Bergrettung: "Bereits 148 Tote am Traunstein"
In den vergangenen Wochen sind drei Bergsteiger am Traunstein tödlich verunglückt. Der 1691 Meter hohe und markante Berg ist von vielen Teilen des Landes sichtbar.
Stefan Oberkalmsteiner ist Obmann der Bergrettung Gmunden. Der 42-Jährige ist seit seinem 17. Lebensjahr bei der Organisation. Er ist gelernter Zimmermann und bei der Firma Stern & Hafferl Leiter des Holzbaus. „Vor 25 Jahren haben wir von der Firma aus das Naturfreunde- und das Alpenvereinshaus umgebaut. Dann haben wir noch den Mairalmsteig saniert. Seitdem bin ich bei der Bergrettung dabei.“
Gmunden hat 43 ausgebildete Bergretter und sieben Anwärter, also insgesamt 50. Davon sind 20 älter als 60 Jahre, „wir haben 30 Leute, die aktiv bei Einsätzen ausrücken“. Im vergangenen Jahr wurden sie zu 52 Einsätzen gerufen, 2022 waren es 70. Die eine Hälfte der Einsätze betrifft den Grünberg und den Laudachsee, die andere Hälfte den Traunstein, den Kleinen Schönberg, den Katzenstein etc. Denn mit der Seilbahn kommen Menschen auf den Grünberg, die nicht so gut zu Fuß sind.
Mit 32 Euro versichert
Die Bergrettung Oberösterreich verfügt über insgesamt 23 Ortsstellen. Mit 32 Euro jährlich kann jede/r Förderer der Bergrettung werden, die eine Versicherung bei Unfällen für die gesamte Familie inkludiert. Sie gilt weltweit.
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Die Bergrettung Gmunden kauft jährlich um rund 12.000 bis 14.000 Euro Material (Seile, Karabiner, Gurte, Vakuummatratzen etc.) ein. Alleine eine Gebirgstrage kostet rund 8.000 Euro. Zwei Drittel der Kosten übernimmt das Land, ein Drittel die Gemeinde.
Geht man im Winter auf den Traunstein?
Profisportler schon.
Ein sogenannter Normalbürger kommt eigentlich nicht auf die Idee, im Winter auf den Berg zu gehen.
Gerlinde Kaltenbrunner (sie hat alle 14 Achttausender im Himalaja bestiegen, Anm. d. Red.) hat sich im Winter auf dem Traunstein auf die 8.000er-Gipfel im Himalaja vorbereitet.
Die Tour kann man gehen?
Wenn man sich auskennt, ja. Man muss die Schneeverhältnisse gut kennen, man muss die Wetterberichte anschauen, wann es das letzte Mal geschneit hat.
Das können nur Profis, ein Amateur ist da überfordert.
Der Naturfreundesteig ist südlich ausgelegt. Er ist relativ schnell schneefrei. Der Hernlersteig geht Richtung Norden. Da hängt der Schnee drinnen. Im Winter sind die Stahlseile zugeschneit, man kann sich hier nirgends festhalten. Man muss entsprechende Steigeisen mithaben und selbst Sicherungen setzen. Vor über 40 Jahren sind drei unserer Bergretter durch ein Schneebrett tödlich verunglückt, die zur Weihnachtsfeier auf die Gmundnerhütte hochgestiegen sind.
In den vergangenen Wochen sind drei Bergsteiger tödlich verunglückt. Ein Linzer am 26. Dezember, vor zwei Wochen einer aus Timelkam und einer aus Pettenbach. Die beiden kannten sich gut aus.
Sie hatten eine gute Ausbildung. Einer war beim Jagdkommando.
Sie kamen durch eine Lawine um. Haben sie zu viel Risiko genommen?
