Was passiert in den Jugendzentren Wiens?
„Auf Zettel schreiben wir Lieder, die Erwachsenen spielen die Musik und wir tanzen dazu“, sagt Amelie. Jeden Freitag geht die 13-Jährige zum „Jugendtreff“ in der Donaustadt. Dort gibt es bis 21.30 Uhr eine Jugend-Disco für 13- bis 16-Jährige. Seit ihrem Umzug aus der Schweiz hat sie dort Anschluss und neue Freunde gefunden. Der Jugendtreff im 22. Bezirk ist nur eines der vielen kostenlosen Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit in Wien.
Stadt und Bezirke nehmen für die Finanzierung im Jahr fast 54 Millionen Euro in die Hand. Was aber passiert mit dem Geld eigentlich – und wer erhält es?
Einblicke zu erhalten, ist schwierig. Viele Institutionen stellen selbst wenig bis keine Information zur Verfügung. Insgesamt 24 Vereine haben in der Stadt die sogenannte offene Kinder- und Jugendarbeit in der Hand (die wichtigsten Vereine siehe Grafik). Rund 800 Mitarbeiter widmen sich der Aufgabe an mehr als 70 Standorten.
Für die Kinder- und Jugendarbeit gibt es Förderungen. Im Jahr 2022 kamen rund 38,2 Millionen Euro von der Stadt, weitere 15,7 Millionen Euro steuerten die Bezirke bei. Den Überblick und die Kontrolle über die Fördervergabe hat die MA 13 (Bildung, Jugend) inne.
Politisch zuständig ist Vizebürgermeister und Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos), der die Angebote weiter ausbauen will.
Bis 2024 soll es, so die Ankündigung des Stadtrats, in Wien das erste queere Jugendzentrum geben.
Was Überblick und Kontrolle der Szene erschwert: Das Angebot ist höchst divers. Die Stadt selbst unterscheidet bei der offenen Kinder- und Jugendarbeit drei Kategorien: die Indoor-Angebote (etwa klassische Jugendzentren), die fixen Outdoor-Angebote (etwa die Parkbetreuung) und flexible, örtlich ungebundene Outdoor-Angebote wie Streetwork.
Die verbandliche Jugendarbeit umfasst zudem auch ehrenamtlich tätige Institutionen mit konfessionellem, kulturellem oder gar parteipolitischem Hintergrund – von den Pfadfindern über die Jungschar bis hin zur muslimischen Jugend.
Verlorene Kontakte
Die Arbeit ist derzeit – nach der Corona-Krise – besonders herausfordernd. Zu vielen der Kinder und Jugendlichen, die unter den Pandemiemaßnahmen besonders litten, hat man in den vergangenen Jahren den Kontakt verloren. Nicht zuletzt deshalb, weil die Jugendzentren während der Lockdowns teils selbst geschlossen waren, später lief der Betrieb eingeschränkt.
In den fixen Anlaufstellen können Jugendliche Zuflucht finden. Das Angebot richtet sich laut offiziellen Seiten vor allem an Jugendliche, die aus sozioökonomisch benachteiligten Milieus kommen. „Zweisprachigkeit ist für unser Personal hilfreich“, erzählt Cafer Zilci, Leiter des größten Jugendzentrums in 16. Bezirk.
Auf 1.200 Quadratmetern können Jugendliche bis zum Alter von 20 Jahren ab dem späten Nachmittag hier, nahe der U3-Station Ottakring, vorbeikommen. An einem Mittwoch herrscht beim KURIER-Lokalaugenschein um 17 Uhr reger Betrieb, bis 20 Uhr hat man heute geöffnet.
Die Jugendlichen spielen im Theaterraum Fußball, daneben läuft eine Partie Pingpong. Im Obergeschoß lernen manche für eine Mathe-Schularbeit. Und in der Mitte des Raums ist eine Art Bar, ein Zivildiener gibt antialkoholische Getränke für wenige Euro oder gratis aus. Im Zimmer nebenan gibt es einen Billardtisch und Spielkonsolen. Mädchen sitzen im Eck, laden ihr Smartphone auf.
Viele der Besucher gehen gar nicht mehr zur Schule. „Ich weiß nicht, was ich einmal machen will, vielleicht hier arbeiten“, sagt eine Jugendliche. Eine andere sagt, dass sie hier ist, weil sie „gerne raucht“ und Zeit mit ihren Freunden verbringe.
Leiter Zilci ist es wichtig, dass sich die Jugendlichen zu Hause fühlen. Drogenkonsum, ergänzt er, sei natürlich verboten. Und die Polizei habe er nie rufen müssen. Eine Anrainerin aus dem gegenüberliegenden Haus erzählt anderes: „Oft ist es laut, manchmal schießen sie mit Böllern.“ Ein anderer Jugendlicher berichtet von Schlägereien, die es ab und an gäbe. Aber man sei gerne dort. „Einfach abhängen“, sagt ein anderer. „Wichtig sei die Beziehungsarbeit“, erklärt Zilci. Viele der Jugendlichen hätten zu Hause nicht genug Platz.
