Wie eine Zauberschule südafrikanische Kinder von der Straße holt
Als Sikelelwa das „Circus & Clownmuseum“ in der Wiener Leopoldstadt betritt, wirkt sie recht schüchtern. Wie eine typische 16-Jährige, die in einem fremden Land ein Museum betritt. Das Reden überlässt sie zunächst ihren erwachsenen Begleitern. Die Ausstattung weckt aber gleich ihr Interesse. Überall gibt es etwas zu entdecken – von Zauberstäben bis zu Clownskostümen ist hier alles zu finden.
Wenig später posiert sie für Fotos. Und von der Schüchternheit ist kaum noch etwas zu merken: Bühnenlächeln, Körperspannung auf Knopfdruck, Sikelelwa weiß sich in Szene zu setzen. Noch augenscheinlicher wird die Verwandlung zum Bühnenprofi, als sie einen Kartentrick zeigt.
Sie verblüfft die Zuschauer, indem sie nach dem Mischen und Kartentauschen mit einem Freiwilligen scheinbar willkürlich vier Karten aufdeckt – es sind vier Könige. Wie sie das gemacht hat, ist für Nicht-Zauberer vollkommen unklar.
Gelernt hat Sikelelwa ihren Trick – inklusive Schäkern mit dem Publikum – im „College of Magic“ in Kapstadt in Südafrika. Was ein bisschen nach der Zauberschule Hogwarts aus „Harry Potter“ klingt, ist in Wahrheit ein Sozialprojekt. Insbesondere sehr armen Kindern, die Gefahr laufen, auf der Straße zu landen, soll durch die Ausbildung zum Zauberkünstler die Chance auf eine bessere Zukunft geboten werden.
College of Magic mit Agnes Preusser
Unterrichtet werde jeden Samstag, erzählt Sikelelwa. Jonglieren steht ebenso auf dem Lehrplan wie das Erlernen von Kartentricks. Aber auch Regie führen, filmen oder schneiden wird den Kindern beigebracht.
Lektionen fürs Leben
Das Wichtigste sei aber, dass ihnen auch „Life skills“ vermittelt werden, erklärt Projektleiter Sinethemba Bawuti. Selbstbewusstsein, Respekt, Ehrlichkeit, Kommunikation – alles, was dabei helfen kann, um im Leben Erfolg zu haben. „Eigentlich sind wir viel mehr als das College of Magic. Wir sind das College des Lebens.“
Sikelelwa nickt. Vor dem Unterricht sei sie sehr schüchtern gewesen. Das habe sie mittlerweile komplett abgelegt. Zumindest wenn sie auf der Bühne steht, merkt man das deutlich.
Das Mädchen wohnt in den Townships – also in einem Armenviertel. „Ich bin die Zweitälteste von insgesamt sechs Kindern“, sagt sie. Gemeinsam lebt die Familie auf engstem Raum. Sie sei die Einzige, die das „College of Magic“ besucht.
Im Geiste Don Boscos
Österreich gefalle ihr gut, sagt sie. Die Frage, ob sie schon ein anderes europäisches Land besucht habe, verneint sie. Auch der Trip nach Wien ist nur der österreichischen Hilfsorganisation „Jugend Eine Welt“ zu verdanken, die das „College of Magic“ unterstützt.
Die Einladung erfolgte anlässlich des Tags der Straßenkinder, der von „Jugend eine Welt“ im Jahr 1997 etabliert wurde. Dieser wird jedes Jahr am 31. Jänner begangen, um um Spenden für Don-Bosco-Hilfsprojekte zu bitten.
Der Tag sei nicht zufällig gewählt worden: Der 31. Jänner ist der Gedenktag des Jugendheiligen Don Bosco, der wesentlich dazu beigetragen hat, dass Straßenkinder mehr Aufmerksamkeit bekommen.
Dass Sikelelwa dadurch die Chance hatte, Österreich zu besuchen, sei heuer besonders passend, sagt „Jugend Eine Welt“-Geschäftsführer Reinhard Heiserer. „Don Bosco ist auch der Patron der Zauberkünstler.“ Dieser setzte sich entgegen der Ansichten seiner Zeit – er lebte von 1815 bis 1888 – für die Integration von sozial schwachen Kindern ein.
Diesen sollte dabei geholfen werden, sich in den Strukturen des gesellschaftlichen Systems einzufinden. „Organisationen, die diesen Grundgedanken verkörpern, werden von und unterstützt“, so Heiserer. Und genau so ein Projekt sei das „College of Magic“. Kindern werde ein Ausweg aus der Armut geboten.
Zukunftspläne
Sikelelwa will Ingenieurin werden. Wenn das nicht klappt, kann sie sich vorstellen, als Magierin zu arbeiten – also als Lehrerin für die nachfolgenden Generationen am „College of Magic“. Viele Absolventen hätten Erfolg, heißt es beim Projekt. Einige seien Profi-Zauberer, Stand-up-Comedians, Schauspieler oder Regisseure geworden. Aber auch abseits von Kreativberufen hätten viele Karriere gemacht, etwa in der Wirtschaft, im Bauwesen oder in der Medizin.
Auch Projektleiter Bawuti hat als Kind im „College of Magic“ gelernt, erzählt er. Danach wollte er der Institution treu bleiben. Neben dem Organisatorischen tritt er ebenfalls noch als Zauberkünstler auf – am liebsten vor Kindern. „Die Interaktion mit ihnen macht am meisten Spaß“, sagt Bawuti. „Es ist einfach lustig, wenn sie dich mit großen Augen ansehen, als wäre man Mister Bean.“
Wichtig sei es ihm, zu betonen, dass beim Projekt reiche und arme Kinder gemeinsam lernen. Das wäre von Anfang an das Credo gewesen: 1980, bei der Gründung der Schule, herrschte die Apartheid in Südafrika. Damals war es unter Strafe verboten, Kinder mit weißer und schwarzer Hautfarbe gemeinsam zu unterrichten. In der Zauberschule ließ man sich aber nicht davon abhalten, „das Selbstvertrauen aller Kinder – egal welcher Herkunft und Hautfarbe – zu stärken“, heißt es beim Projekt.
Die Kurse an der Zauberschule sind nicht kostenlos. Die Plätze für Kinder aus armen Verhältnissen, wie Sikelelwa, werden über Spenden und Sponsoren finanziert. Ob sie auf ihrer Reise noch etwas von Europa sehe? „Ja“, sagt Sikelelwa. „Vöcklabruck.“ Das klingt aus der Sicht eines Österreichers fast ein bisschen lustig.
Aus der Sicht eines Mädchens aus den ärmlichen südafrikanischen Townships ist die Möglichkeit, die kleine Gemeinde in Oberösterreich zu besuchen, aber fast so etwas wie Zauberei.
Spendenmöglichkeiten finden Sie unter www.jugendeinewelt.at.
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