Dass Obdachlose im Winter Gefahr laufen, zu erfrieren, ist den meisten Menschen bewusst. Dass aber auch Hitze eine ernste Bedrohung darstellt, ist weniger bekannt. „Dabei ist jede Extremtemperatur eine Belastung“, erklärt Stephan Leick. Er ist ärztlicher Leiter der Sozialorganisation Neunerhaus. Hier erhalten alle Hilfesuchenden kostenlose medizinische Versorgung – auch wenn sie keinen Wohnsitz und keine Versicherung haben.
Die Zahl der Patienten sei im Sommer gleich hoch wie im Winter, weiß Leick aus seinem Arbeitsalltag. „Manche sagen sogar, dass ihnen die Kälte lieber ist. Da können sie noch eine Schicht mehr anziehen. Aber sich gegen die Hitze zu schützen, ist oft schwieriger.“ Man müsse bedenken, dass Menschen, die auf der Straße leben, keine Rückzugsorte haben: „Sie können nicht einfach nach Hause oder in ein klimatisiertes Geschäft gehen, um sich zu erholen.“
Hitze belaste das Herz-Kreislauf-System stark, beschreibt Leick. Selbst bei Gesunden können Schwindel, Kopfschmerzen und Kreislaufprobleme auftreten; gesundheitlich vorbelastete Menschen leiden umso mehr. „Im Prinzip kann Hitze jede Krankheit verschlechtern“, betont der Arzt.
Erfahrungen, die auch Herr Alexander gemacht hat: Vor vielen Jahren, erzählt der heute 52-Jährige, habe er seine damalige Wohnung in Wien verloren. „Ich habe viel getrunken und die Miete nicht mehr bezahlt. Aber ich denke ungern an diese Zeit zurück.“ Jahrelang schlug er sich durch; er lernte, sein Leben auf der Straße zu organisieren.
Suche nach Schlafplatz
Oft sei man vom Wohlwollen anderer Menschen abhängig: „Früher haben mich die Securitys auf der Hauptuni in Ruhe gelassen. Ich hab’ mich und sogar meine Kleidung dort am Klo gewaschen.“ Auch im Wiener Rathauspark habe er einige Zeit geschlafen. „Dort hab’ ich mich mit den Klofrauen angefreundet. Die haben mir geholfen und mir manchmal sogar die Wäsche gewaschen.“
Eine Dusche oder saubere Kleidung: Auch das seien wichtige Faktoren, wenn es um die Gesundheit geht, zumal in der Sommerhitze, erklärt Leick. Chronische Wunden können sich etwa durch das Schwitzen und durch ungewaschene Kleidung verschlechtern.
Zudem haben wohnungslose Menschen oft keinen sicheren Bereich, wo sie ihr Hab und Gut aufbewahren können. „Darum sieht man im Hochsommer Obdachlose, die voll bekleidet sind“, erklärt der Arzt. Auch das sei eine Belastung für die Menschen.
Alkohol und Drogen
Und freilich spielen auch Alkohol und Drogen eine Rolle. „Im Winter wärmt Alkohol vermeintlich, was aber Unsinn ist“, erklärt Leick. Schlafe man im Freien ein, bestehe die Gefahr des Erfrierens. Aber auch dösen in der prallen Sonne kann zu Komplikationen führen: „Wir hatten einmal einen Patienten, der hat an den Beinen Verbrennungen zweiten Grades mit großen Blasen erlitten.“
Was also tun, wenn man einen Obdachlosen in der Sonne liegen sieht? „Bitte hingehen, ansprechen und im Zweifelsfall die Rettung rufen“, erwidert Leick. Dabei könne man nichts falsch machen: „Das Falsche ist nur, nichts zu tun.“
Herr Alexander hat übrigens seit acht Wochen wieder eine eigene Wohnung, in der er sich zurückziehen und erholen kann. „Außerdem hab’ ich Anfang Jänner mit dem Rauchen und Trinken aufgehört. An einem Tag war ich so fertig, dass ich nicht einmal mehr aufstehen und Nachschub kaufen können hab’“, erzählt er. Da wusste er: „Ich muss damit aufhören.“ Von seiner neuen Wohnung in Wien-Penzing marschiere er nun jeden Tag zu Fuß bis zum Volkstheater: „Das sind 13.000 Schritte. 40 Kilo habe ich schon abgenommen.“
Vieles hat er also umgekrempelt, eines aber soll bleiben: Zu den Ärzten im Neunerhaus möchte er weiterhin gehen.
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