Wieder mehr Bettler in Wien und sie könnten bei zweiter Corona-Welle stranden
Im März und im April waren Wiens Straßen wie leer gefegt. Das hat sich zuletzt wieder geändert. Und wer aktuell durch die Stadt geht oder sich an öffentlichen Plätzen aufhält, hat vielleicht bemerkt, dass wieder mehr Bettler unterwegs sind.
Sie kommen hauptsächlich aus der Slowakei, Rumänien und Bulgarien, aber auch aus Ungarn, wo das Leben auf der Straße Haftstrafen nach sich ziehen kann. In Wien ziehen bettelnde Menschen dann oft in Gruppen durch die Stadt. „Vielleicht sind wir es nicht mehr gewohnt und merken es deshalb. Aber auch unsere Wahrnehmung ist es, dass wieder mehr Bettler nach Wien kommen“, sagt Sozialarbeiterin Annika Rauchberger von der Bettellobby.
100 Anzeigen
wurden im Juli wegen organisierten, aggressiven oder aufdringlichen Bettelns ausgestellt. Zum Vergleich: Im März waren es 37 Anzeigen und im April 47.
900 Notquartiersplätze
hat die Stadt Wien im Zuge des letzten Winterpakets extra geschaffen. Auch heuer wird es Zusatzplätze brauchen.
Diese Entwicklung spiegelt sich in der Statistik der Wiener Polizei wider: Im Juli wurden 100 Anzeigen wegen organisierten, aggressiven oder aufdringlichen Bettelns ausgestellt. Das sei eine klare Steigerung im Vergleich zum Frühjahr. Während des Lockdowns gab es im März 37 und im April 47 Anzeigen. „Wir haben die Grenzkontrollen klar bemerkt“, sagt Polizeisprecher Marco Jammer. Viele seien während des Lockdowns nach Südosteuropa zu Angehörigen gefahren. Rumänien hatte strenge Grenzkontrollen, weswegen viele „festhingen“, erklärt Rauchberger.
Anstieg nach Lockerungen
Nach den Lockerungen machten sie sich wieder auf den Weg nach Österreich: In Rumänien oder Bulgarien seien die Krisenauswirkungen verheerend, Jobs seien weggebrochen und die Sozialleistungen unzureichend. Deswegen kommen auch Menschen, die vorher nie gebettelt hätten. Sie würden meist mit privaten Mitfahrgelegenheiten kommen. Dafür müssten sie lange sparen, sagt die Sozialarbeiterin. Es hätte sich ein Geschäftsmodell daraus entwickelt, die Armen in den Westen zu bringen.
Problematisch könnte das im Winter und im Fall einer zweite Welle werden, denn weniger Menschen auf der Straße bedeuten weniger Einnahmen für Bettler. Teilweise könnten sie sich dann nicht einmal ihre „prekären Wohnungen“ leisten.
Vielleicht sind wir es nicht mehr gewohnt und merken es deshalb. Aber auch unsere Wahrnehmung ist es, dass wieder mehr Bettler nach Wien kommen.
Aus diesem Grund verlängerte die Stadt heuer das Winterpaket und schuf so 900 Notquartiersplätze zusätzlich zu den 600 Regelplätzen. Auch in Tageszentren wurde von 600 auf 745 aufgestockt. Doch die Verlängerung lief im August aus – 350 zusätzliche Schlafplätze blieben übrig. Fünf Quartiere haben noch außertourlich geöffnet, aber nicht rund um die Uhr. Zusatzplätze würden sich an Obdachlose richten, die noch nicht weitervermittelt werden konnten. Aber auch an Menschen ohne sozialrechtliche Ansprüche, die aufgrund von Alter oder Krankheit Hilfe brauchen, heißt es vom Fonds Soziales Wien (FSW).
Die Auslastung liege derzeit bei 75 Prozent, nur vereinzelt komme es vor, dass jemand keinen Platz bekomme. „Die Situation ist jetzt eine andere als im März. Die Nachfrage sinkt im Sommer, die Menschen halten sich tagsüber wenig in den Quartieren auf. Es wird nur ein Teil der Plätze offengehalten, um besonders Schutzbedürftigen in der andauernden Pandemie einen gesicherten Schlafplatz zu bieten,“ sagt FSW-Leiter Kurt Gutlederer.
Mindestabstand verschärft Lage
Auch ein Caritas-Sprecher bestätigt, dass die Quartiere zwar „gut gefüllt“ seien, es aber Restplätze gebe. Es sei allerdings schwer abzuschätzen, wie viele Anspruchslose auf der Straße leben, da diese statistisch nicht erfasst werden. Der FSW bereitet die geschlossenen Quartiere jedenfalls schon auf den Winter vor – man könne den „Reservebetrieb“ also rasch ausbauen.
Dennoch warnen Bettellobby und Caritas, dass es heuer zu wenige Notschlafstellen geben könnte – vor allem, weil der Mindestabstand eingehalten werden müsse. Menschen, die in Österreich nicht anspruchsberechtigt sind, könnten im Fall von Grenzschließungen im Land festsitzen. Für sie sei es schwer, Notschlafstellen zu finden. Man sehe sich aber für diese Herausforderungen gerüstet, heißt es beim FSW.
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