Coronavirus: Italienische Ärzte berichten von "Kriegszuständen"

Das Spedali Civili Krankenhaus in Brescia, Lombardai, am 13. März 2020.
In Italien stoßen Ärzte und medizinisches Personal an ihre Grenzen. Sie sprechen von Kriegszuständen.

Die Maske noch auf dem Gesicht, den Kittel noch an, brach Krankenschwester Elena Pagliarini auf ihrem Schreibtisch in einer Klinik im norditalienischen Cremona zusammen. Ein Foto davon, welches ihre Kollegin Francesca Mangiatordi auf Facebook postete, steht nun sinnbildlich für die Überlastung des Gesundheitssystems in Italien.

Kriegshelden

"Es war ein Moment der Verzweiflung", erklärt Pagliarini im Interview mit dem Corriere della Sera. "Die Schicht war fast zu Ende und ich fühlte mich hilflos." Sie habe "sehr heftig geweint" und sei dann einfach "zusammengebrochen". Ärzte und medizinisches Personal stoßen, besonders in der schwerst betroffenen Lombardei, an ihre Grenzen. Regierungschef Giuseppe Conte bezeichnet sie als Helden. Helden in einem Krieg.

Dank für ihren unermüdlichen Einsatz erwartet Pagliarini, stellvertretend für ihre Kollegen und Kolleginnen, nicht. Tatsächlich fühle sie sich körperlich nicht müde, "könnte bei Bedarf auch 24 Stunden durcharbeiten." Angst habe sie viel mehr vor dem, womit sie nur schwer fertig werde. "Ich kämpfe gegen einen Feind, den ich nicht kenne. Ich kann nicht erwarten, dass das endet," erklärt sie.

Coronavirus: Italienische Ärzte berichten von "Kriegszuständen"

Elena Pagliarini.

Entscheiden, wer weiteratmet

Vor allem in den Spitälern im Norden Italiens, wo die meisten Covid-19-Erkrankten gepflegt werden, spitzt sich die Situation zu. Der Mediziner Daniele Macchini aus Bergamo sprach auf Facebook von einem "Tsunami" und einem "Krieg", der die Spitäler überwältige. "Es fallen mir keine anderen Worte ein. Der Krieg ist ausgebrochen, und die Kämpfe halten Tag und Nacht ununterbrochen an." Dementsprechend seien auch Entscheidungen über Leben und Tod zu treffen, wie sie sonst nur in Kriegszeiten notwendig werden.

So berichtet die Ärztin Maria Cristina Settembrese, die im Mailänder Spital San Paolo ihren Dienst leistet, davon, dass über Siebzigjährige mit Vorerkrankungen den Vermerk "kein Kandidat für Reanimation" erhalten - um Ressourcen zu schonen. Es fehlt an Betten, Beatmungsgeräten, ärztlichem Material und vor allem Personal. "Aber natürlich lassen wir sie nicht alleine. Sie werden in eine andere Station verlegt, wo sie palliativ behandelt werden", sagte Settembrese dem Corriere della Sera. Besuche durch Angehörige sind allerdings untersagt.

Die italienische Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin veröffentlichte zu ethischen Fragen in solchen Notlagen diese Woche eine Empfehlung: "Angesichts des gravierenden Mangels an medizinischen Ressourcen müssen die Zuweisungskriterien gewährleisten, dass die Patienten mit den höchsten Chancen auf therapeutischen Erfolg Zugang zu Intensivmedizin erhalten. Es geht darum, 'die höchste Hoffnung auf Leben und Überleben' in den Vordergrund zu stellen", heißt es darin.

Über Grenzen hinaus

Mehr als zehn Stunden am Stück arbeiten Mediziner und Pflegefachkräfte gerade ohne Pause durch. Bis zum Umfallen, so wie Pagliarini. Besonders drastisch seien die Bedingungen auf den isolierten Intensivstationen. Pflegende verbrächten dort bis zu sechs Stunden, in denen sie nicht trinken, nicht essen, nicht das WC besuchen und sich auf keinen Fall ins Gesicht fassen dürfen. Nicht einmal Notizen zu Patienten dürften gemacht werden, "weil selbst ein infiziertes Papier das Virus draußen weiter verbreiten könnte", heißt im Beitrag des Italien-Korrespondenten der NZZ.

Bei alledem sind luftdichte Masken und Schutzanzüge unentbehrlich. Wurden diese zuvor immer so kurz wie möglich und so lang wie nötig getragen, sind sie in italienischen Spitälern nun rund um die Uhr obligatorisch. Krankenschwester Alessia Bonari teilte auf Instagram ein Foto, das ihr Gesicht mit Blutergüssen von der hauteng anliegenden Schutzmaske zeigt. "Ich bin körperlich müde, weil die Schutzvorrichtungen schlecht sind, der Laborkittel mich schwitzen lässt und ich nach dem Anziehen sechs Stunden lang nicht mehr auf die Toilette gehen oder trinken kann", schreibt sie unter  ihr Foto.

Von den psychologischen Konsequenzen der Dauerbelastung ganz zu schweigen. "Ich habe Angst, weil die Maske möglicherweise nicht gut am Gesicht haftet oder ich mich versehentlich mit schmutzigen Handschuhen berührt haben könnte oder weil die Linsen meine Augen nicht vollständig bedecken." Das würde sie und ihre Kollegen und Kolleginnen nicht daran hindern, ihre Arbeit "weiter so zu machen, wie wir sie immer gemacht haben". Mit Stolz. Keine Kriegshelden, aber Ärzte und Pfleger mit einer tiefen Leidenschaft und Überzeugung, die gerade das italienische Gesundheitssystem zusammenhält.

Kommentare