu allen egoistischen Lebenskonzepten und zu allen weltlichen Heilsversprechungen. Wir brauchen diesen heilsamen Widerspruch. Da ist Umdenken, ja Umkehr schlicht notwendig – immer zuerst für mich selbst und dann für die Anderen, für die "Welt". Wenn sich der Weg der Kirche an der anspruchsvollen Botschaft Jesu ausrichtet, muss sie kritisch gegenüber allem sein, was dem Menschen, seiner Seele und dem Leben insgesamt Gewalt antut. Inmitten der Gesellschaft also muss die Kirche im echten Sinn sympathisch, also mitfühlend und mitsorgend sein, aber auch kritisch. Beides gehört zusammen. Vor jeder Gegenerzählung braucht es aber Narrative des Gelingens und der Zuversicht, um es etwas zeitgeistig auszudrücken. Die vorherrschenden Narrative des Versagens und der unzähligen Skandale belasten und fokussieren auf das Böse. In diesem Sumpf stecken wir. Insofern ist die Frohe Botschaft Jesu immer eine befreiende Gegenerzählung.
Noch einmal zur Identität: Wenn ich sage, wer ich bin, sage ich auch zumindest implizit, wer oder was ich nicht bin – richtig?
Ich definiere mich nicht durch eine Negation, dass ich beispielsweise sage: "Ich bin kein Muslim." Das wäre mir zu wenig. Was Christsein bedeutet, muss mein Arbeitskollege oder Nachbar durch mein Verhalten erahnen können. Zusätzlich dazu braucht es auch das deutende Wort, in verständlicher, ungekünstelter Weise. Wer ich bin, zeigt sich durch das, wofür ich Zeit und Energie, also Herzblut einsetze. Damit baut sich Identität auf, nicht durch Abgrenzung. Wir brauchen "gute Geschichten", um zu klären, was Sinn und Lebensrelevanz christlichen Glaubens heute sind. Ja, es tut einfach gut zu erfahren, dass trotz vieler Schwierigkeiten jemand nicht aufgegeben hat, dass bei himmelschreiender Schuld Vergebung möglich war. So etwas zu hören, ist heilsam. Momentan sind es für uns in Tirol wieder die berührenden Zeugnisse von Männern und Frauen, die Kraft ihres Glaubens der Tyrannei der Nazis Widerstand geleistet haben. Diese Mutigen machen Mut. Ich denke an Otto Neururer, Pfarrer in der Tiroler Gemeinde Götzens, dessen Lebenszeugnis mit dem mehrfach ausgezeichneten Film "Hoffnungsvolle Finsternis" jetzt in den Kinos zu sehen ist. Und ich denke an die Tiroler Trinitarierschwester, die von ihren Mitgefangenen als "Engel von Ausschwitz" bezeichnet wurde. Am 22. Dezember 1944, also genau vor 75 Jahren, kam sie ums Leben.
Europa ist zu retten, wenn es sich möglichst geschlossen für ein gutes Leben einsetzt, von dem niemand ausgeschlossen wird, und vor allem angesichts der Klimakrise den nächsten Generationen nicht die Zukunft abdreht.
Wie würden Sie den Orbán-Satz formulieren, in Ihrem Sinne ins Positive wenden?
Europa kann den Anforderungen heutiger Zeit gerecht werden, wenn es stärker als gemeinsamer Organismus agiert und nationale Interessen den gemeinsamen Strategien unterordnet. Die neue Kommission zeigt ja sehr ambitionierte Ansätze in den öko-sozialen Fragestellungen. Afrika soll dabei nicht zur Gänze vergessen werden – das wollte die neue Kommissionspräsidentin mit ihrem Besuch in Äthiopien wohl signalisieren. Es ist der Kontinent vor unserer Haustür. Müssen wir ihn den Chinesen überlassen? China expandiert in Afrika wohl nicht aus caritativen Gründen. Es darf nicht nur um Grenzsicherung gehen, sondern zu allererst um realistische und großzügige Kooperationen auf allen Ebenen. Nochmals zu Ihrer Frage: Europa ist zu retten, wenn es sich möglichst geschlossen für ein gutes Leben einsetzt, von dem niemand ausgeschlossen wird, und vor allem angesichts der Klimakrise den nächsten Generationen nicht die Zukunft abdreht.
