Wild, wilder, Wilderer: Nur ein kleiner Schritt zum Mörder
Wilderer – der Rebell der Berge. Der verklärte Mythos vom Wildschütz, der sich mit Flinte und viel List gegen die Obrigkeit auflehnt, um zu verhindern, dass die Jagd das Privileg des Adels bleibt. Vor einem Jahrhundert waren das noch die Beweggründe, weshalb „Manda“ reihenweise in die Wälder zogen, um sich am reichen Gabentisch der Natur zu bedienen.
Die Motive für Wilderei sind in der heutigen Zeit viel banaler. Meist gehen die Taten mit großer krimineller Energie einher, wie der Fall des Wilderers von Annaberg (NÖ) 2013 (mehr siehe unten) oder die jüngste Tragödie von Deutschland zeigen.
In Rheinland-Pfalz wurden diese Woche eine Polizistin und ein Polizist erschossen, als sie versuchten, nachts zwei amtsbekannten Wilderern bei einer Verkehrskontrolle das Handwerk zu legen. Der Kofferraum der Männer war voll erlegter Tiere.
Kriminalpsychologen warnen daher davor, den Blick für das kriminelle Potenzial dieser Täter nicht zu verlieren. Sie als Wilderer zu bezeichnen, sei meist nur die halbe Wahrheit und grenze an Verharmlosung. In erster Linie handle es sich um schwerst Kriminelle, in einigen bekannten Fällen gar um mutmaßliche Mörder.
Der Gerichtspsychiater Reinhard Haller hat den Vierfachmörder und Wilderer von Annaberg, Alois Huber, einst so analysiert: „Man darf nicht das Wildern als das Primäre sehen. Das Wildern hat einen Ausdruck der Freiheit gehabt. Er wollte der Schlauere, der Überlegene sein, jener, der sich die Trophäe, also den Kopf des Tieres holt.“ Dazu habe der Gedanke gehört: Ihr werdet mich nie erwischen. „Deshalb hat er sich so den Weg freigeschossen.“
Waffenaffinität
Aber warum enden Begegnungen derart blutig? Dem Gesetz nach ist das Strafmaß für Wilderei überschaubar. Auf den schweren Eingriff in fremdes Jagd- und Fischereirecht nach Paragraf 138 StGB und Verwendung einer Schusswaffe steht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. In den meisten Fällen bleibt es aber bei einer Geldstrafe. Wieso daher Menschen töten? „Es geht bei weitem nicht nur um die Wilderei alleine. Wie das Psychogramm des Täters von Annaberg gezeigt hat, war er in erster Linie ein schwer krimineller Mensch, in dessen Leben sich die Gewaltbereitschaft laufend gesteigert hat“, erklärt der Leiter der Antiterroreinheit Cobra, Hannes Gulnbrein.
Er hat den Einsatz beim Amoklauf geleitet und den Fall später für internationale Ausbildungszwecke aufgearbeitet.
In den bekannten Fällen hatten die Wilderer ein hohes Gewaltpotenzial, aufgrund ihres Treibens auch eine große Affinität zu Waffen, Munition und allem, was sonst noch dazugehört. Modernste Ausrüstung wie Nachtsichtgeräte, Tarnung, Schalldämpfer und durchschlagskräftige Kaliber verschafften ihnen einen Vorteil gegenüber der Polizei. „Annaberg war in diese Hinsicht beispielgebend. Alles, was sich dem Täter genähert hat, wurde vernichtet“, so Gulnbrein.
Diese Gewalteskalationen sind zum Glück in der Geschichte selten. Wenn es um den illegalen Abschuss von Tieren geht, ist man nicht zuletzt wegen Annaberg besonders in Niederösterreich sensibel.
Deshalb erfassen Spezialisten für Umweltdelikte beim Landeskriminalamt seit 2017 alle angezeigten Fälle in einer eigenen Datenbank. „Ziel ist es, etwaige Brennpunkte frühzeitig zu erkennen“, erklärt Chefinspektor Christian Ebner.
Im ersten Jahr wurden mehr als 40 Fälle von Wilderei in dem System dokumentiert, 2018 waren es 36, 2019 nur noch 20 und seither nur noch eine Handvoll. Ebner macht für den signifikanten Rückgang den engen Kontakt zur Jägerschaft verantwortlich.
„Gummi-Pirsch“
Man habe auf Bewusstseinsbildung gesetzt. „In den wenigsten Fällen handelte es sich um klassischen Wilddiebstahl. Es sind verendete Tiere gefunden wurden, die angeschossen waren“, beschreibt Ebner. Wilderei steckte aber nur selten dahinter. Vielmehr seien die Tiere bei der offiziellen Jagdausübung oder der „Gummi-Pirsch“ (Jagd aus dem Auto, Anm.) nicht gut getroffen worden. „Die normal verpflichtende Nachsuche wird aus Scham vor dem Fehlschuss nicht durchgeführt oder verläuft erfolglos“, erklärt der Ermittler.
Untergekommen sind den Kriminalisten auch Streitigkeiten unter Reviernachbarn, Neid und Missgunst. Im Zuge solcher Fehden ist es ebenfalls zu illegalen Abschüssen auf benachbartem Grund und Boden gekommen. Die Beweisfrage sei allerdings in solchen Fällen äußert schwierig.
