Beim Blick nach oben fühlt es sich doch ein wenig beklemmend an. Umso mehr hat man den Grund für seinen Besuch im Hinterkopf: die Lawinengefahr. Im Jamtal in Galtür, wo sich vor 25 Jahren eine Lawinen-Katastrophe ereignete, ist man ringsum von steilen schneebedeckten Berghängen umgeben. Am Fuße eines Hangs wird gerade nach Lawinenopfern gesucht.
Wie viele Verschüttete es gibt, wissen die Bergretter nicht. Es wird reanimiert, gegraben und durch die Funkgeräte rauschen ohne Pause Anweisungen. „Lawinen sind die schwierigsten Einsätze und immer Chaos, auch für Profis“, sagt Christian Eder, Ausbildungsleiter bei der Tiroler Bergrettung. Der Lawineneinsatz ist zum Glück nur eine Übung und die Verschütteten Dummys. Die Übung ist Teil der Abschlussprüfung von 26 Anwärterinnen und Anwärtern. Ein Ruf ist über die ständigen Anweisungen hinweg laut zu hören: „Der lebt noch!“
Die Tiroler Bergrettung ist Österreichs einzige mit einer eigenen Ausbildungszentrale. Umgebaut wurde dafür eine Hütte aus dem zweiten Weltkrieg auf über 2.100 Metern Höhe. Von den Nazis zeugt in der Hütte nur noch eine Hinweistafel, die über ein falsch übersetztes altnordisches Zitat aufklärt, das in einen Dachbalken geschnitzt ist. Heute finden hier fast wöchentlich Ausbildungen von Freiwilligen statt.
Die Lawinenübung ist beendet, doch wer bestehen will, muss nun in einer weiteren Einzelprüfung zwei Verschüttete innerhalb von sechs Minuten finden und einen davon ausgegraben. „Da sind wir streng, schließlich geht es um Menschenleben“, betont Eder. In keinem anderen Bundesland verunglücken so viele Menschen wie im Tiroler Bergland. Mit jährlich über 3.500 Einsätzen ist man besonders stark gefordert. Entsprechend intensiv ist die siebentägige Winterausbildung. „Ich kann nicht mehr schaufeln. Es geht körperlich einfach nicht mehr“, ist zu hören. Irgendwie findet sich dann aber doch die Kraft.
Laut Eder werden die Rettungseinsätze mehr. Das hat mehrere Gründe: Durch die immer besser werdende Netzabdeckung gibt es einerseits mehr Anrufe, die gar keine Notfälle sind, anderseits boomt Bergsteigen und Klettern. Viele haben laut dem Profi zwar entsprechendes Equipment mit, wüssten aber nicht damit umzugehen. Die eigenen Fähigkeiten werden überschätzt, die Risiken gleichzeitig unterschätzt.
Was Eder wichtig ist zu betonen: „Bergretter riskieren nicht ihr Leben. Wir haben für die Risikoeinschätzung ein ausgeklügeltes Farbsystem. Bei Rot ist Schluss, dann gehen wir nicht rein. Es gibt kein Recht auf Rettung, wir müssen nicht kommen, machen es aber aus Überzeugung.“ Die beste Chance auf Rettung ist übrigens die Kameradenrettung, also Hilfe von der eigenen Begleitung.
Wer in den Bergen unterwegs ist, dem wird dringend geraten, Schulungen zu besuchen und den Umgang mit Lawinen-Ausrüstung zu üben. Vor allem Männer treffen tödliche Alpinunfälle, während das Geschlechterverhältnis bei den Verletzen ausgeglichener ist.
Alle bestanden
Für die angehenden Bergretterrinnen und -retter steht am Abend fest: Alle 26 haben bestanden, sieben von ihnen sind Frauen. Früher wäre ihre Aufnahme ein No-Go gewesen, wie Landesleiter Hermann Spiegl erzählt. „Heute bewahren sie uns davor, nicht ausreichend Nachwuchs zu haben. Für sie gelten dieselben Anforderungen und sie machen ihre Sache genauso gut, wie die Männer.“
Auf den Kopf gestellt
Eder wird ein letztes Mal ernst und erinnert die Absolventen: Als Bergretter müssen sie dem Abzeichen, das sie tragen und dem hohen Ansehen, das sie in der Bevölkerung genießen, gerecht werden. Den mit Abstand lautesten Applaus des Abends erntet Bergretter und „Hüttenwirt“ Vinzenz Klimmer – als Koch „der wichtigste Mann im Haus.“ Der ehemalige Haubenkoch musste erst lernen, ausreichend große Portionen zu servieren und nicht zu unterschätzen, welche Mengen an Essen die Kursteilnehmer brauchen. Inzwischen geht ihm (fast) nichts mehr aus.
Wäre sein Essen allein Grund genug, Freiwillige werden zu wollen, ist es aber vor allem der spürbare Zusammenhalt und die Ausgelassenheit. Denn bei all dem Ernst der Ausbildung, wird der Kollege, der in der Gebirgstrage steckt, zum Spaß auch mal gerne auf den Kopf gestellt. Und übrigens: Laut Eder geht selbst ein Bergretter schon mal verloren: „In der Stadt und in der Tiefgarage.“
Erinnerung an das Lawinenunglück von Galtür
Das Lawinenunglück von Galtür hat kollektive Narben hinterlassen. Auch 25 Jahre nach der Katastrophe hat niemand vergessen. An einem Dienstag, den 23. Februar 1999, riss eine Jahrhundertlawine im Tiroler Paznauntal 31 Menschen in den Tod, darunter zwölf Kinder.
Nach Wochen mit massiven Schneefällen und seit Tagen gesperrten Zufahrtsstraßen lösten sich gegen 16 Uhr die Schneemassen und donnerten vom Grieskogel 1.100 Höhenmeter hinab in den 800-Seelen-Ort. 120.000 bis 160.000 Tonnen Schnee machten alles nieder, was im Weg stand. Laut Experten entsprach das 3.000 bis 4.000 mit Schnee beladenen großen Lastwagen, die mit Tempo 300 durch den Ort rasten.
Die Lawine hinterließ eine Spur der Verwüstung: Eltern verloren ihre Kinder, Kinder wurden zu Waisen und Halbwaisen. Häuser wurden mitgerissen, andere Gebäude schwer beschädigt, Straßen und Wege tief begraben. Viele Tausende Tonnen Schnee begruben den Ort. Die Opfer erstickten im Schnee oder erlitten tödliche Verletzungen.
In Galtür war man bis zum nächsten Tag auf sich allein gestellt, ein Schneesturm verhinderte den Start von Bundesheerhubschraubern. Nur einen Tag später, am Nachmittag des 24. Februars, wurde dann der zu Ischgl gehörende Weiler Valzur von einer Lawine überrascht. Sieben Menschen kamen dabei ums Leben. Mithilfe ausländischer Streitkräfte aus Deutschland, den USA, Frankreich und der Schweiz wurden 18.000 Menschen evakuiert, viele Tote konnten erst Tage nach dem Unglück geborgen werden, der letzte am 27. Februar.
Millionen in den Lawinenschutz investiert
Die Aufräumarbeiten dauerten mehrere Wochen an, in weiterer Folge wurden in den Lawinenschutz in Galtür zehn Millionen Euro investiert. Im „Alpinarium“ erinnert heute eine Gedenkstätte an die Lawinen-Opfer.
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