Die kulturchristliche Prägung, von der Sie vorhin gesprochen haben, die sehen viele auch bedroht durch die Migration von Menschen aus muslimisch dominierten Ländern …
Sorge bereitet mir, dass vielen Christen der eigene Glaube weggerutscht ist. Leere Kirchen irritieren mich mehr als volle muslimische Gebetsräume. Ich habe kein Problem, wenn Muslime ihren Glauben bewusst leben – da können wir einiges lernen. Von Mitgliedern anderer Religionsgemeinschaften im Übrigen auch. Ich habe mich persönlich auch stets um guten Kontakt zu Muslimen bzw. muslimischen Vereinen bemüht. Dabei habe ich auch beobachtet, dass es Strömungen im Islam gibt, die sehr bedenklich bis gefährlich sind. Deswegen braucht es einen differenzierten Dialog der Religionen, ein genaues Hinschauen und wenn nötig auch couragiertes Benennen von Entwicklungen, die wir in Europa sicher nicht wollen.
Die meisten islamischen Länder sind keine Demokratien im westlichen Sinne, um die Religionsfreiheit ist es vielfach schlecht bestellt. Kann es sein, dass der Islam mit unserer modernen, pluralistischen Welt schlechter kompatibel ist als ein durch das Feuer der Aufklärung gegangenes Christentum?
Ja, vielleicht ist das ein Läuterungsprozess, der dem Islam noch bevorsteht. Da ist einiges offen, und leider zeigen viele Entwicklungen eher ins Gegenteil – ich spreche vom Erstarken eines islamistischen Fundamentalismus, der sich vor allem in Nordafrika rasant ausbreitet. Dennoch hoffe ich, dass sich weltweit auch in den islamisch geprägten Ländern ein Bewusstsein für demokratische Werte durchsetzen wird. Religionsfreiheit ist selbstverständlich überall einzufordern. Da bräuchte es mutigere Vorstöße gerade angesichts der verheerenden Verfolgungssituation, der Millionen von Christen ausgesetzt sind. In China auch die muslimischen Uiguren. Mit Religion darf kein Staat gemacht werden, auch nicht mit einem kämpferischen Atheismus.
Religionsfreiheit ist selbstverständlich überall einzufordern. Da bräuchte es mutigere Vorstöße gerade angesichts der verheerenden Verfolgungssituation, der Millionen von Christen ausgesetzt sind.
Im Oktober gab es eine Bischofssynode zu Amazonien. Der Kirche ging es vor allem um Fragen von Ökologie und sozialer Gerechtigkeit, medial rezipiert wurden aber vor allem die Stellungnahmen zu den Zulassungsbedingungen für das Priesteramt …
Es war eine prophetische Aktion des Papstes, diese Synode anzusetzen – denken wir, dass im Sommer die Wälder gebrannt haben: Das Hauptthema war die Bedrohung für die so wichtige Lunge unseres Planeten; wenn Amazonien kollabiert, hat das Auswirkungen auf den gesamten Globus. Im Abschlussdokument finden sich viele Empfehlungen, die alle den Nerv unserer ökologischen Krise berühren und eine "Konversion", d. h. eine nachhaltige Veränderung unseres Lebensstils, einfordern. Was die pastorale Konversion betrifft, können wir auch für uns lernen, obwohl die pastorale Situation dort kaum mit unserer vergleichbar ist. Mir wurde gesagt, dass die fehlende Fairness in der Verteilung des Klerus eine gravierende Ursache für die sogenannten „eucharistielosen Gemeinden“ Amazoniens ist. Weder aus dem Süden Brasiliens, noch aus Kolumbien oder anderen an Amazonien angrenzenden Regionen möchten Priester in die Regenwald-Region gehen, um dort seelsorglich zu wirken. Dazu kommt, dass es trotz der 500-jährigen Geschichte der Kirche in Amazonien keinen indigenen Klerus gibt; ebenso sind die Freikirchen bei den Indigenen sehr erfolgreich. All das muss zu denken geben.
