Am Ende musste der Präsident weinen

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Es waren dramatische Szenen am Ende der 26. Klimakonferenz.

Alok Sharma wird diesen Abend wohl sein ganzes Leben lang nicht vergessen. Zwei Jahre lang hatte er intensiv für genau diesen einen Moment gearbeitet und zuletzt kämpfen müssen.  Er musste eine hochsensible Entscheidung treffen, während die Welt gebannt auf ihn sah. Ausgerechnet sein Mutterland stellte ihn vor eine Entscheidung, die in diesem Moment niemand gerne treffen will.

Sharma wurde in Indien geboren, im Bundestaat Uttar Pradesh, 200 Millionen Einwohner, in der für indische Verhältnisse kleinen Stadt Agra mit 1,6 Millionen Einwohnern.

Mit fünf Jahren zog er mit seiner Familie nach Großbritannien, das war 1972, nach Reading in Berkshire. Er ging dort zur Schule, studierte Angewandte Physik, und engagierte sich bei den britischen Konservativen. In der Regierung von Theresa May wurde er Arbeitsminister, unter Boris Johnson Wirtschafts- und Energieminister. Er machte sich einen Namen als ruhiger, kluger Verhandler, und war der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort, als Johnson einen Präsidenten für die Klimakonferenz im schottischen Glasgow suchte.
 

Dafür gab er seinen Ministerposten auf, beides gleichzeitig wäre unmöglich gewesen. Als Präsident einer COP, einer conference of the parties, wie die UNO-Klimagipfel eigentlich heißen, muss man alles im Blick haben und die nur zweiwöchige Weltkonferenz mit 197 Teilnehmerstaaten intensiv vorbereiten.

Und alles lief zu seiner Zufriedenheit, bis zum Abend des 13. November. Die Verhandlungen waren schwer und intensiv, aber es zeichneten sich eine Reihe von Erfolgen ab, die zuvor als nicht machbar galten. Dass in den Schlussdokumenten die Rede war von einem Ende der Kohlekraft, einem Ende der Förderungen fossiler Energien, oder ein neues Kapitel jetzt verankert ist zu loss and damage, damit den vom Klimawandel am härtesten getroffen Staaten Finanzmittel gegeben werden können, das alles feierte in Glasgow eine Premiere in den offiziellen Dokumenten.

24 Stunden länger als geplant

Die Konferenz hatte schon deutlich überzogen, vierundzwanzig Stunden länger als geplant ging sie schon, und eine Einigung war zu Greifen nahe. Es war unmittelbar vor dem finalen Plenum, es ging nur mehr darum, die Dokumente von allen absegnen zu lassen. Bis der indische Vertreter um das Wort bat. Und eine Abänderung der fix fertigen Dokumente urgierte, nicht nur Indien wollte das, auch China und Südakfrika. Die Kohlekraft solle kein „phasing out“ bekommen, also ein Ende.

Sondern nur ein „phasing down“, eine Verringerung.  Die meisten anderen Staaten waren wütend. Ihnen ging das Schlussdokument ohnehin nicht weit genug, es sei zu wenig ambitioniert, lauteten zahlreiche Wortmeldungen nicht nur von den Inselstaaten und den „most vulnerable states“, den verletzlichsten Staaten. Sondern auch von der EU und der Schweiz. Doch niemand wollte dagegen stimmen, es galt, den Text zu retten, der am Tisch lag.

„Um Himmels willen! Zerstört diesen Moment nicht“, wandte sich der niederländische EU- Klimaschutz-Kommissar Frans Timmermans mit verzweifelter Wut an die Delegierten. Da war er, der Moment, den Alok Sharma in unruhigen Nächten in den Tagen zuvor sicherlich befürchtet hatte. Ausgerechnet die Inder, seine früheren Brüder! Es lag jetzt an ihm: Soll er die Politiker zurück an den Verhandlungstisch schicken? Da war die Gefahr groß, dass viele hingeschmissen hätten und der Gipfel damit platzt. 

