Vergleich mit Finanzkrise 2008
Diese Zahl sollte laut Unterholzner nachdenklich stimmen: „Man muss sich das bildlich vorstellen. Das ist eine Stadt wie Amstetten oder Mödling, in der alle Einwohner auf der Straße leben müssen. So erkennt man erst, wie viele Obdachlose es wirklich gibt“, veranschaulicht Unterholzner.
Und was die Leiterin des Neunerhauses noch betont: Diese Zahl könnte drastisch zunehmen. Unterholzner vergleicht den zu erwartenden Anstieg mit jenem nach der weltweiten Finanzkrise im Jahr 2008. „Damals ist die Zahl der Menschen, die registriert obdachlos oder wohnungslos gemeldet waren, um ein Drittel angestiegen. Das sind aber nur jene Menschen, die wirklich Hilfe in Anspruch genommen haben. Die Dunkelziffer ist weitaus höher“.
Weil die gesamte Situation mit den vielen internationalen Krisen und den damit verbundenen Teuerungen im Moment noch dramatischer sei als 2008, fürchtet Unterholzner, dass die Zahl in den kommenden Monaten und Jahren um mehr als ein Drittel steigen könnte.
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Zum Vergleich ein Blick nach Deutschland: Dort waren im Vorjahr 607.000 Menschen zumindest vorübergehend obdachlos, das ist ein Anstieg um 58 Prozent im Vergleich zu 2021, wie eine aktuelle Erhebung der deutschen Wohnungslosenhilfe zeigt. Dass man den Anstieg in Österreich noch nicht bemerkt, sei laut der Expertin nicht ungewöhnlich.
Denn einerseits gibt es eben noch keine neuen Zahlen, andererseits zeigt sich der Anstieg immer zeitversetzt. „Am Anfang können sich viele noch mit Ersparnissen, Hilfe aus der Familie oder Krediten retten. Je länger diese Situation aber andauert, desto schwieriger wird es, und irgendwann bricht dann alles zusammen“, sagt Unterholzner.
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Weniger Spenden
Problematisch sei auch, dass im Moment viele Menschen aus der Mittelschicht ebenso drastisch einsparen müssen und deshalb weniger Spenden eingehen, was wiederum den Hilfsorganisationen zusetzt. Sollte man in finanzielle Schieflage geraten, sollte man sich dennoch lieber früher als später Hilfe suchen. „Wenn man die Miete für den nächsten Monat nicht mehr bezahlen kann, ist es oft schon zu spät.“
Im Neunerhaus-Café in der Wiener Margaretenstraße kann man sich niederschwellige Hilfe bei Experten holen, die zum Beispiel nach Einsparpotenzial im Haushaltsbudget suchen. „Natürlich ist es mit Scham behaftet, sich einzugestehen, dass das Geld zum Leben nicht mehr reicht. Ohne Hilfe sind viele Menschen dazu gezwungen, sich zurückzuziehen. Sie können nicht mehr am sozialen Leben teilnehmen, weil jeder Kaffee ein Luxusgut ist. Uns ist es wichtig, vorher helfen zu können“, sagt Unterholzner.
Neunerhaus Spendenkonto: IBAN AT25 3200 0000 0592 9922 / BIC RLNWATWW
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