Weihnachten im Notquartier: Der lange Weg einer Kärntner Familie nach Hause
Bewohner von Guntschach werden Weihnachten nicht daheim feiern. Der Ort ist seit Unwettern im August abgeschnitten, viele leben in Notquartieren. Ein Besuch
Es gibt die Grundausrüstung, wie Stefan Povoden sie nennt. Bergschuhe, Steigeisen, Stirnlampe. Alles liegt griffbereit in seinem Auto.
Povoden braucht sie nicht, um auf den Berg zu gehen, sondern wenn er sich auf den Weg nach Hause macht. Nach Guntschach. Jenem 70-Einwohner-Ort, gut 30 Minuten von Klagenfurt entfernt, in den seit August eigentlich kein Weg mehr führt.
Am 15. Dezember 2022 zerstörte zunächst ein Felssturz die einzige Straße, die von Guntschach raus, aber auch wieder rein führte. Die Lösung: Ein Notweg.
Doch ausgerechnet diesen rissen Hangrutschungen bei Unwettern im August weg.
Als Verbindung zur Außenwelt blieben eine kleine Fähre zwischen Guntschach und dem anderen Drau-Ufer. Wasserweg in Luftlinie: 100 Meter. Doch diese verkehrt nur an den Wochenenden. Eine Stunde am Vormittag, eine am Nachmittag. Sowie der Weg von Stefan Povoden.
„Wir haben schulpflichtige Kinder und eine Arbeit außerhalb von Guntschach, wie soll das funktionieren?“, fragt Natalie, Stefans Frau, mit der man an einem Samstag zur Fährstunde übersetzt. Am Weg nach Guntschach, dem Zuhause der Familie, das sie seit Monaten selbst nur mehr besucht. Die Povodens und ihre Kinder, Hannah (1) und Fabian (8) wohnen hier seit September nicht mehr.
Sie sind in einem Appartement in einem Hotel in Ferlach untergekommen. Manchmal nennen sie die Notunterkunft im Gespräch „Daheim“, um sich danach sofort zu korrigieren.
Weil Daheim, das ist jener Ort am anderen Drauufer, wo das schöne weiße, neu renovierte Haus steht. Jener Ort, in dem es zwar gut 30 Häuser, aber weder durchgehend asphaltierte Straßen, noch Geschäfte, Wirtshäuser oder Straßenlaternen gibt.
Schmucklose Weihnachten
Von der Fähre bis zur „einzigen Sehenswürdigkeit“, einer Kirche, braucht man zu Fuß 25 Minuten. Bis zum weißen, renovierten Haus der Povodens sind es fünf.
„Weihnachtsdekoration habe ich heuer keine. Wir sind eh nicht da“, sagt Natalie fast entschuldigend, als sie die Haustür aufsperrt. Drei Futterautomaten für die Katzen stehen auf der Terrasse. „Die Katzen sind Auslauf gewohnt, die wären in der Notunterkunft verloren“, sagt Natalie. Hier geblieben, sind auch rund 15 der 70 Guntschacher, die das Angebot der gratis Notunterkünfte nicht angenommen haben.
Einer davon ist Florian, der Bruder von Stefan. Er betreut nun acht Katzen, zwei Hunde und vier Häuser von ausgezogenen Guntschachern. „Das ist selbstverständlich“, sagt sein Bruder.
Kein Winterdienst
So wie es für die Männer selbstverständlich ist, zwei Tonnen Streusalz mithilfe der Freiwilligen Feuerwehr auf die Fähre gekarrt und mit dem eigenen Traktor abgeholt zu haben.
Damit man im Ort Salz ausbringen kann, wenn Schnee und Eis kommen. Denn die zerstörte Straße bedeutet auch keinen Winterdienst.
50-Tonnen-Fähre nach Guntschach
„Ich bin hier aufgewachsen, uns wurde mitgegeben, dass wir zusammenhalten“, sagt Stefan Povoden, als er einen zum Hemmafelsen begleitet. Jene Gesteinsformation, von der sich vor einem Jahr der Felssturz auf die Straße gelöst hatte.
Eigentlich hätten die Reparaturarbeiten der Straße, genau am heurigen Jahrestag des Unglücks, also am 15. Dezember, abgeschlossen sein sollen. „Die Bauarbeiten verzögern sich aber. Wir wissen, wie schlimm das für die Einwohner ist“, sagt Bürgermeister Franz Ragger (SPÖ). Ein neues Fertigstellungsdatum nennt er nicht.
Ein Fels, der spaltet
Es ist das einzige Thema, das die Guntschacher zu spalten scheint. Während die einen „mit der Zeitung gar nicht mehr reden wollen, weil die eh nur der Politik nachschreibt“, gibt es jene wie die Povodens, die positiv bleiben.
Wie erklären wir den Kindern, dass das Christkind die Packerl vorher auf der Fähre geparkt hat
von Natalie Povoden
Bewohnerin von Guntschach
Weihnachten feiern sie mit anderen Guntschacher Familien in einem Gemeinschaftsraum ihrer Notunterkunft. „Die Fähre wäre mit dem Christkind nicht machbar“, erzählt Natalie.
Gemeint sind Christbaum und Geschenke, die auf derselben Fähre wie die Kinder nach Guntschach gebracht werden müssten. „Wie erklären wir den Kindern, dass das Christkind die Packerl vorher auf der Fähre geparkt hat?“, fragt die Zweifach-Mama.
Den Weg von Stefan Povoden gäbe es auch noch. Doch der ist weder für Kinder noch Geschenke empfehlenswert.
Einheimische errichten eigenhändig Waldpfad
Jeden zweiten Tag beschreiten ihn der 40-Jährige und andere Männer aus dem Dorf. Es ist ein wilder Pfad mitten durch ein steiles Waldstück. Povoden nimmt dafür die Steigeisen und die Stirnlampe – die Grundausrüstung – aus seinem Auto.
„Wir haben den Weg selbst angelegt“, erzählt er und führt an den Einstieg. Erkennbar an vier geparkten Autos von Einheimischen. Leuchtklebebänder an den Bäumen und orange Pfeile dienen als eine Art Leitsystem. Es riecht nach Wald und aufgeweichter Erde.
Im weiß renovierten Haus der Povodens ist es ein anderer Geruch, der vorherrscht. „Es riecht hier nach Daheim. Das Einzige, was ich wirklich vermisse“, sagt Natalie. Und das nicht nur zu Weihnachten, sondern seit Monaten.
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