Sie haben sich vor der Synode vorsichtig zustimmend zu "Viri probati" geäußert, dann aber vor überzogenen Erwartungen gewarnt …
Ich kann mir die Weihe von Personen, die sich im familiären Leben, im Beruf und in der Pfarre bewährt haben, gut vorstellen – auch hier bei uns. Das muss jedoch vorbereitet werden. Mir war die Rezeption der Empfehlungen, die von der Synode verabschiedet wurden, zu hektisch. Das braucht noch einige Zwischenschritte. Daher plädiere ich dafür, die westlichen Reformwünsche nochmals mit dem Blick auf die gefährdeten Regionen Amazoniens zu betrachten. Es wird hierzulande oft mit dem "eucharistischen Hunger" argumentiert: Den sehe ich nicht. Viele, meist auch schön gestaltete Gottesdienste werden in halbleeren Kirchen gefeiert. Meiner Meinung nach muss die erste drängende Fragestellung lauten: Wie können wir einen lebensrelevanten Glauben aufwecken? Wir gehen bei der Spendung der Sakramente immer noch von volkskirchlichen Parametern aus. Evangelisation, d. h. die persönliche Berührung mit dem Evangelium Jesu, sollte kein Fremdwort bleiben. Nur eine spirituelle und in der sozialen Praxis authentische Kirche wird Menschen zukünftig faszinieren.
Sind Sie der Meinung, dass auf mittlere Sicht der zölibatär lebende Priester der "Normalfall" sein wird?
Ja, das glaube ich, weil die zölibatäre Lebensform den Priester zu einer Gestalt macht, die auf jemanden anderen und etwas anderes verweist. Es ist dies eine Facette eines "armen" Lebens nach dem Vorbild Jesu – in Zusammenhang mit einer entsprechenden Lebensführung. Wobei zölibatär leben nicht heißen soll, alleine zu leben; es geht um mehr Aufmerksamkeit, um eine größere Verfügbarkeit für andere Menschen. Leider mangelt es auch innerkirchlich daran, dass der zölibatär lebende Mensch, ob Ordenschrist oder Priester, nicht mehr wirklich gewollt ist. Junge Menschen, die sich für einen "geistlichen Beruf" interessieren, stehen heute meist unter einem großen Legitimationsdruck. Wenn wir also zukünftig Ordensberufungen und Priester, aber auch verheiratete Männer und Frauen in pastoralen Berufen und im Religionsunterricht wollen, dann müssen wir die dafür notwendige Atmosphäre schaffen. Ermutigen ist besser als Verdächtigen.
Das zweite, noch viel schwierigere Thema ist die Frauenfrage. Hier wird kirchlicherseits mit Verweis auf "Ordinatio sacerdotalis" von Johannes Paul II. (1994) erklärt, dass diese Frage definitiv und endgültig entschieden sei. Ist das so?
Ich bin in dieser Frage ziemlich unsicher. Die Ungleichheit in der Behandlung der Geschlechter, wenn es um die Zulassung zu den Weiheämtern geht, wird immer stärker als Ungerechtigkeit benannt – und das kann ich verstehen. Wenngleich von einer immer wieder behaupteten generellen Diskriminierung der Frau in der Kirche keine Rede sein kann. Es ist auch noch längst nicht alles ausgeschöpft, was es unter den aktuellen Bedingungen an Möglichkeiten gibt, Frauen verstärkt in verantwortliche Positionen zu bringen bzw. in Entscheidungsprozesse einzubinden. In den letzten 50 Jahren ist da vieles gewachsen, und der Weg ist noch lange nicht abgeschlossen. Aber ich sehe die Enttäuschungen und Kränkungen, die es mit Blick auf die Frage der Weihe gibt. Die Kirche steht mit der Argumentation, dass aufgrund der päpstlichen Aussagen keine Diskussion mehr stattfinden soll, sehr fragwürdig da. Positiv ist aber, dass die Synode ja keine Tür in dieser Frage verschlossen hat.