"Im Konses"

Soll er den rebellischen Staaten die Änderung verweigern, und damit ein sicheres Scheitern der Konferenz besiegeln? Es ist nämlich so: Eine UNO-Klimakonferenz kann nur „im Konsens“ beendet werden. Das heißt nicht, dass alle dafür sein müssen. Es darf nur niemand dagegen sein, egal wie klein das Land ist. Jeder der 197 Vertragsstaaten der UN-Klimarahmenrechtskonvention kann das.

Sharma musste in dem Moment sicher an die Rede von Seve Paeniu wenige Stunden zuvor denken. Paeniu vertritt Tuvalu, einen kleinen Inselstaat im Pazifik, die größte Erhebung liegt exakt 4,6 Meter über dem (ansteigenden) Meeresspiegel. Jeden Abend, erzählte der Delegierte, wenn er die riesigen Hallen des Gipfels verlasse, schaue er sich ein Foto seiner drei Enkelkinder an. Er hoffe, dass es für sie eine lebenswerte Zukunft geben werde. Klimapolitik dürfe niemals an das politische Überleben einzelner Politiker bei der nächsten Wahl geknüpft werden, rief er seinen Kollegen der reichen Industriestaaten und der mächtigen Schwellenländer zu. „Wir rufen alle Länder auf, auf den Glasgow-Zug für mehr Ehrgeiz aufzuspringen“, rief er.

Was sollte Sharma jetzt tun? Er atmete auf dem Podium vor den Delegierten tief durch. Und dann noch einmal.

Und dann sagte der 54-Jährige mit Tränen in den Augen: „Ich bitte um Verzeihung für die Art, wie das gelaufen ist. Es tut mir sehr leid.“ Dann fiel er seine Entscheidung. Und fügte an: „Es ist auch von lebenswichtiger Bedeutung, dass wir dieses Paket schützen.“ Beim Wort „Paket“, package, versagte ihm die Stimme kurz. Und mit „schützen“ meinte er wohl, dass die vielen kleinen Erfolge der Verhandlungen, die in Summe doch ein großer sind, nicht geopfert werden sollten wegen einem geänderten Wort, auch wenn es um so etwas wesentliches geht wie die dreckige Kohlekraft.

Und dann schwieg er, sekundenlang. Er blickte vor sich auf den Tisch, führte seine rechte Hand zum Mund, ganz so als würde ihm das helfen, nicht weinen zu müssen. Die absolute Stille im Saal war fast unerträglich. Bis eine Delegierte oder ein Delegierter, es war nicht zu sehen, wer, zu klatschen begann, und dann gleich der nächste. Und der Nächste. Plötzlich applaudierte der ganze Saal, viele erhoben sich vom Delegiertensitz. Ganz so, als würde man Sharma auf die Schulter klopfen, zum Trost, aber noch mehr, um ihm Rückhalt zu geben, es ist gut, wie es ist, mehr ist heute nicht drin, du hast das jetzt richtiggemacht. Dieser Deal ist viel besser als kein Deal. (Hier finden Sie das Video von Sharmas Entscheidung).

Nächstes Jahr in Ägypten

Das Schlussdokument zur COP wurde wenige Momente später ohne Gegenstimme angenommen. Ja, so läuft das bei einer Weltkonferenz. Wir haben nächstes Jahr, bei der COP 27 im ägyptischen Sharm El-Sheik die nächste Chance, die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder besser zu machen. Dann müssen alle Staaten bessere Angebote darlegen, was sie gedenken, in den verbleibenden sieben Jahren bis 2030 zu tun.

Dazwischen, im März, wird uns der Welt-Klimarat IPCC Teil zwei und Teil drei des 6. Sachstandsbericht präsentieren. Welche Auswirkungen der Klimawandel bereits jetzt hat, was bereits unumkehrbar geschehen ist. Aber auch, wie die Klimakrise bewältig werden kann, das wird im dritten Teil stehen.

Wir dürfen, wir müssen also guter Hoffnung bleiben.

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