Die Schicksalsnacht von Annaberg
Der Amoklauf von Alois Huber am 17. September 2013 in Annaberg (NÖ) war eines der schwärzesten Kapitel in der österreichischen Kriminalgeschichte. Jahre vor der Tat mehrten sich in der Zeit der Hirschbrunft die Fälle von Wilderei im Bezirk Lilienfeld. Kapitalen Hirschen wurde das Haupt abgetrennt und der Körper zurück gelassen. Nachdem der Bezirksjägermeister von Lilienfeld 2011 einen Wilderer stellte und dabei mit einem Messer angegriffen wurde, zog das Landeskriminalamt die Spezialeinheit Cobra hinzu. In den darauf folgenden Jahren legten sich Ermittler – im Wald getarnt – in der Zeit der Hirschbrunft auf die Lauer. Zivile Beamte durchstreiften das Wegenetz. So auch in der verhängnisvollen Nacht: Die Cobra wurde auf einen verdächtigen Toyota Hilux aufmerksam. Um 23.55 Uhr durchbrach Alois Huber damit eine Straßensperre zweier Polizeifahrzeuge. Beamte feuerten in den Motorraum des Flüchtigen.
Huber versteckte den kaputten Pick-up hinter einem Holzschuppen. Als Cobra-Beamte und Ermittler des LKA an die Stelle kamen, nahm der Wilderer sie sofort mit einer halb automatischen Waffe in Beschuss. Der Cobra-Beamte Roman B., 38, wurde tödlich in die Brust getroffen. Als ein Rettungswagen zu Hilfe eilte, erschoss Huber aus dem Hinterhalt Rotkreuz-Fahrer Johann D. (70) auf dem Fahrersitz. Der Täter flüchtete zu Fuß weiter und traf auf eine Straßensperre. Dort tötete er Gruppeninspektor Johann E., 51, und seinen Kollegen Manfred D. (44). Huber erlitt einen Streifschuss, konnte aber mit dem Polizeiwagen samt den Leichen in sein Haus ins 67 km entfernte Großpriel (Bezirk Melk) flüchten.
Als die Cobra das Gebäude umstellte, feuerte der Täter immer wieder auf die Einsatzkräfte. Bei der Erstürmung des Anwesens wurde die Leiche des 55-Jährigen in einem Geheimbunker entdeckt. Er hatte sich selbst gerichtet.
Huber wurden später von 1994 bis 2013 insgesamt 108 Straftaten wie Einbruch, Brandstiftung, Diebstahl, Wilderei etc. nachgewiesen. Der Gesamtschaden seiner Verbrechen belief sich auf zehn Millionen Euro. Im Haus fand man 305 Schusswaffen, Schalldämpfer, 20.000 Schuss Munition und 600 Reh-, Gams- und Hirschtrophäe
Die Walder-Saga in Osttirol: Schuss in den Kopf tötete berüchtigten Wilderer
Einer, der den Mythos und die Geschichte der Wilderei in Österreich geprägt hat wie kaum ein anderer, war das Osttiroler Original Pius Walder.
Der Holzfäller und Wilderer wird am 8. September 1982 im beschaulichen Osttiroler Villgratental beim Wildern von Jägern ertappt und gehetzt. Eine Kugel in den Hinterkopf tötet den bekannten Holzknecht mit den auffälligen Koteletten. Für seine Familie war der Angriff ein Mord. Das Gericht urteilt anders und bestraft den Schützen wegen „Körperverletzung mit Todesfolge“ mit drei Jahren Haft, wovon er die Hälfte absitzt. In den Augen von Pius Walders Bruder Hermann eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, die er in seinem Heimatdorf Innervillgraten bis zuletzt anficht.
Bis 2017 gab es Protestaktionen, Flugzettel wurden verteilt und die Justiz angeprangert. Der Literat und langjährige KURIER-Redakteur Winfried Werner Linde verfolgte 1984 den aufsehenerregenden Prozess als Journalist und schrieb ein Buch darüber. „Die Walder Saga“ beleuchtet alle Umstände rund um den Tod von Pius Walder.
Strafen: In Österreich werden jährlich im Schnitt zwischen 300 und 400 Wilderei-Fälle angezeigt. Knapp mehr als 300 waren es im Vorjahr, die Aufklärungsquote liegt knapp über 50 Prozent. Das Strafrecht spricht dabei von einem „Eingriff in fremdes Jagd- oder Fischereirecht“ und sieht einen Strafrahmen von bis zu sechs Monaten Haft oder eine Geldstrafe bis zu 360 Tagsätzen bei gewöhnlicher (§ 137 StGB) und bis zu drei Jahren bei schwerer Wilderei (§ 138 StGB) vor.
3.000 Euro Schaden: Als schwerwiegende Fälle gelten Abschüsse, bei denen der finanzielle Schaden mehr als 3.000 Euro ausmacht, oder solche, bei denen Fallen und Giftköder eingesetzt werden. Wendet ein ertappter Wilderer gar Gewalt gegen einen Menschen an oder bedroht ihn gefährlich, droht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren Haft.
Kommentare