Wir haben sie gesucht. Einer unserer Bergretter hat sich dabei den Fuß gebrochen. Neuer Schnee war eingeweht. Die untere Schicht war eher hart, sie hat sich mit dem neuen Schnee nicht verbunden. Der Koch der Gmundnerhütte wollte dieselbe Strecke eineinhalb Stunden früher gehen, er hat umgedreht, weil es ihm zu gefährlich war. Er hat viel Erfahrung vom Himalaja. Er kam von der Laudachsee-Seite, die anderen kamen von der Gmundner Seite, deshalb haben sie sich nicht gesehen.
Würden Sie Interessierten empfehlen, im Winter auf den Traunstein zu gehen?
Nein, ich würde es nicht empfehlen. Es gibt andere Berge, auf die man mit den Tourenskiern gut hinaufgehen kann. Es ist besser, so einen Berg zu nehmen und dann eine schöne Abfahrt zu haben. Es gibt in der Gegend von Kirchdorf eine Reihe von Bergen, auf denen viele Tourenskigeher unterwegs sind. Um Ebensee und den Offensee gibt es ebenfalls schöne Routen, die ungefährlich sind.
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Ab wann kann man den Traunstein problemlos besteigen?
Im April sperren die Hütten wieder auf. Ab Mai kann man wieder gefahrlos hinaufgehen. Die Hütten haben bis Oktober offen. Im vergangenen Jänner war kein Schnee. Da konnte man problemlos hinaufgehen. Es kommt auf die Wetterlage an.
Wer kann qualifizierte Auskünfte geben?
Die Bergführer. Wir haben Wolfgang Socher oder Peter Cäsar, beide sind bei uns Einsatzleiter. Sie sind viel am Berg. Sie können es aber auch nicht hundertprozentig sagen, denn da müssten sie mitgehen. Es kann sein, dass der Schnee an einer bestimmten Stelle eingeweht worden ist und die Lawine noch nicht abgegangen ist. Das kann man von herunten nicht beurteilen.
Ist der Traunstein ein gefährlicher Berg?
Ja, wie man sieht schon. Wir haben nun 148 Tote seit der Beginn der Aufzeichnung 1898.
Was ist das Herausfordernde?
Es gibt drei markierte Zustiege. Der Mairalmsteig ist der leichteste, aber auch nicht zu unterschätzen. Wir haben hier die meisten Einsätze. Viele gehen vorne hinauf und sind dann beim Runtergehen erschöpft und stolpern. Wir nehmen oft Leute mit, die zehn Stunden unterwegs waren und nicht mehr gehen können.
Sie haben den Berg unterschätzt und sich selbst überschätzt?
Genau. Man geht hin-auf, der Aufstieg lässt nicht nach, es geht immer steil bergauf. Es gibt kaum ebene Stellen bei den 1.300 Höhenmetern, die bis zum Gipfel zu bewältigen sind.
Welche Voraussetzungen sollte man mitbringen?
Man soll auf alle Fälle einige niedrigere Berge gegangen sein. Es braucht gutes Schuhwerk, genügend zum Trinken, die Kondition muss passen.
Braucht es einen Bergführer?
Er ist kein Muss, denn die Wege sind gesichert. Es gibt einige, die mit einem Kletterset hinaufgehen und sich bei den Seilen anhängen.
Sind die Berggeher heutzutage unvorsichtiger und risikofreudiger im Vergleich zu früher oder ist das ähnlich?
Es ist ziemlich gleich. Heutzutage gehen mehr Menschen auf den Berg als früher. An guten Tagen sind 2.000 bis 3.000 Leute unterwegs.
Sind tatsächlich manche in Schlapfen und Turnschuhen unterwegs?
Sie sind die Ausnahme. Es gibt welche, die in Schlapfen weggehen, aber nach hundert Metern drehen sie um.
Wie bereitet man sich vor?
Es hängt viel von der Witterung ab. Es hat keinen Sinn, bei 30 Grad hochzusteigen, denn da sind die Seile so heiß, dass man sie nicht angreifen kann. An bestimmten Stellen steht dann auch die Luft. Wir müssen dann ausrücken, weil die Geher Kreislaufprobleme haben.
