Wie eine Freiwillige half, Brüder nach fast 50 Jahren zu vereinen
Was, wenn man einen Vater verliert – aber gleichzeitig erfährt, dass man einen Bruder hat?
50 Jahre lang dachte der Wiener Franz R., er sei ein Einzelkind. Er hat eine geistige Beeinträchtigung, lebt in einer Wohngemeinschaft und arbeitet in einer Werkstätte für Menschen mit Behinderung. Um ihn bei Amtswegen zu unterstützen, steht ihm die ehrenamtliche Erwachsenenvertreterin Martina Knopp zur Seite.
Im Zuge einiger Behördenwege stieß Knopp auf Hinweise, Franz könnte einen Bruder haben. Und es gelang ihr, diesen aufzuspüren, Ende des Vorjahres lernten die Geschwister einander kennen. Mit dem KURIER sprach Martina Knopp darüber, wie sie die Brüder vereinte und wie sie selbst von der ehrenamtlichen Arbeit profitiert.
Der Verein „Vertretungsnetz“: Der Verein setzt sich für Menschen mit intellektueller oder psychischer Beeinträchtigung ein. Im Bereich Erwachsenenvertretung gibt es 500 hauptberufliche und 790 ehrenamtliche Mitarbeiter. (Informationen unter www.vertretungsnetz.at/jobs)
3,7 Millionen Menschen engagieren sich laut Sozialministerium in Österreich in der Freiwilligenarbeit: etwa in Vereinen, Organisationen oder der Nachbarschaftshilfe.
Freiwilligenarbeit hat in Österreich einen hohen Stellenwert. Ob Rettung, Nachbarschaftshilfe oder Verein: Laut Sozialministerium engagieren sich 3,7 Millionen Menschen ehrenamtlich, und das im Schnitt vier Stunden pro Woche. Eine von ihnen ist Martina Knopp. „Es ist gut, um den Pensionsschock abzufedern“, sagt sie und lacht. „Denn beruflich von 100 auf null zu schalten habe ich mir nicht vorstellen können.“
Freiwilliges Engagement im Verein "Vertretungsnetz"
Sie entschied sich dafür, sich im Verein „Vertretungsnetz“ als Erwachsenenvertreterin zu engagieren. „Ich habe auch beruflich mit Menschen mit Behinderung gearbeitet, habe also keinerlei Berührungsängste.“ Ihre Aufgaben? Zum einen natürlich das Bürokratische: „Wohnbeihilfe oder Pflegegeld beantragen, um Rezeptgebührenbefreiung ansuchen oder Hilfe beim Online-Banking“, nennt sie Beispiele.
Aber auch der menschliche Kontakt ist wichtig: Drei Klienten betreut sie, mindestens einmal pro Monat trifft man sich. „Mit einer Klientin gehe ich immer ins Katzencafé, weil sie Katzen so gerne hat. Mit Franz habe ich zum Beispiel kürzlich auch einen Ausflug nach Salzburg gemacht“, erzählt sie.
Franz R. ist eher zurückhaltend und schüchtern
Seit 2021 betreut sie Franz R. Er sei still und schüchtern, liebe Autos und die Eisenbahn. „Als wir in Salzburg waren, sind wir am Bahnhof gesessen und haben stundenlang den Zügen zugeschaut“, erzählt sie.
Bis vor ein paar Monaten habe Franz R. Unterhaltszahlungen von seinem Vater, den er nie kennengelernt hat, erhalten. Als diese ausblieben, begann Knopp nachzuforschen: Es stellte sich heraus, dass der Vater verstorben war. Und, dass er als Eisenbahner gearbeitet hatte. Auch das hat sein Sohn Franz nicht gewusst.
Die Suche nach dem Bruder war "eine Odyssee"
Beim Notar, der für die Verlassenschaft zuständig war, stieß Knopp auf Hinweise auf einen weiteren Sohn des Verstorbenen. Die darauffolgende Suche war „eine Odyssee“, sagt sie. „Sich durchfragen, eMails weiterleiten, sich am Telefon verbinden lassen.“ Bis sie herausfand: Der Bruder heißt Hans, ist 48 Jahre alt, hat ebenfalls eine kognitive Beeinträchtigung und lebt bei einer Pflegefamilie in Niederösterreich.
„Hansi ist mein Bruder“
Als sie ihren Klienten das nächste Mal besuchte, sagte sie ihm: „Ich habe erfahren, dass dein Papa gestorben ist. Aber dafür habe ich deinen Bruder gefunden. Er heißt Hansi. Magst du ihn besuchen?“ – „Ja. Hansi ist mein Bruder“, erwiderte Franz.
Ende des Vorjahres kam es schließlich zum Kennenlernen: „Es war total herzig. Die Gestik, wie sie sich durch die Haare fahren: Sie sind einander total ähnlich. Man merkt, dass sie verwandt sind“, erzählt Knopp. Die Männer schenkten einander Matchbox-Autos und freuten sich, doch noch eine kleine, leibliche Familie zu haben. Ein Foto von Hansi hängt nun bei Franz im Zimmer.
Man profitiert auch selbst von ehrenamtlicher Tätigkeit
Und wie profitiert sie selbst von ihrem Engagement? „Man ist sozial eingebunden, kommt aus seiner Blase, lernt Neues kennen – eine gute Demenzprophylaxe“, erwidert Knopp. Und manchmal ergeben sich auch ganz besondere Begegnungen – wie die von Franz und Hans.
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