Die Einrichtung in Ottakring wird vom größten Verein der Stadt betrieben, den Wiener Jugendzentren. Im Vorstand sitzen Stadtpolitiker mehrerer Parteien. Bereits in den 1970er-Jahren war man – wie etwa auch die der SPÖ- zuzurechnenden Kinderfreunde – aktiv, das Angebot ist historisch (mit-)gewachsen. Mittlerweile ist die Zahl der Anbieter groß, es gibt viele kleinere Vereine, andere Zugänge.
Mehr Therapie gefragt
Dass Jugendzentren auch anders ausschauen können, zeigt der Waggon des Vereins Bahnfrei. Seit 20 Jahren gibt es die ehemaligen Postwaggons im 21. Bezirk, sie stehen am Marchfeldkanal und sind nun Anlaufstelle für die Jugendlichen im Stadtteil Neu-Stammersdorf. „Home Schooling, das Zuhause-Bleiben, das hat einige aus der Bahn geworfen“, hört man hier. Auch Probleme mit Drogen gebe es vermehrt, die Jugendlichen fangen früher zu rauchen an.
Gleich neben der U-Bahnstation Ottakring können sich hier in den Räumlichkeiten Jugendliche treffen.
Ottakring: Jugendzone 16
Die Jugendzone gilt als eines der größten Jugendzentren der Stadt.
Immer Nachmittags
Der Betrieb der Jugendzentren startet ab 15 Uhr unter der Woche, am Samstag bereits ab 12.30 Uhr.
Viel Platz
Auf 1.200 Quadratmeter können Jugendliche Tichtennis, Billard oder PlayStation spielen. Es gibt eine Chil-Out-Zone und eine Bar.
Zivildiener
Auch Zivildiener arbeiten für den Verein Wiener Jugendzentren, wie hier im Barbetrieb.
Bahn-Wagons als Jugendzentren
Der Jugent-Treff des Vereins Bahnfrei sieht anders aus: Hier wurden zwei Waggons umfunktioniert.
BackonStage10
Im 10. Bezirk wurde ein alter Kindergarten im Gemeindebau zum Jugendzentrum umfunktioniert.
Eigener Mädchenbereich
Besonders ist hier: eine eigene Mädchen-Zone, die nur von Mädchen genützt wird.
Abhängen
Viele wollen dort einfach nur abhängen: Oft wird aber auch gemeinsam gekocht.
Abschied einer Betreuerin
Der Abschied einer Betreuerin wurde etwa groß in den Räumlichkeiten im 10. Bzeirk gefeiert.
Aus dem Verein Backbone, der mobile Jugendarbeit im 20. Bezirk leistet, hört man: „Die Jugendlichen haben Hunger und machen das auch zum Thema.“ Auch psychische Probleme häufen sich laut Vereinschefin Manuela Synek. Die zehn Therapiestunden, die Jugendliche kostenlos vom Bund im Zuge von „Gesund aus der Krise“ bekamen, waren hilfreich, aber zu wenig, sagt sie. Die zuständige MA 13 bestätigt den erhöhten Bedarf: „Kinder sind hungriger, psychisch angeschlagener, es gibt mehr Gefährdungsmeldungen an die MA 11 (Kinder- und Jugendhilfe)“.
Fehlende Ausbildung
Worunter die Einrichtungen leiden, das sei die fehlende Ausbildung vieler Mitarbeiter, erzählt ein Insider, der anonym bleiben will: Es sei keine anerkannte Branche, oft arbeiten hier Menschen, die keinen anderen Job finden würden. „Es bräuchte eine bessere Mischung – aus Berufsjugendlichen und gut Ausgebildeten“, sagt er.
Denn die Herausforderungen sind groß – von Gewalt über Depressionen und Familienproblemen bis zu Drogen. Um damit umgehen zu können, müsse man den Mitarbeitern bessere Werkzeuge in die Hand geben. Nicht zuletzt, weil Jugendarbeiter oft Erstmelder von Gefährdungsanzeigen seien, etwa bei Verdacht auf Missbrauch.
Weitere Kritikpunkte: Die großen Vereine bekämen ungleich mehr Unterstützung als die kleinen – für eine objektive Betrachtung mangle es an validen Daten. So müssen die Vereine etwa jährlich ihre Kontakte zählen. Wie genau, ist umstritten – manch einer wertet jeden Aufruf der eigenen Social-Media-Seiten als Kontakt; andere zählen jeden Jugendlichen, den sie sehen. Was genau das heißt und wie die Arbeit der einzelnen Institutionen wirkt, weiß niemand so genau.
Einen Kontakt, den man jedenfalls zählen kann, ist Amelie. Sie geht weiter ins Zentrum und freut sich, wenn sie dort „einfach Spaß“ haben kann. Hier ist die Arbeit gelungen.
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