Die Ungleichheit in der Behandlung der Geschlechter, wenn es um die Zulassung zu den Weiheämtern geht, wird immer stärker als Ungerechtigkeit benannt – und das kann ich verstehen. Wenngleich von einer immer wieder behaupteten generellen Diskriminierung der Frau in der Kirche keine Rede sein kann.
Sehen Sie irgendeinen Ausweg?
Wahrscheinlich gelingt das nur mit einer repräsentativen Kirchenversammlung zu diesem Thema. Unabhängig davon sollte man grundsätzlich die beiden Seiten kirchlicher Leitungsverantwortung stärker betonen. Im heutigen Lebensvollzug der Kirche dominiert die institutionelle, d. h. die sakramentale Seite der Leitungsvollmacht – durch Weihe übertragen. Die zweite Seite ist unterentwickelt – das ist diejenige, die auf Charismen und erprobten Begabungen aufbaut. Ja, ich bin der Überzeugung, dass Gott der Kirche – und im Übrigen auch jeder anderen Gemeinschaft – die nötigen Talente schenkt, die sie zum Bestehen angesichts der aktuellen Herausforderungen braucht. Im Neuen Testament finden sich die Kataloge mit dieser oder ähnlichen Aufzählungen: Gabe des Lehrens, des Vorstehens, der Leitung usf. Basierend auf diesen Gaben ließe sich parallel zum Leitungsamt kraft der sakramentalen Weihe auch eine gleichbedeutende Leitungsverantwortung von "professionellen Laien", also von Männern und Frauen, in der Kirche postulieren. Die hierarchische und demokratische Seite der Kirche würden mit diesem Ansatz, den ich hier nur andeuten konnte, in eine bessere Balance kommen. Das könnte auch die Diskussion über die Weiheämter etwas relativieren.
Was sehen Sie für theologische Gründe für die geltende Regelung?
Die theologischen Gründe sind kaum zu benennen. Grundsätzlich teilen wir die Position, dass nur Männer für den Ordo zugelassen sind, mit allen orthodoxen und altorientalischen Kirchen. Für diese Kirchen steht die Frage einer Priesterweihe von Frauen überhaupt nicht an. Auch in den meisten Kulturkreisen, ausgenommen Europa und USA, ist dies ähnlich. Sehr wohl stellt sich diese Frage im europäischen Kontext. Wahrscheinlich ist es ein notwendiger Schritt der Inkulturation, der jedoch noch Zeit benötigen wird. Die Wiener Theologin Marianne Schlosser hat zur Begründung der aktuellen kirchlichen Praxis auf das Bild von Christus als Bräutigam verwiesen, welcher der Braut der Gemeinschaft gegenübersteht. Ob diese Argumentation auf der theologischen Symbolebene, die auf die Kirchenväter zurückgreift, tatsächlich gültig und verständlich ist, wird diskutiert.
In Deutschland hat mit dem neuen Kirchenjahr ein Reformprozess unter dem Titel "Synodaler Weg" begonnen, der von Bischöfen und Laien gemeinsam beschritten wird. Wäre das auch für Österreich ein sinnvolles Modell?
Der Weg der Kirche muss immer ein synodaler sein, also ein gemeinsamer – es sollte nach Möglichkeit ein Miteinander von Klerikern und Laien abbilden. Hoffen wir, dass der Prozess in Deutschland gut in die Gänge kommt und eine nachhaltig positive Wirkung hat. Angesichts der Aufrüstung von Befürwortern und Gegnern in den heiklen Fragestellungen habe ich da meine Zweifel. Es wird bestimmt viel Zeit zum genauen Hinhören und Abwägen von gegensätzlichen Argumenten in einem geschützten und vertrauensvollen Rahmen brauchen.
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