von Simone Weiler
Wie riecht das Ende der Welt? Ungefähr so wie der Papierstreifen, der gerade mit der Flüssigkeit aus einem Flakon besprüht wurde. Sein Duft lässt an gezuckertes Popcorn und Lakritze denken, an Kino – denn zum Glück gibt es das Ende der Welt bisher nur dort.
Außerdem ist da jeweils ein Hauch von Kanonenpulver, Kreuzkümmel, Sesam und von schwarzem Pfeffer – für etwas Würze. Genau so stellte sich jedenfalls die „Nase“ der französischen Parfümerie „État Libre d’Orange“ das „Ende der Welt“ vor und packte die entsprechenden Aromen in ein Parfüm mit diesem Namen.
"Palast-Schlampe"
Andere überraschende Kreationen sind „Palast-Schlampe“ mit Noten eines Pudertäschchens voller Schmink-Utensilien oder „like this“, das riecht, als hielte man die Nase in eine würzige asiatische Bo-Bun-Suppe mit Koriander und Karotte.
Lächelnd beobachtet Sophie Irles, wie ihre Tour-Teilnehmer konzentriert an Flakons riechen. Mit ihrem Unternehmen „Rendez-Vous Parfum“ bietet die 33-jährige Französin seit 2017 thematische Spaziergänge in Paris an.
In diesem Corona-Jahr lief ihr Geschäft allerdings stockend, so wie das der Parfümerien und der Kosmetik-Industrie generell. Im ersten Halbjahr 2020 verzeichnete die Branche in Frankreich, deren Jahresumsatz sich sonst auf rund 40 Milliarden Euro beläuft, einen Rückgang von rund zehn Prozent.
Die simple wie nicht gerade wohlriechende Erklärung: Da die Kunden im Lockdown kaum mehr aus dem Haus gingen, verwendeten sie auch weniger Körperpflege-Produkte und natürlich auch Parfüms und Deodorants.
Dem Marktforschungsinstitut NPD zufolge wurden bis Ende August in Frankreich 300 neue Parfüms lanciert. Sonst sind es im selben Zeitraum ungefähr 400.
Ein wenig abfedern konnte das bescheidene Weihnachtsgeschäft die Ausfälle seit März zwar, aber mehr auch nicht, sagt Benjamin Almairac, Besitzer der Parfümerie „Parle moi de Parfum“ im Marais-Viertel.
Die Düfte kreiert sein Vater Michel, der seit Jahrzehnten eine Berühmtheit in der Branche ist. Aber auch er konnte in diesem Jahr nur gebremst arbeiten. „Uns gehen besonders die Touristen ab“, sagt Almairac.
Trotzdem stellt der junge Mann stolz den Sommerduft 2020 vor, der mit Noten von Lavendel, Honig- und Wassermelone. Er hofft, er kommt auch im nächsten Sommer noch an. Irles zufolge erlauben sich kleine, unabhängige Läden oft interessantere Kreationen als die großen Häuser, die sehr viel Geld in Marketing und Werbung mit Stars investieren: „Ihre Produkte müssen den Geschmack der breiten Masse treffen. Experimente wären zu riskant.“
Fast alle großen Hersteller seien übrigens ursprünglich Modemarken – und Coco Chanel war es, die Anfang des 20. Jahrhunderts als eine der Ersten das Potenzial von der Erweiterung ihres Angebots um Parfüms erkannte. „Sie sind günstiger als ein Luxus-Kleidungsstück, aber transportieren dieselbe Welt“, erklärt Parfüm-Expertin Irles.
Schweiß, Sperma, Blut
Das Image von Frankreich als Land der Parfüms geht vor allem auf die Zeit des Sonnenkönigs Ludwig XIV. an der Wende zum 18. Jahrhundert zurück. Im Viertel um den Louvre als königlicher Residenz entstanden damals zahlreiche Luxushotels und -boutiquen. Auch Parfümeure siedelten sich an, die ihr Rohmaterial oft aus Südfrankreich bezogen.
Vor allem in Grasse in der Provence entwickelte sich der Berufszweig des Parfümeurs, der dort bis heute große Bedeutung hat. Außerdem befindet sich in Versailles mit dem Institut „Isipca“ eine der renommiertesten Schulen der Welt für Parfümerie- und Kosmetikberufe.
Doch der Markt wird immer vielfältiger – das zeigt auch das Beispiel von „État Libre d’Orange“ und deren besonders provokanten Duft, der an vier Körperflüssigkeiten erinnert: Schweiß, Sperma, Blut und Spucke. Er verkauft sich gut: Viele wollen sich eben von der Masse abheben.
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