Wie viele Notrufe verzeichnen Sie?
Wir haben rund 50 Einsätze im Jahr. Es gibt dann auch Anrufer, die in der Nacht Lichtzeichen am Berg sehen. Es gehen viele Berggeher schon in der Nacht.
Ist das nicht sehr riskant?
Sie haben Stirnlampen, die das rundherum ausleuchten. Da hat ein Auto oft nicht so gutes Licht. Manche trainieren nach der Arbeit noch für den Bergmarathon. Sie gehen über den Grünberg auf den Traunstein hinauf und wieder runter. Die Bewegung durch die Stirnlampen wird von manchen Beobachtern aus der Ferne als Lichtzeichen missverstanden.
Die Beziehung der Bergrettungsleute zum Traunstein ist eine besondere. Vor einigen Jahren waren bei einer Ehrung im Linzer Landhaus einige Mitglieder dabei, da hat einer gesagt, „jetzt habe ich schon drei Stunden den Stoan nicht gesehen“. Alle habe mitgefühlt und gelächelt.
Mein Vorgänger Bernhard Ebner war 30 Jahre Obmann. Er war Prokurist und kaufmännischer Leiter bei Stern & Hafferl. Seine Eltern haben früher das Naturfreundehaus bewirtschaftet. Er war als Kind immer am Traunstein. Viele Unterstoaninger sind bei der Bergrettung.
Unterstoaninger heißt, sie wohnen unten am Fuße des Traunsteins.
Ja. Ich selbst wohne zwar in Ohlsdorf, ich habe auch vollen Blick auf den Traunstein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich den Traunstein nicht sehe.
Wenn ein Notruf eingeht, wissen Sie und Ihre Leute aufgrund Eurer Kenntnisse vermutlich sofort, wo sich die Betroffenen aufhalten.
Ja. Wir haben bei uns in der Bergrettung Mitglieder, die jeden Tag auf den Traunstein gehen.
Jeden Tag?
Christoph Mizelli, unser Rechtsanwalt, ist 57 Jahre jung und geht jeden Tag hinauf. Er ist in einer Stunde oben und in 20 Minuten wieder herunten. Er hat auch das Buch „Mythos Traunstein“ verfasst und für das Traunstein-Museum im Schloss Ort verantwortlich.
Wir sagen den Anrufern, dass sie uns ein Foto schicken sollen, wo sie sich aufhalten bzw. sie sollen uns sagen, was sie sehen. Dann kann man die Lage relativ gut einschätzen.
Warum engagieren sich die Bergretter so stark? Was ist die Motivation für dieses Ehrenamt?
Wir sind gerne in den Bergen, wir helfen gerne, es ist ein sehr guter Zusammenhalt in der Gruppe. Von Mai bis Oktober haben wir jeden Mittwoch unsere Übungen. Da sind wir zwischen 20 und 30 Leute. Wenn das Wetter schlecht ist, üben wir Erste Hilfe. Oder wir gehen irgendwo hinaus und seilen jemanden ab.
Wie läuft die Organisation ab? Es wird vermutlich Diensteinteilungen geben?
Nein, bei uns ist jeder rund um die Uhr erreichbar. Wir haben vier Einsatzleiter, die ihre Urlaube aufeinander abstimmen. Es kann passieren, dass wir während der Woche zu wenig Personal haben, wenn die Leute in der Arbeit sind. Dann wird noch einmal nachalarmiert.
Wie lange dauert es, bis die Leute einsatzbereit sind?
Normalerweise sind wir in einer Viertelstunde beim Auto. Wir haben zwei Stützpunkte. Einer ist in Gmunden, da haben wir den neuen Bus stehen, der das gesamte Material enthält. Denn wenn am Grünberg ein Einsatz notwendig ist, brauchen wir zuerst nicht unter den Traunstein fahren. Dort steht der zweite Bus. Wir können uns das Hin-und Herfahren ersparen.
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