Arzt: Coronavirus "ein Tsunami, der uns überwältigt hat"
Daniele Macchini ist wütend, richtig wütend. Auf Facebook schreibt der Chirurg aus dem norditalienischen Bergamo über die dramatischen Zustände in seinem Krankenhaus "Humanitas Gavazzeni" und kritisiert zugleich jene Leute, die über die Einschränkungen des öffentlichen Lebens klagen oder gar die Vorschriften der Regierung ignorieren. Der Appell des Arztes verbreitete sich rasant auf Facebook und geht bereits durch europäische Medien.
Macchini fordert eindringlich, das Coronavirus ernstzunehmen. Es sei keineswegs beruhigend, dass der schwere Verlauf hauptsächlich ältere Menschen mit anderen Vorerkrankungen treffe. So seien ältere Menschen erstens die größte Bevölkerungsgruppe in Italien - und zweitens nicht die einzig betroffene. "Ich versichere Ihnen, wenn Sie junge Menschen sehen, die auf der Intensivstation landen, intubiert, (…) oder schlimmer, am ECMO angeschlossen (einer Maschine für die schlimmsten Fälle, die das Blut extrahiert, es wieder mit Sauerstoff versorgt und es dem Körper zurückgibt und auf den Organismus wartet, bis er hoffentlich die Lungen heilt) - wenn Sie das sehen, ist Ihre Ruhe angesichts Ihres eigenen, jungen Alters vorbei."
Macchini gehe es in seinem Posting vor allem darum, den Menschen die reale Gefahr durch das Coronavirus klarzumachen - insbesondere den Menschen, die in sozialen Medien immer noch stolz zur Schau stellen, keine Angst zu haben, oder sogar dagegen protestieren, dass sie sich nun in ihrem Alltag einschränken müssen.
Es gibt keine Chirurgen oder Orthopäden mehr, nur Ärzte
Die Lage in seinem Spital in Bergamo sei durch das Coronavirus so, schreibt Macchini: "Es gibt keine Chirurgen, Urologen, Orthopäden mehr, wir sind nur Ärzte, die plötzlich Teil eines einzigen Teams werden, um diesem Tsunami zu begegnen, der uns überwältigt hat."
Vor mehr als einer Woche sei im "Humanitas Gavazzeni" eine komplette Reorganisation erfolgt. Stationen und Gänge hätten sich geleert, und Container seien vor der Notaufnahme aufgestellt worden, um eine Ansteckung mit dem Coronavirus unter den Patienten zu vermeiden.
Die Ärzte hätten damals auf einen Krieg gewartet, "der noch nicht begonnen hatte und von dem viele (einschließlich mir) nicht so sicher waren, ob er jemals so wild kommen würde".
Und dann sei er eben explodiert, der Krieg. "Einer nach dem anderen kommen die unglücklichen Armen in die Notaufnahme. Sie haben alles andere als die Komplikationen einer Grippe. Hören wir auf zu sagen, dass es eine schlimme Grippe ist", schreibt Macchini.
"Können es nicht mehr ertragen"
"In den zwei Jahren hier habe ich erfahren, dass die Menschen in Bergamo nicht wegen nichts in die Notaufnahme kommen. Auch diesmal haben sie es gut gemacht. Sie sind allen Hinweisen gefolgt: eine Woche oder zehn Tage zu Hause mit Fieber, ohne rauszugehen und eine Ansteckung von anderen zu riskieren. Aber jetzt können sie es nicht mehr ertragen. Sie atmen nicht genug, sie brauchen Sauerstoff."
Ganz Italien eine Sperrzone
Italien ist stärker als jedes andere Land in Europa vom Coronavirus betroffen. Am Montag hatte Premier Giuseppe Conte ganz Italien zur Sperrzone erklärt. Er rief zu mehr Verantwortungsbewusstsein auf. Die öffentliche Gesundheit habe nun gegenüber allem Vorrang. Daher seien die Bürger zur Änderung ihres Lebensstils und auch zu Opfern aufgerufen. Nach dem Slogan "Ich bleibe zu Hause" wird die Reisefreiheit stark eingegrenzt. Auch Versammlungen im Freien sollen verboten werden, sagte Conte.
Als Vorbild für ganz Italien dienen die Maßnahmen, die seit Sonntag bereits in der Lombardei sowie in 14 norditalienischen Regionen gelten. Das Krankenhaus des Arztes Daniele Macchini liegt in Bergamo in der Provinz Lombardei.
Italiener werden bis auf Weiteres auch nicht ausreisen dürfen, Ausnahmen sind nur bei nachgewiesenen dringenden beruflichen oder familiären Verpflichtungen und in gesundheitlichen Notfällen vorgesehen.
In Österreich kündigte die Bundesregierung am Dienstag ein Einreiseverbot für Personen aus Italien an.
Italien: Keine Behandlung mehr für Ältere?
Unterdessen sorgt auch ein Tweet des deutsch-amerikanischen Politikwissenschaftlers Yascha Mounk für Debatten. In italienischen Spitälern gelte nun eine Triage, also eine Priorisierung für medizinische Hilfeleistungen, weil es nicht mehr möglich sei jeden Patienten zu behandeln. "Es könnte nötig werden, eine Altersgrenze für Intensivbehandlungen einzuziehen. Das ist keine Grundlage für wohlbegründete Entscheidungen, aber ein Weg, um die extrem knappen Ressourcen für jene zur Verfügung zu stellen, die die höchste Überlebenschance haben und die meisten Lebensjahre zu retten", zitiert Mounk aus einem medizinischen Leitfaden.
Mounk schreibt weiter, eine ähnliche Situation komme wohl "sehr bald" auf amerikanische Ärzte zu.
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